Israels Armee wies die Berichte zurück. Der Luftangriff habe sich nicht in der humanitären Zone Al-Mawasi ereignet. Die Armee teilte weiterhin mit, Vorkehrungen getroffen zu haben, um das Risiko für Zivilisten zu verringern. So seien etwa präzise Munition eingesetzt und das Gebiet aus der Luft überwacht worden.
In sozialen Medien kursierten verstörende Videos, die zeigten, wie verkohlte Leichen aus brennenden Zelten geborgen wurden. Der palästinensische Rettungsdienst berichtete von "Horror-Szenen", Krankenwagen hätten viele Tote und Verletzte transportiert.
Israels Militäranwältin: "Sehr schwerwiegender Vorfall"
Israels oberste Militäranwältin stufte den Angriff in Rafah als "sehr schwerwiegenden" Vorfall ein. "Es liegt in der Natur der Sache, dass in einem Krieg von diesem Umfang und dieser Intensität auch schwerwiegende Vorfälle passieren", sagte Generalmajor Jifat Tomer-Jeruschalmi bei einer Juristenkonferenz in Eilat. "Ein Teil der Vorfälle - wie jener gestern in Rafah - sind sehr schwerwiegend."
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen kritisierte: "Wir sind entsetzt angesichts dieses tödlichen Vorfalls, der einmal mehr zeigt, dass es (im Gazastreifen) nirgends sicher ist."
Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte Israel verpflichtet, den Militäreinsatz in Rafah unverzüglich zu beenden. Es dürften keine Lebensbedingungen geschaffen werden, "die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza führen könnten". Das höchste UN-Gericht ordnete aber keine Waffenruhe für Gaza an. Entscheidungen des Weltgerichts sind bindend. Allerdings besitzen die UN-Richter keine Mittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.
Das Außenministerium in Jerusalem teilte nach dem Urteil mit, Israel habe in Rafah keine Militäraktionen durchgeführt, die Lebensbedingungen schafften, "die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Zivilbevölkerung führen könnten". Nach Medienberichten interpretierte der israelische Richter Aharon Barak das Urteil so, dass kein vollständiger Stopp der Militäroffensive in Rafah angeordnet worden sei.
Die Hamas hatte erstmals seit vier Monaten wieder Raketen auf den Großraum Tel Aviv gefeuert - nach Armeeangaben handelte es sich um acht Geschosse, die aus Rafah abgefeuert wurden. In Herzlija nördlich von Tel Aviv wurde ein Haus von Raketenteilen getroffen und beschädigt.
Bundesregierung: Untersuchung zu Angriff in Rafah abwarten
Die Bundesregierung geht davon aus, dass es im Zusammenhang mit dem Angriff einen Fehler der israelischen Seite gegeben habe. Derzeit liefen in Israel Untersuchungen, ob es sich um einen gezielten Angriff gehandelt habe, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. "Auf alle Fälle ist ein Fehler passiert, das kann man jetzt schon sagen", fügte er hinzu. Es müsse noch die Frage der Motivation für den Angriff geprüft werden.
Auf Nachfragen sagte Hebestreit: "Der Schluss, ob das ein Kriegsverbrechen ist im Sinne des Völkerrechtes, das ist etwas, was man Juristen überlassen muss, die die genauen Sachverhalte kennen." Der Regierungssprecher mahnte: "Erst mal untersuchen, was genau passiert ist und dann urteilen. Und nicht anhand von Bildern sofort ein Urteil fällen." Angesichts der jüngsten Raketenangriffe aus Rafah auf Tel Aviv betonte Hebestreit zugleich: "Israel hat das Recht, sich zu verteidigen im Rahmen des Völkerrechts."
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) hätten immer wieder deutlich gemacht, "dass sich Israel bei seiner gerechtfertigten Verteidigung gegen die Terrororganisation Hamas an das Völkerrecht zu halten hat. Und das gilt in allen Fällen", sagte Hebestreit. Auf die Frage, ob Habeck mit seiner Äußerung vom Wochenende, militärische Angriffe auf Flüchtlingslager seien mit dem Völkerrecht nicht vereinbar, die Haltung der gesamten Bundesregierung vertrete, sagte Hebestreit: "Ja".
Baerbock sagte in Brüssel: "Es gab weitere Raketen auf Tel Aviv von der Hamas und zugleich sehen wir, dass es kein Gewinn für Israels Sicherheit ist, dass keine Geisel freikommt, wenn jetzt Menschen in Zelten verbrennen.". Die Grünen-Politikerin sagte weiter: "Das internationale Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht, das gilt für alle." Auch Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) seien bindend und müssten natürlich befolgt werden, sagte Baerbock. "Wir erleben gerade das Gegenteil."
Frankreich und arabische Staaten empört
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron reagierte empört auf den Angriff in Rafah. "Diese Operationen müssen aufhören", schrieb Macron auf X. Es gebe keine sicheren Zonen für palästinensische Zivilisten in Rafah. Macron rief zu einer sofortigen Feuerpause und zu einer vollständigen Einhaltung des internationalen Rechts auf.
Auch mehrere arabische Staaten verurteilten den Angriff aufs Schärfste. Israels "absichtliche Bombardierung der Zelte der Geflüchteten" stelle einen "neuen und eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht" dar, kritisierte das ägyptische Außenministerium. Jordanien verurteilte die "eklatante Missachtung der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs" scharf. Das Außenministerium in Amman bezeichnete den jüngsten Angriff als "abscheuliches Kriegsverbrechen der israelischen Besatzungstruppen im Gazastreifen".
Bemühungen um Waffenruhe erhalten Dämpfer
Wegen des tödlichen israelischen Luftangriffs in Rafah setzte die islamistische Palästinenserorganisation Hamas ihre Teilnahme an den Verhandlungen über eine Waffenruhe vorerst aus. Dies teilten Hamas-Repräsentanten der dpa mit.
Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, bei denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln, waren zuletzt nach mehrtägigen Gesprächen in Kairo und Doha in eine Sackgasse geraten. Medienberichten zufolge sollten sie in dieser Woche "auf der Basis neuer Vorschläge" wiederaufgenommen werden.
Auslöser des Gaza-Kriegs war ein Terroranschlag der Hamas im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober. Mehr als 1200 Menschen wurden getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Bei der israelischen Offensive im Gazastreifen wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 36.000 Menschen getötet.