Die Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, Maria Loheide, forderte: "Wenn die Pflege vor dem Kollaps bewahrt werden soll, muss die Politik schnell umsteuern." Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warf Lauterbach vor, von eigenem Versagen abzulenken. Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink versicherte: "Unser Ziel bleibt es, dass Pflege gerecht und verlässlich finanziert wird, und das so schnell wie möglich."
Leistungsniveau nicht zu halten
Das Leistungsniveau der Pflegeversicherung kann nach Einschätzung von Lauterbach mit dem jetzigen Beitragssystem allein nicht erhalten werden, wie er deutlich machte. Laut bisherigen Prognosen erhöht sich die Zahl der Pflegebedürftigen binnen 15 Jahren von heute rund fünf auf sechs Millionen, ein besonders starker Anstieg ist aufgrund der Demografie etwa in Bayern und Baden-Württemberg zu erwarten. Zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte werden laut Statistischem Bundesamt bis 2049 bundesweit fehlen.
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) warf der Regierung vor, nur kurzfristig Finanzierungslöcher zu stopfen. Zum vergangenen Juli hatte die Koalition eine Beitragserhöhung für Kinderlose auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent beschlossen. Die Betriebskrankenkassen schlugen Anfang Mai mit Hochrechnungen Alarm, nach denen der Pflegeversicherung 2024 ein Defizit von einer Milliarde Euro droht - und für 2025 von 4,4 Milliarden. Diakonie-Expertin Loheide hatte bereits zum Tag der Pflegenden im Mai gemahnt: "Wenn das Geld der Pflegeversicherung nicht mehr ausreicht, ist die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen gefährdet." Kassen und Kommunen ignorierten bereits oft den Anstieg der Personalkosten.
Union: Bankrotterklärung Lauterbachs
Eine Bankrotterklärung - so der Vorwurf der Union an Lauterbach und die Regierung. "Das ist für die Ampel ein Scheitern mit Ansage", sagte CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge. "Wenn die Koalitionäre keine Lösungen mehr finden, weil ihre Ansichten zu weit auseinander liegen, dann sollten sie den Gestaltungsanspruch im Gesundheitsbereich aufgeben." Bayerns CSU-Fraktionschef und Ex-Gesundheitsminister Klaus Holetschek sagte: "Die geplante große Pflegeform in der nächsten Wahlperiode kommt viel zu spät." Holetschek forderte eine Lohnersatzleistung wie beim Elterngeld für pflegende Angehörige.
Die Angehörigen gelten seit Langem als "der größte Pflegedienst Deutschlands". Doch viele Familien seien seelisch, körperlich und finanziell am Ende, mahnte die Stiftung Patientenschutz. "Damit die Bundesregierung unmittelbar helfen kann, muss das Pflegegeld sofort und pauschal um 300 Euro erhöht werden", forderte Brysch.
Pflegepersonal fehlt
Laut einer Befragung des Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege vom Februar müssen vier von fünf Pflegeeinrichtungen ihr Angebot einschränken, weil Personal fehlt. Neun von zehn ambulanten Dienste lehnten 2023 Neukunden ab. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg führt Pflegekräfte an der ersten Position unter allen Engpass-Berufen. Dabei waren vergangenes Jahr 10.000 Beschäftigte mehr als im Vorjahr in der Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege im Job - knapp 1,7 Millionen. 82 Prozent aller Pflegekräfte sind Frauen. Mehr als jede Zweite arbeitet in Teilzeit.
Die Pflege im Heim wird unterdessen immer teurer. Die Zuzahlungen für Pflegebedürftige stiegen trotz Entlastungszuschlägen zum 1. Januar im Bundesschnitt auf 2576 Euro pro Monat - 165 Euro mehr als Anfang 2023. Lauterbach hatte bereits bisher deutlich gemacht, dass er die reine Beitragsfinanzierung der Pflegeversicherung vor dem möglichen Ende sieht. Langfristig komme man um Steuermittel hierfür nicht herum, sagte er im April auf der Altenpflegemesse in Essen.