Für Feinschmecker besteht keine Gefahr 29 Jahre nach Tschernobyl: Wildschweine in der Region weiterhin belastet

Von Sarah Bernhard
Ob dieses Wildschwein in den Handel kommen wird, wissen die Jäger noch nicht: Erstmal muss es auf seinen Cäsiumgehalt überprüft werden. Fraß das Schwein gerne Trüffel, könnte es eng werden.Foto: Philipp Schulze/dpa Foto: red

Die Folgen von Tschernobyl spüren Jäger in der Region noch heute: Jedes Jahr schießen sie Wildschweine, die radioaktiv belastet sind. Wie viele es sind, hängt 29 Jahre nach dem Gau von ganz bestimmten Faktoren ab.

 
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Am ehesten trifft es die Feinschmecker. Nicht die menschlichen. Sondern die unter den Wildschweinen. Die nämlich, die gerne Hirschtrüffel fressen. Dieser Pilz wächst unterirdisch – und ist im Moment der am höchsten radioaktiv belastete Pilz der Region.

Das liegt daran, dass das radioaktive Cäsium, das mit dem Regen in die Region kam, seit 29 Jahren nur langsam in den Waldboden wandert, sagt Monika Hotopp vom Bundesamt für Strahlenschutz. Denn Cäsium ist eigentlich sehr mobil: Es wird von Bäumen aufgenommen, die es im Herbst mit den Blättern oder Tannennadeln wieder abwerfen, von wo es wieder in den Boden und über die Wurzeln in die Pflanzen dringt.

Kontaminierte Schicht auf Trüffelhöhe

Besonders hoch ist die Konzentration also nur in der Bodenschicht, die 1986 Waldboden war. Die ist gerade auf Hirschtrüffel-Höhe. Und weil der Pilz ein weit verzweigtes Wurzelwerk hat, kann er besonders viele der radioaktiven Teilchen aufnehmen.

Den Landkreis Kulmbach mag der Hirschtrüffel, der für Menschen ungenießbar ist, lieber als den Landkreis Bayreuth: Während um Bayreuth seit Anfang des Jahres 20 belastete Wildsauen geschossen wurden, waren es um Kulmbach herum rund 40.

Jahresanfang ist besonders kritisch

„Das Bild ist aber ein bisschen verzerrt“, sagt Erwin Burger vom Landratsamt Kulmbach. Weil Wildschweine im Frühjahr, wenn auf den Feldern nichts wächst, besonders motiviert nach Hirschtrüffeln wühlen. „Jetzt hat sich das schon wieder normalisiert. In den letzten Wochen hatten wir gar nichts.“

Doch selbst wenn ein radioaktiv belastetes Schwein geschossen wird, auf dem Teller wird es niemals landen, sagt Peter Müller, Chef des Jagdvereins in Kulmbach: Sowohl in Bayreuth als auch in Kulmbach wird jedes Schwein untersucht, bevor es in den Handel kommt.

Grenzwert: 500 Lichtblitze pro Sekunde

Dazu wird ein Kilo Fleisch im Mixer püriert und in ein Messgerät gegeben, „ohne Fett und Sehnen, da ist nämlich weniger Radiocäsium drin“, sagt Hubertus Wagner vom Institut für Fleischforschung in Kulmbach. Durch den radioaktiven Zerfall der Atome im Fleischmus entsteht Gammastrahlung, die in einem Kristall im Messgerät Lichtblitze erzeugt. Sind es mehr als 500 pro Sekunde, ist der selbst gesetzte Grenzwert überschritten. Das Wildschwein wird aussortiert, der Jäger bekommt eine Entschädigung.

Offiziell liegt der Grenzwert höher als der, den sich die Jäger gegeben haben: Nicht 500 sondern 600 Becquerel sind laut Gesetz das Maximum, mit dem ein Wildschwein strahlen darf. „Weil die Messstation nicht so hochwertig ist wie eine staatliche, wurde der Grenzwert gesenkt“, sagt Burger, der auch für die Lebensmittelüberwachung im Landkreis Kulmbach zuständig ist. Die Messgeräte wurden von den Jägern selbst finanziert.

Radioaktives Menü ist kein Problem

Doch selbst wenn man sich aus Versehen ein radioaktiv belastetes Menü aus Wildschweinbraten mit Pilzrahmsauce zusammenstellen würde, wäre das kein Problem, sagt Michael Benz, Sprecher des Landratsamts Bayreuth. „Nur wer sich fast ausschließlich von Wildschweinen und Pilzen ernährt, wäre nach längerer Zeit von einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebserkrankungen betroffen.“

Wer sich statt Wildschwein Reh- und Rotwild und statt Pilzen Getreide und Gemüse auf den Teller legt, ist schon länger wieder auf der sicheren Seite: Diese Lebensmittel kann man seit kurz nach der Katastrophe wieder bedenkenlos essen. Denn im Ackerboden wird das Cäsium von Tonmineralien gebunden und gelangt deshalb gar nicht mehr in den Kreislauf.

Bald wird alles gut

Tonmineralien gibt es übrigens auch tiefer im Waldboden. In ein paar Jahren, wenn die belastete Bodenschicht bis dorthin gewandert ist, werden sie das Cäsium absorbieren. Und dann werden Hirschtrüffel auch für tierische Feinschmecker wieder genießbar sein.

Noch mehr Wildschwein könnte auf die fränkischen Teller kommen, wenn Jäger mit Nachtsichtgeräten jagen dürften.

Die Jäger in Stadtsteinach probieren noch eine andere Methode aus: das Saufanggatter. Das gefällt nur wenigen.

Egozentrische Schweine gibt es nicht nur bei der Trüffeljagd, sondern auch im Straßenverkehr.

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