„Frauen hatten bei der Bahn ein Zölibat“

Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, war in der Anfangszeit der Eisenbahn in Deutschland undenkbar: Die 54-jährige Carola Rauh arbeitet als Lokführerin bei der Privatbahn Agilis in Oberfranken. Foto: Werner Rost Foto: red

Ines und Jürgen Goller aus Neuenmarkt widmen sich in ihrer Freizeit allen Facetten der Eisenbahn und deren Geschichte. Mit Unterstützung des Bayerischen Arbeits- und Sozialministeriums hat das Ehepaar für das Deutsche Dampflokmuseum eine Sonderausstellung über Frauen bei der Bahn zusammengestellt.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Frau Goller, arbeiten denn von Anfang an Frauen für dieses Verkehrsmittel?

Ines Goller: Frauen bei der Bahn in Deutschland, diese Beziehung währt schon so lange, wie es Eisenbahnen in Deutschland gibt. Bereits mit Beginn des Bahnbaus Ende der 1830er-Jahre fanden neben Männern auch Frauen Arbeit im Gleisbau. Aber Frauen erhielten nur etwa 75 Prozent des Lohnes der männlichen Kollegen.

Aber im Bahnbetrieb hatten die Frauen anfangs keine Chance?

Goller: Es fiel den Eisenbahngesellschaften zunächst schwer, Frauen für den Zugbetrieb einzustellen. Man war der Meinung, es fehle ihnen an Durchsetzungsvermögen gegenüber den männlichen Fahrgästen. Zudem war man bei der Bahndirektion der Meinung, dass „die physische und psychische Natur der Weiber im Allgemeinen ihrer Verwendbarkeit im Bahndienst enge Grenzen setze“.

In welcher Region Deutschlands änderte sich dies zuerst?

Goller: Im Jahr 1873 wurden in Preußen versuchsweise „Frauenpersonen unter ihren im Dienst stehenden Ehemännern und Vätern“ zu Hilfsdiensten zugelassen.

Wann zog Bayern nach?

Goller: Bei der Königlich Bayerischen Staatsbahn fanden erst zur Jahrhundertwende Frauen im Bahndienst Verwendung. Es handelte sich um sogenannte Ablösewärterinnen, die stundenweise ihre als Schrankenwärter arbeitenden Ehemänner ablösten, sodass deren vorgeschriebene Ruhezeiten eingehalten werden konnten.

Wann verbesserten sich die Chancen der Frauen in Bayern?

Goller: Erst das Beamtengesetz von 1908 öffnete auch den Frauen die Beamtenlaufbahn bei der bayerischen Staatsbahn. Ihre Einstufung erfolgte in den unteren Dienst mit Gehaltsabschlägen gegenüber vergleichbar eingesetzten männlichen Kollegen. Eine Heirat hatte die sofortige Entlassung ohne Versorgungsansprüche zur Folge. Frauen hatten im Staatsdienst der Bahn ein Zölibat. