Gesundheitsministerium rügt Vorgehen der Kasse beim Krankengeld – AOK: Keine Patienten unter Druck gesetzt AOK will Kranke in Rente drängen

Von Peter Engelbrecht
Kerstin Kunert, AOK, Bindlacher Berg am 22.07.2014. Foto: Ronald Wittek Foto: red

„Die AOK will Krankengeld sparen und versucht, Leute unter Druck zu setzen.“ Kerstin Kunert erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bayreuther Krankenkasse. Auch Rechtsanwältin Anke Elßner und die Psychosoziale Krebsberatungsstelle Bayreuth rügen das Verhalten.

 
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Kunert findet kritische Worte über das Verhalten der AOK beim Krankengeld, die Krankenkasse will offenbar Schwerkranke in die Rente abschieben, weil sie zu teuer sind. Ihr im April 2014 an Krebs verstorbener Mann Richard Kunert nahm Krankengeld zeitweise in Anspruch. „Nur mit einem Rechtsanwalt bekommt man Recht bei der AOK“, lautet der Vorwurf der Bindlacherin. Sie war über das Vorgehen der AOK so empört, dass sie die Rechtsaufsicht der Kasse, das Bayerische Gesundheitsministerium, eingeschaltet hat. Und das Ministerium rügte die Kasse scharf.

Die AOK Direktion Bayreuth-Kulmbach hatte den schwer kranken Richard Kunert am 26. April 2013 schriftlich aufgefordert, binnen 14 Tagen einen Reha-Antrag abzugeben. Und die Kasse drohte in dem Brief, das Krankengeld einzustellen, wenn er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkomme. Dessen Rechtsanwältin Anke Elßner aus Bayreuth bezeichnete den Bescheid als rechtswidrig, da die gesetzliche Frist zehn Wochen beträgt. Und: Eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlte überhaupt.

Das Gesundheitsministerium teilte Richard Kunert am 26. Februar 2014 folgendes mit: „Die AOK Bayern hat zwischenzeitlich eingeräumt, dass der Hinweis auf die Krankengeldeinstellung bei fehlender Mitwirkung missverständlich und der von der AOK Bayern verwendete Brief zwischenzeitlich geändert wurde.“ Die AOK habe weiterhin eingeräumt, dass sie nicht berechtigt gewesen sei, ihre Versicherten zu einer formellen Rentenantragsstellung aufzufordern. Dies sei „irrtümlich falsch dargestellt worden“, wofür sich die AOK entschuldigt habe. Der Grund hierfür sei ein fehlerhaftes Schreiben eines Mitarbeiters gewesen. Auch bei einem weiteren Brief, wonach kein weiterer Krankengeldanspruch bestehe, räumte die AOK „eine bedauerliche Fehlbeurteilung eines Mitarbeiters“ ein. Und: Sie versicherte gegenüber dem Ministerium, dass die Krankengeldzahlung erst mit Zustellung des Rentenbescheids eingestellt werde. Das Ministerium zeigte sich davon überzeugt, dass die Krankengeldfallbearbeitung der AOK „künftig rechtlich zutreffend erfolgen wird.“

Kerstin Kunert spricht von „Psychoterror“, es habe nie eine Entschuldigung für das Fehlverhalten gegeben. Auch ihr schwer kranker Mann sie durch die fälschliche Ankündigung der AOK, kein Krankengeld mehr zu zahlen, sehr belastet worden. „Er hat gemerkt, dass es um unsere Existenz geht“, berichtet Kunert. Nach einer Krankheit gibt es sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, dann folgen bis zu 78 Wochen Krankengeld durch die Kasse. Krankengeld ist eine Lohnersatzleistung. Die AOK habe versucht, ihren Mann in die Rente abzuschieben, er habe gedacht, „ich bin ein Krüppel, ich werde sterben“, schildert sie seine damalige Befindlichkeit. Inzwischen ist sie aus der AOK ausgetreten, „ich habe kein Vertrauen mehr in eine solche Krankenkasse.“

Auch die Bayreuther Rechtsanwältin Elßner kritisiert die Praktiken der AOK, Krankengeld zu verweigern. Mehrere krankgeschriebene Mandanten hätten davon berichtet, dass sie angerufen worden seien, wieder auf die Arbeit zu gehen. Fachärztliche Atteste würden einfach ignoriert. Insbesondere in den letzten Monaten des Jahres sei die Ablehnung von Krankengeld gehäuft zu beobachten. Die rechtliche Aufklärung (Rechtsbehelfsbelehrung für einen Widerspruch) sei mehr als bedenklich.

Karin Schulz von der Psychosozialen Krebsberatungsstelle in Bayreuth spricht von ähnlichen Erfahrungen. Hier gehe es um Sparmaßnahmen. Sie kennt nach eigenen Angaben mindestens ein Dutzend entsprechender Fälle in einem Zeitraum von einem Jahr. Krebskranke Patienten würden von der Krankenkasse angerufen und aufgefordert, wieder zu arbeiten. „Auch wenn sie in Therapien sind“, sagt Schulz. Viele Klienten fühlten sich durch dieses Vorgehen verunsichert. Im vergangenen Jahr habe der Druck auf die schwer kranken Patienten zugenommen, weiß Schulz. Um welche Krankenkasse es sich konkret handelt, wollte sie nicht sagen. „Es gibt Krankenkassen, da höre ich nichts davon“, meinte sie.

Auch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland hatte Anfang Juli 2014 in Berlin beklagt, dass schwer kranken Menschen ungerechtfertigt das Krankengeld verweigert wird (wir berichteten). Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, forderte die Krankenkassen auf, sich an die Gesetze zu halten.

Die AOK in Bayreuth räumt auf Anfrage ein, bei der Zwei-Wochen-Frist einen Fehler gemacht zu haben. „Die Versicherten werden nicht unter Druck gesetzt“, widerspricht Rudolf Hartmann den Vorwürfen. Er ist bei der AOK Direktion Bayreuth-Kulmbach für die Koordination der Krankengeldzahlungen zuständig. „Das tut mir leid“, sagt Hartmann zum Verlauf des Falles Kunert. Der Sachbearbeiter hätte im ersten Schreiben die Frist besser erklären müssen. Die beiden Fehler seien „sofort revidiert“ worden. Die Vorwürfe nennt Hartmann unverständlich: Schließlich habe die Direktion Bayreuth-Kulmbach vor kurzem bei einer bayernweiten Kundenbefragung bei der Zufriedenheit den vierten Platz belegt.

Das Bayerische Gesundheitsministerium will sich aus Datenschutzgründen zu dem konkreten Fall nicht äußern. Bei Krankengeldzahlungen komme es auch in Bayern „durchaus zu Konfliktfällen“, die nicht nur die AOK beträfen, sagt eine Sprecherin. Die Krankenkassen seien gesetzlich verpflichtet, die Versicherten über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären und zu beraten.

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