Handwerkskammer-Experte widerspricht DGB-Analyse Attraktive Lehrstellen auch für Hauptschüler

Von Elmar Schatz
Einfach wegwischen? Doch Hauptschüler haben durchaus Chancen, sagen die Kammern. Foto: dpa Foto: red

Hauptschüler haben durchaus Chancen auf eine attraktive Lehrstelle. Peter Liewald von der Handwerkskammer in Bayreuth sagt warum - und er widerspricht einer DGB-Studie.

 
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Die Kammern in Oberfranken können zwar nicht sagen, wie viele freie Lehrstellen aktuell vorhanden sind - und wie viele davon für Hauptschüler in Frage kommen. Doch Liewald, der als Kraftfahrzeugmeister selbst jahrelang einen Betrieb geführt hat, schildert aus der Praxis, viele Handwerksmeister seien offen für Hauptschüler. Sie schauten nicht nur auf die Noten, sondern fragten: Will der Bewerber wirklich in diesem Beruf arbeiten oder springt er gleich ab, wenn er seinen Traumjob findet; ist er pünktlich und zuverlässig?

Auch aus der IHK für Oberfranken in Bayreuth verlautet, in hiesigen Unternehmen werde argumentiert: Wir wissen, der junge Mensch kommt aus einer anständigen Familie und ist gut erzogen. Sein Vater arbeitet schon lange bei uns, und es gab nie Probleme.

Viele Lehrstellen werden ohne Vermittler vergeben

Auf diese Weise würden viele freie Ausbildungsplätze direkt vergeben - ganz ohne Vermittlung durch Onlinebörsen oder die Arbeitsagentur. Die Statistik, auf die sich der DGB stütze, sei doch "ein sehr dünnes Brett", heißt es bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Bayreuth.

Die Lehrstellen-Situation in Oberfranken sei viel besser als noch vor wenigen Jahren, so Liewald. Von 2003 bis 2005 sei es extrem schlimm gewesen, mit Jugendarbeitslosigkeit im zweistelligen Bereich. Damals habe es in Oberbayern für hundert Bewerber 117 offene Lehrstellen gegeben, in Oberfranken jedoch nur 40 freie Lehrstellen auf hundert Bewerber. Inzwischen seien Auszubildende praktisch überall gesucht. Allerdings würden die Anforderungen immer härter.

Globaler Druck erzwingt höhere Qualifikation

Die Schulen in Deutschland reagierten zu langsam auf die globale Herausforderung, der sich die deutsche Wirtschaft zu stellen habe, so Liewald. Heute brauche ein Anlagenmechaniker gute naturwissenschaftliche, aber auch Englischkenntnisse. Ausbilder seien aber bereit, jungen Leuten zu helfen, nach dem Motto: Gegen die Fünf in Mathe gibt es Nachhilfe. Lehrlinge würden in Oberfranken gezielt unterstützt, ähnlich wie es in Baden-Württemberg mit der "Assistierten Ausbildung" geschehe. 

Die Verlockungen für 16-Jährige

Ein 16-Jähriger werde jedoch wie nie zuvor vom Lernen weggelockt. Liewald sagt: "Vor 30 Jahren hatten wir nur drei TV-Programme, und nachmittags um 15 Uhr begann das Telekolleg. Heute haben wir 400 Fernsehprogramme und wenn wir den Kindern sagen, sie sollten nicht so viel fernsehen, dann weichen sie auf X-Box und Handy aus." Auf dem Dorf schaue noch die Oma nach den Hausaufgaben, in der Stadt seien die Schüler oft auf sich allein gestellt.

Die Ablenkungsmöglichkeiten seien gigantisch. Die jungen Menschen hätten es sehr schwer, einen roten Faden in ihrem Leben zu finden. Früher seien vielleicht drei Berufe für sie in Frage gekommen, heute 350 Berufe.

DGB: Hauptschüler außen vor

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert, von den aktuell rund 43 900 offenenen Ausbildungsplätzen auf der bundesweiten IHK-Lehrstellenbörse seien nur etwa 16 800 für Hauptschulabsolventen offen. Damit blieben viele Hauptschüler im Abseits - trotz des häufig beklagten Fachkräftemangels. "Sie setzen vielfach immer noch auf eine Bestenauslese", wirft der DGB den Ausbildungsbetrieben vor.

Hauptschüler seien von 61,2 Prozent der freien Lehrstellen der IHK-Onlinebörse faktisch ausgeschlossen. Bei Bank- und Büroberufen gehe die Chance von Hauptschulabsolventen sogar gegen Null. Zudem seien Hauptschüler bei 85,4 Prozent der derzeit gesuchten Mechatronker-Stellen außen vor. Sogar Branchen wie Hotel und Gastronomie schlössen Bewerber mit Hauptschulabschluss oft von vornherein aus. Das sei bei 60,5 Prozent der angebotenen Plätze für angehende Hotelfachkräfte der Fall sowie für 31,1 Prozent der Lehrstellen für Köche.

Kultusministerium: Gute Chancen für Mittelschüler

Bayerische Mittelschulabsolventen hätten gute Chancen auf dem Ausbildungsmarkt, sagt der Sprecher des bayerischen Kultusministeriums, Ludwig Unger, zur DGB-Studie. Die Lage der Mittelschul-Absolventen in Bayern dürfe nicht 1 : 1 mit der Situation von Hauptschul-Absolventen in Deutschland verglichen werden.

In Bayern sei die Hauptschule in den vergangenen Jahren zur Mittelschule weiterentwickelt und stark berufsorientiert ausgestaltet worden. Die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler sei ausgeweitet worden;  Dennoch, räumt Unger ein, stellten Arbeitgeber für bestimmte Berufe eben besondere Anforderungen.

Für junge Leute ohne Lehrstelle gebe es in Bayern die sogenannten B-Klassen - Berufsorientierungsklassen, bei denen Mittelschule und Berufsschule zusammenarbeiten. Leistungsstärkere und -willigere könnten andererseits die einjährige Vorklasse zur Fachoberschule besuchen und sich in Fächern wie Mathematik oder Deutsch fit machen. Wer die FOS 13 schafft, hat mit einer zweiten Fremdsprache die allgemeine Hochschulreife.

Lehrer-Präsident spricht von Heuchelei

"Die Heuchelei in der Mittelschuldebatte"ärgere ihn, sagt Klaus Wenzel, der Präsident des Lehrerverbandes BLLV: "Einerseits wird die Notwendigkeit dieser Schulart immer wieder beteuert, andererseits werden Lehrer und Schüler im Stich gelassen." Wenzel: "Dies ist umso bedauerlicher, als gerade die Absolventen der Mittelschule über wertvolle Qualifikationen und anspruchswolle Kompetenzen verfügen."

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