Freunde fürs Leben Ein Mann und sein Instrument: Horst Greiner (73) ist Gründer des Harmonika-Clubs

Von Ulrike Schuster
Freunde fürs Leben: Akkordeonspieler Horst Greiner und sein Instrument. Foto: Wittek Foto: red

Seit 55 Jahren ist Horst Greiner Mitglied des 
Harmonika-Clubs Bayreuth, 23 Jahre lang war er Vorsitzender. Niemand kennt den Verein 
so gut wie er. Eine Reise mit ihm und dem Akkordeon durch die Zeit.

 
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Er sieht nicht aus, wie man sich einen Akkordeonspieler vorstellt: kein Gamsbart, kein Janker, keine Schärpe. Horst Greiner trägt schwarz, vom Scheitel bis zum Fuß. „Mit Volksmusik und Volkstümlichkeit haben wir Akkordeonspieler gar nicht so viel zu tun." Umso mehr ärgert es ihn, dass die „Quetschkommode" und der alleinunterhaltende Seicht-Leierer für die meisten Leute wie selbstverständlich zusammengehören.

„Für uns ist das Akkordeon ein Konzertinstrument. Wir spielen auch Opern, Operetten, interpretieren Popstücke neu", sagt Greiner. Bäuerlich-dörflich wollen sie nicht sein. Nicht nur Unterhaltungsmusik spielen. Dabei fing Horst Greiners Akkordeon-Karriere genau so an. Auf dem Land. In Görschnitz im Markt Weidenberg.

„Ich, bitte, ich"

Elf Jahre war er alt, als der Lehrer fragte, wer denn alles ein Instrument lernen wolle. „Ich, bitte, ich", schrie Horst. Infrage kam nur das Akkordeon. Nach dem Krieg war kein Geld da, an ein Klavier oder eine Geige nicht zu denken. Die Harmonika lieh ihm ein Verwandter. „Ein großes Glück", sagt Greiner. „Zwar nix Gscheits, aber zum Lernen hat's getaugt."

Heute besitzt er vier Instrumente, sein wertvollstes: das Stück vom italienischen Akkordeonbauer „Morino" – 60 Zentimeter hoch, 13,3 Kilogramm schwer, geschützt von einem grauen Stahlkoffer mit grünem Samt-Innenfutter. Jede der 41 Tasten glänzt, jeder Knopf, jedes Register scheint poliert, kein Staubkorn liegt auf dem Balg, der den Diskant auf der rechten und den Bass auf der linken Seite miteinander verbindet. Die Instrumententeile zu benennen, die Töne auseinanderzuhalten und in der Gruppe zu spielen, lernte er von Herrn Goldmann, dem Musiklehrer. Der fuhr auf seinem Moped das Bayreuther Land ab, sammelte eine Handvoll Buben ein und verfrachtete sie in die Stube eines befreundeten Bauern. Mehr als einen Notenbogen hatte Goldmann nicht dabei. Also kopierten sie. Mit der Hand, in Schönschrift. Sonst setzte es Hosenspanner. 2,50 D-Mark war das Akkordeonspiel Greiners Eltern pro Monat wert. Viel Geld, bei einem väterlichen Monatslohn von 50 D-Mark. Also übte er, täglich, damit sich die Investition auch lohnte: die ersten sieben Jahre allein in der Dachkammer, dann mit anderen Harmonikern im Wirtshaus.

Im Sommer 1958 gründete Greiner mit 24 Mitspielern den 1. Harmonika-Club Bayreuth (HCB). „Wir nannten ihn den ersten, damit sich kein zweiter neben uns bildet", sagt Greiner und lacht. Sie spielten den Schlager „Die Capri-Fischer", „Beim Kronenwirt" und „La Paloma" von Freddy Quinn. Ihr erstes Konzert spielten sie in der Rosenau. Der Anlass: ein Elternabend des Stenografenvereins. Greiner erinnert sich noch heute an die Worte des Bayreuther Musikkritikers Erich Rappl: „Spielen ganz gut. Obwohl sie nur mit der rechten Hand spielen." Der Bass, also die linke Handseite mit den den vielen Knöpfchen, bleibt im Orchester unberührt. Die spielen nur die Alleinunterhalter. Im Orchester hat die linke Hand frei.

Proben in Wirtshäusern

Geprobt haben sie damals in den Wirtshäusern der Stadt. Mal ein halbes, mal ein ganzes Jahr – immer so lange, bis des Wirtes Ohr die Proben nicht mehr ertragen mochte – „Üben ist ja nie schön" – und er „die gesamte Mannschaft hinauskatapultierte". Das muss der Grund gewesen sein, denn am Umsatz kann es nicht gelegen haben, ist Greiner überzeugt. „Damals war Vereinskultur noch richtig Vereinskultur." Da habe es nach jeder Probe noch viele Partien Schafkopf mit Schmalzbroten und Weißbier gegeben.

