Gesundheitswesen Professionen Hand in Hand

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Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in Oberfranken weiter steigen. Fachkräfte denken über neue Möglichkeiten der Kooperation nach, um die Versorgung zu verbessern. Foto: Tobias Kleinschmidt/dpa

Die Krise im Gesundheitswesen erfordert mehr Zusammenarbeit, sagt Sandra Bittermann. Die Kulmbacher Ergotherapeutin bringt ihre Berufserfahrungen in einem neuen Studiengang ein.

 
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Beschäftigte aus den Pflegeberufen sind in den vergangenen Wochen vielerorts in Deutschland auf die Straße gegangen. Sie demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen.

Auch in den verschiedenen Branchen der Sozial- und Erziehungsdienste wird die Forderung nach mehr Personal laut. Von den Kliniken bis zu den Kitas – der Fachkräftemangel ist jetzt schon enorm. Zuletzt haben Beschäftigte am Donnerstag anlässlich des Internationalen Tags der Pflegenden mehr Wertschätzung und eine Aufwertung ihres Berufs verlangt.

Besonders im ländlichen Raum gilt die Lage angesichts des demografischen Wandels als schwierig. Der Anteil älterer Menschen nimmt zu. Das bedeutet einen Zuwachs an altersbedingten Krankheiten. Vor welcher Zukunft stehen die Berufe im Gesundheits- und Sozialsystem? Ergotherapeutin Sandra Bittermann sucht nach Antworten. „Wir können es uns nicht länger leisten, dass wir aneinander vorbei arbeiten“, sagt die Kulmbacherin. Sie setzt große Hoffnungen auf eine zunehmend interprofessionelle Gesundheitsversorgung und damit auf Kooperationen über die Grenzen des eigenen Fachgebiets hinaus.

Beispiel Schlaganfall

Die Kulmbacherin nennt als Beispiel einen Schlaganfallpatienten. Er erhält Ergo-, Physio- und Logopädie. Zusätzlich kommt zum Patienten der ambulante Pflegedienst nach Hause. Im schlimmsten Fall weiß die eine Fachkraft nicht, was die andere getan hat. Im besten Fall arbeiten künftig die verschiedenen Professionen Hand in Hand. „Die Kooperation steigert nicht nur das Wohl des Patienten, sondern auch die Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte“, sagt Sandra Bittermann. Diverse Studien haben das bewiesen. Allerdings sei es kein leichter Weg, die Berufsgruppen zusammenzuführen und zum Austausch zu bringen. Ganz konkret gibt es Schwierigkeiten mit dem Datenschutz, mit dem Abrechnungssystem und der digitalen Infrastruktur. Und das sind nur drei Beispiele in einer langen Liste. Dennoch führt aus Sicht der Ergotherapeutin kein Weg vorbei an einer engeren Verzahnung der einzelnen Fachrichtungen.

Corona als Verstärker

Pflegekräfte und Therapeutinnen sind in ganz Deutschland am Limit oder jenseits ihrer Belastungsgrenze. Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen spielen Beschäftigte mit dem Gedanken, Stunden zu reduzieren oder ihre Stelle zu kündigen und einen anderen Beruf zu suchen. Nach Auskunft von Verbänden haben etliche schon ganz aufgegeben. Corona hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Pandemie kam 2020 als zusätzliche Belastung dazu und verstärkte vielerorts die Problematik. Die Corona-Krise hat gezeigt, wie groß der Handlungsbedarf in dem gesamten Sektor ist. Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem, betonte zuletzt der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe.

