Gutachter stellen fest: Sterblichkeit nach Tavi-Eingriffen lag am Klinikum beim Doppelten des Bundesdurchschnitts Gutachten: Tote nach Schlüssellochoperation an Klinikum Bayreuth

Von Frank Schmälzle
Klinikum-Chefarzt Prof. Martin Höher wehrt sich gegen schwerwiegende Vorwürfe. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Der Bericht ist geheim, und er ist erschreckend. Im Klinikum Bayreuth sollen fast doppelt so viele Patienten wie im Bundesdurchschnitt nach Herzoperationen im Schlüssellochverfahren gestorben sein. Das ist eines der Ergebnisse, zu dem drei Gutachter im Auftrag der Klinikum Bayreuth GmbH gekommen sind. Im Zentrum der Vorwürfe: der derzeit vom Dienst im Klinikum freigestellte Chefarzt Prof. Martin Höher.

 
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Die Indikation: Es sind Hochkaräter. Der ehemalige Chefarzt der Kardiologie am Klinikum Dachau, der Ordinarius der Herzchirurgie am Klinikum Großhadern und der Chefarzt der Kardiologie am Klinikum München-Schwabing, der die Tavi-Operationsmethode in Deutschland eingeführt hatte, haben 185 Patientenakten des Klinikums aus den Jahren 2009 bis 2012 kontrolliert. Bevor Patienten mit dieser Methode operiert werden, werden sie anhand eines Punktesystems in Risikoklassen eingestuft. Die Gutachter haben nachgerechnet. Und kommen zu dem Ergebnis: Ein Drittel der Bayreuther Tavi-Patienten hatten ein geringes Operationsrisiko. Ein Drittel ein mittleres und ein Drittel ein hohes Risiko. Tavi-Operationen waren bis 2012 grundsätzlich Hoch-Risikopatienten vorbehalten. Das heißt: Nur ein Drittel der Indikationen, die unter Höhers Verantwortung im Gutachtenszeitraum gestellt wurden und die zu Tavi-Operationen führten, seien korrekt gewesen. In der Vergangenheit war es am Klinikum üblich, dass Chefärzte am Umsatz ihrer Abteilungen beteiligt waren.

Die Sterblichkeit: Im Zeitraum von 2009 bis Mai 2013, den die Gutachter zu untersuchen hatten, lag ihren Analysen nach die Sterberate von Tavi-Patienten am Klinikum Bayreuth annähernd doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Dies sei umso bedenklicher, da nur ein Drittel der Patienten der Hoch-Risiko-Gruppe angehörten. Auch Patienten, bei denen keinerlei Indikation für eine Tavi-Operation vorlag, seien gestorben.

Die Herzschrittmacher-Rate: In dem über 50 Seiten starken Gutachten der drei Mediziner heißt es weiter, bundesweit bräuchten 23,7 Prozent der Patienten nach einem Tavi-Eingriff einen Herzschrittmacher. Am Klinikum Bayreuth seien es mit 52,5 Prozent mehr als doppelt so viele gewesen.

Die Kranken-Akten: Schlechte Aktenführung, mehrere Akten für einen Patienten, schlecht auffindbare Akten. So können sich behandelnde Ärzte kein vollständiges Bild machen, bemängeln die Gutachter.

Höher schweigt: Prof. Martin Höher erklärte auf Anfrage, er wolle sich derzeit nicht äußern. Höher ist bis zur entscheidenden Sitzung des Aufsichtsrates und des Zweckverbandes am 8. Juli freigestellt. Er arbeitet derzeit nicht im Klinikum. Nach Kurier-Informationen erwägt er, mit einer einstweiligen Verfügung gegen seine Freistellung vorzugehen.

Mitarbeiter kämpfen um den Chefarzt

Für Chefarzt Martin Höher geht es um alles. Um seinen Ruf als Mediziner, um seine berufliche Zukunft. Für das Klinikum geht es um viel. Um das Aufarbeiten schwerer Vorwürfe, um das Vertrauen der Patienten. Am 8. Juli entscheiden Aufsichtsrat und Zweckverband der Klinikum Bayreuth GmbH, ob sie sich von Chefarzt Höher trennen.

Höher wird vorgeworfen, Patienten Herzklappen per Schlüssellochoperation (Tavi-Methode) eingesetzt zu haben, obwohl dies medizinisch nicht notwendig gewesen seil. Dabei soll es zu Komplikationen und zu Todesfällen gekommen sein. Höher wehrt sich – und findet Unterstützer in seinem Umfeld.

Der Brief: Bernhard Bender setzt sich für seinen Chef ein. In einem Brief an die Spitzen von Aufsichtsrat und Zweckverband,  Landrat Hermann Hübner und Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe, an alle Chefärzte im Klinikum und weitere Multiplikatoren betont der Oberarzt der Kardiologe: An der Tavi-Operationsmethode habe sich niemand bereichern wollen. Sie sei zum Wohl der Patienten eingesetzt worden. Bei einigen auf deren ausdrücklichen Wunsch – anstelle einer Operation am offenen Brustkorb.

Seit 2009 seien  im Klinikum fast 300 Tavi-Eingriffe bei älteren Patienten vorgenommen worden, sagt Bender.  „Ein Verfahren, bei dem eine biologische Herzklappe über eine Leistenarterie und die Hauptschlagader rückwärts gegen den Blutstrom mittels eines Kathetersystems an der Stelle der verkalkten Aortenklappe eingesetzt wird“. Die  Erfolgs- und Komplikationsraten lagen seinen Worten nach auf Bundesdurchschnitt. „Anders als durch Medien nahegelegt“, sei der Eingriff nur bei Patienten vorgenommen worden, die eine kritische Verengung der Herzklappe hatten und die  entweder nicht operabel waren oder einer konventionellen Operation nicht zugestimmt hatten. Bender: „Die Indikation war korrekt. Das gesamte Team um Prof. Höher  hat das Tavi-Verfahren in unserer Klinik etabliert und zum Gelingen beigetragen.“ Dies auch bei Patienten mit geringem oder überschaubarem  Operationsrisiko. Wenn die einer konventionellen Operation nicht zugestimmt hatten. Bender räumt ein: Es mag sein, dass damit  die finanziellen Überschüsse wuchsen. Überschüsse habe die  Kardiologie aber  seit Jahren und schon vor Einführung der Tavi-Methode  erwirtschaftet. „Es ist mehr als  boshaft und ehrenrührig, zu unterstellen, dass Tavi aus wirtschaftlichem Interesse auch ungerechtfertigt eingesetzt worden wäre.“ Man könne Zweckverband und Aufsichtsrat nur wünschen, dass sie Höher nicht Unrecht antun, sagt Bender.

Die Unterschriftenaktion: Derya Haxhiu leitet das Labor der Kardiologie, sie gehört zum Höher-Team. Und sagt: Höher muss Chefarzt bleiben. Dafür sammeln Mitarbeiter des Klinikums am heutigen Samstag von 12 bis 16 Uhr auf dem Stadtparkett am Markt Unterschriften.

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