Vor Mitternacht machte sich keiner auf den Nachhauseweg. „Das Motto hieß: Der HCB ist flexibel." Greiner übersetzt das mit: „Wir waren schwer unterwegs." In den Tanz- und Jazzbars von Bayreuth. Sie tanzten zu Foxtrott, Walzer, Samba und Charleston. Die Frau mit dem Mann, nach höflichster Aufforderung. „Wir wollten Kontakt haben, mit Menschen." Auf dieser Börse lernte er auch Frau Brigitte kennen. Greiner seufzt und nimmt einen Schluck Weißwein – „was für die Gesundheit", sagt der 73-Jährige. „Heute ist alles professioneller."

Es gehe fast ausschließlich um die Musik. Die Jungen kämen, probten, gingen. Und obwohl der Tag immer noch 24 Stunden habe, hätten die jungen Leute immer weniger Zeit. Aber er freue sich schon, wenn sie nicht alle aus Bayreuth weggingen und damit auch den Verein hinter sich ließen. Horst Greiner blieb ihm und Bayreuth immer verbunden. Fast: Ein Jahr Stuttgart – Fachtechnikerlehrgang –, drei Jahre Elektroingenieursstudium in Nürnberg, ein paar Wochen Gips durch einen Skiunfall. Mehr Pausen gab es nicht. „Auch ich bin mit Euphorie hinausgezogen", sagt er, „aber so schön wie hier ist es nirgends. Bodenständig und gleichzeitig weltoffen."

Jährliche Wanderfahrt zu befreundeten Harmonika-Orchestern

Seit 55 Jahren ist Greiner Mitglied im Verein. In Treue-Jahren gerechnet, kommen danach: 45 Jahre, in denen er sich das Notenpult mit seiner Akkordeon-Kollegin Marianne geteilt hat. 43 Jahre, die er seine Frau Brigitte kennt. Und 40 Jahre, die er – bis zur Rente – im selben Unternehmen gearbeitet hat. Und noch etwas ist über all die Jahre gleich geblieben: die jährliche Wanderfahrt zu befreundeten Harmonika-Orchestern in Deutschland und den Bayreuther Partnerstädten. Die tiefste und engste Freundschaft verband sie mit der Gruppe aus Annecy in Frankreich. Oft haben sie sich besucht.

Alles lief harmonisch, bloß beim Essen gab es Missverständnisse. Einmal, da wurde der berühmte Bayonner-Schinken aus dem französischen Teil des Baskenlandes serviert. Immer wieder bat der Harmonika-Club um Nachschub; so lange, bis alle satt waren. „Wir wussten ja nicht, dass das nur die Vorspeise war", sagt Greiner und streicht sich über den grauen Schnauzbart. Haupt- und Nachspeise ließen sie trotzdem nicht stehen. „Die Blöße konnten wir uns freilich nicht geben." Umgekehrt servierten die Harmoniker der „Société d'Accordéon d'Annency" Schweinsbraten mit Kloß und Soß. Nix rührten sie an. „Alles auf einem Teller zu bekommen, waren unsere französischen Freunde nicht gewohnt." Und dann noch per Unterteilungssystem: drei kleine Teller-Fächer für jeden Bestandteil des Gerichts. „Die waren verstört", sagt Greiner, „bis wir sagten: Das ist ne Bayreuther Spezialität, haut's rein." Vor ein paar Jahren hat sich der Verein in Annecy aufgelöst. Der Bayreuther Club hat vor fünf Jahren 50. Jubiläum gefeiert.

Jahreskonzert im Großen Haus der Stadthalle

Am Samstag steht der jährliche Höhepunkt bevor: das Jahreskonzert im Großen Haus der Stadthalle, ein Ritual, seit dem allerersten Auftritt damals in der Rosenau. Mit Ouvertüren über finnische Themen, Tango, Foxtrott, Schlager und klassischer Musik. Ein bisschen Altes, aber auch viel Neues. Mit Großbildleinwand hinter den Akkordeonspielern und Beamern statt Diaprojektoren.

Horst Greiner wird natürlich auch da sein. Seit zwei Jahren spielt er nicht mehr mit – „ich wollte ja nicht auf der Bahre nach draußen getragen werden. Aber mein Verein ist es schon immer noch." Besonders freut er sich auf Viktor Romanko, den russischen Harmonika-Professor, „ein Virtuose auf dem Bajan", heißt es im Programm. „Der spielt das Akkordeon, als wäre es eine Orgel", schwärmt Greiner. Er hat seine Deutschland-Tournee extra umgeplant, um bei den Harmonikern zu spielen. Im Zeichen einer weltoffenen und bodenständigen Stadt, mit harmonischen Klängen.


INFO: Jahreskonzert am Samstag, 19 Uhr, Stadthalle Bayreuth, Großes Haus. Kartenvorverkauf Marianne Mayerhöfer, Tel.: 0921/24742