Unter diesen Bedingungen finden sich immer schwieriger Nachwuchskräfte, weil Gesundheitsberufe als unattraktiv gelten. Dabei haben sie viel zu bieten. Neue Lösungen und Denkansätze sind gefragt, sagt Sandra Bittermann. Es braucht insgesamt fairere Arbeitsbedingungen. Konstruktive Kooperation kann eine Antwort sein. „Wir sollten gemeinsam selbstbewusst auftreten und gemeinsam die Möglichkeiten entdecken, wie wir unsere Arbeitssituationen verbessern können.“

Erkenntnisse der Forschung

Angesichts des demografischen Wandels, der Digitalisierung und künftiger Herausforderungen müsse das deutsche Gesundheitssystem passend weiterentwickelt werden, teilt auch das Bundesgesundheitsministerium mit. Neue Forschungserkenntnisse der Gesundheitsversorgung sollen nach dem Wunsch des Ministeriums dabei helfen. Eine gemeinsame wissenschaftliche Basis sei entscheidend, sagt Sandra Bittermann. Sie arbeitet als Ergotherapeutin bei der Interdisziplinären Frühförderung und Frühberatung des AWO-Kreisverbandes Kulmbach. Bei ihrer Tätigkeit im pädiatrischen Bereich mit Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren ist sie in einem engen Austausch mit anderen Professionen.

Dieser Austausch funktioniere bei den Einrichtungen im Landkreis Kulmbach schon sehr gut. Dennoch gibt es mit Blick auf die vielen komplexen Herausforderungen im Gesundheitssystem viele Ansatzpunkte, um die Versorgung für die Patientinnen und Patienten passender zu machen. „Eine bessere interprofessionelle Zusammenarbeit kann gerade im ländlichen Raum ein Schlüssel sein“, sagt die Kulmbacherin. Alle Seiten würden davon profitieren. Wenn alle gleichermaßen gehört werden, dann steigt die Bereitschaft zur Mitarbeit

Berufserfahrung im Studium

Um das Thema zu vertiefen und voranzutreiben, hat Sandra Bittermann im vergangenen Jahr mit dem Studium Interprofessionelle Gesundheitsversorgung begonnen. „Es knüpft an meine praktische Berufstätigkeit an.“ Berufserfahrene aus der Gesundheits-, Kranken- und Kinderkrankenpflege, aus der Heilerziehungspflege, der Altenpflege sowie der Logopädie und der Physio-, und Ergotherapie werden nebenberuflich im Online-Studium an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin zum Bachelor Interprofessionelle Gesundheitsversorgung ausgebildet.

„Ich empfinde es als sehr bereichernd, mit 43 Jahren diesen Schritt zu gehen und ein Studium zu beginnen“, sagt die Kulmbacherin, die zu den ersten Studentinnen gehört, die sich für den recht neuen Studiengang eingeschrieben haben. „Es wäre schön, andere zum Studium zu ermutigen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.“

Durch das Online-Format und das berufsbegleitende Teilzeitstudium können alle in ihrer Region bleiben und trotzdem an dem kostenlosen Angebot teilhaben. „Es ist ein sehr wertschätzender Studiengang.“ Berufserfahrungen seinen ausdrücklich erwünscht. „Es ist sehr spannend, weil ich in die anderen Berufsgruppen Einblicke bekomme. Zu Beginn hatte ich Respekt vor dem Online-Format und den Computer-Anwendungen. Aber alle Teilnehmenden unterstützen sich in technischen Fragen gegenseitig“, sagt Sandra Bittermann.

Kommunikation ist ein ganz wichtiges Modul, das sich durch alle sechs Semester zieht. Dabei geht es einerseits darum, wie die Berufsgruppen miteinander kommunizieren und lernen, in der medizinischen Arbeit dieselbe Sprache zu sprechen. „Andererseits fragen wir uns, wie sich die Kommunikation zu den Patientinnen und Patienten verbessern lässt.“Im Studium klappe die interprofessionelle Teamarbeit bislang bestens, stellt die Kulmbacherin fest. Sie würde sich freuen, wenn in Zukunft noch mehr Beschäftigte aus den Therapie- und Pflegeberufen den Blick über den Tellerrand wagen.

Infotag

Am Studieninfotag am Dienstag, 31. Mai, stellt die Alice-Salomon-Hochschule Berlin den Studiengang Interprofessionelle Gesundheitsversorgung vor. Von 17 bis 19 Uhr findet ein Online-Kennenlernen statt, an dem auch die Kulmbacherin Sandra Bittermann teilnimmt. Informationen gibt es im Internet unter www.ash-berlin.eu.red

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