Götterdämmerung: Ein Ring, sie zu knechten

Von Florian Zinnecker

Mit der Premiere von „Götterdämmerung“ setzt das Staatstheater Nürnberg den Schlusspunkt hinter ein „Ring“-Projekt, dem man in beinahe jedem Takt anmerkte, dass es mit allen Mitteln gewollt worden war. Aber leider nicht wegen einer besonders guten Idee. Sondern, weil man im „Ring“ einfach mal richtig laut sein kann.

 
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Wenn sich ein löchriges Regiekonzept einfach mit ein paar lauten Tubatönen stopfen ließe, hätte der Beifall nach der Nürnberger „Götterdämmerung“ wahrscheinlich kein Ende gefunden. Kann man aber nicht. Und so bleibt der Beifall nach fünf Stunden Musik eher: unentschlossen.

Aber um dem Abend gerecht zu werden, muss man natürlich an seinem Anfang anfangen, das heißt: bei den Worten „Muss das sein“, die ein Opernkartenbesitzer im Parkett seiner Partnerin ins Ohr raunt, noch bevor die drei Nornen zu singen begonnen haben. Die Nornenszene findet im Zuschauerraum statt, die Nornen klettern hinter, über und zwischen den Köpfen der Zuschauer umher und werfen einander das Seil des Schicksals zu, analoge Tonbänder, also: Technik, die längst veraltet ist, im Kontext einer Operninszenierung aber als zeitgenössisch und sogar modern gelten kann.

Analoge Schicksalsfäden

Das Tonband als Schicksalsfaden, das Seil des ewigen Wissens, das ist eigentlich ein schöner, passender Gedanke: Das Weltwissen liegt nicht in Köpfen, sondern auf einer schmalen Plastikspur, was nicht aufgezeichnet wurde, ist nicht passiert, regieanweisungsgemäß reißt dann das Band, und der Welt melden Weise nichts mehr. Später fesseln die Rheintöchter Siegfried mit den Resten des Bands, ihn fesseln seine Taten und Vergehen, da blitzt der gute Gedanke noch einmal auf. Aber dann ist er zu Ende und das konzeptionelle Pulver von Regisseur Georg Schmiedleitner ist verschossen, tiefgründiger wird es nicht mehr.

Kein ausgesprochener Freund der Sänger

Und leider schafft es Marcus Bosch am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg sogar kurzzeitig, die Nornen sogar dann zu überdecken, als sie noch mitten im Zuschauerraum stehen.

Die Premiere der „Götterdämmerung“ am Wochenende in Nürnberg beschließt ein „Ring“-Projekt, das in den letzten Zügen des Jahrs 2013 begann, als alle anderen Häuser ihre Wagner-Projekte gerade abschlossen, also in eine Phase leichter Wagner-Müdigkeit hinein. Die großen Partien wurden aus dem Ensemble besetzt, Vincent Wolfsteiner war ein tapferer Siegmund und ein tatsächlich unerschrockener Siegfried, ein Debüt, auf das Wolfsteiner und das Haus – bei aller Kraftanstrengung – stolz sein können. Antonio Yang, der vor allem in Walküre und Siegfried als Wotan und Wanderer begeisterte, sang im „Ring“-Finale den Alberich. Als Brünnhilde gastierte wieder Rachael Tovey, Jochen Kupfer sang Gunter, Ekaterina Godovanets sang Gutrune, Woong-Jo Choi war Hagen – ein Ensemble, aus dem einzig Roswitha Christina Müller als Waltraute herausstrahlte, und das mit Marcus Bosch am Pult keinen ausgemachten Sängerfreund sich zur Seite wusste. Sondern einen Dirigenten, der um den Hubraum des Orchesters, dessen Generalmusikdirektor er ist, weiß und die Gelegenheit nutzt, die Pferdestärken bis zum letzten Meter voll auszufahren.

Der Ring blieb flach

Es war nicht langweilig oder farblos, was Bosch aus der Partitur holte, immer wieder blitzten herauspolierte Details durch, nur: Die Musik des „Rings“, der – wie nur wenige andere Werke – mindestens dreidimensional klingt, blieb bei ihm flach, den fehlenden Tiefgang sollte Kraft ausgleichen, das ging vor allem den Solo-Bläsern im Lauf des Abends mehr und mehr an die Substanz.

Die Probleme der Regie

Und das ist auch der Punkt, auf den sich Georg Schmiedleitners Regie bringen lässt: laut, aber uninspiriert. Gunter und Gutrune spielen Ballerspiele auf Großleinwand, unter der Gibichungenhalle campieren Flüchtlinge, die von Hagens Mannen zusammengeschlagen werden, am Ende rufen Brünnhilde und die Rheintöchter per Twitter zum Umsturz auf. Schmiedleitner zeigt eine Welt, die nicht mehr tragbar ist und sogar zu verkommen, um unterzugehen. Er traut der Lösung nicht, die Wagner komponiert hat, hat aber auch keine bessere Idee; der Weltenbrand am Ende findet auf den Smartphone-Displays des Herrenchors statt. Ob das nun gut ist oder schlecht – auch schon egal.

Und deshalb ist der Nürnberger „Ring“ trotz allem unbedingt sehenswert: weil man sich die Probleme heutiger Musiktheaterregie selten so gut aus der Nähe ansehen kann.

INFO: Weitere Vorstellungen am 18. und 25. Oktober, 1. und 29. November, 13., 20. und 27. Dezember sowie am 24. Januar; der komplette „Ring“ wird in der Spielzeit 2016/17 zu sehen sein. Karten unter www.staatstheater.nuernberg.de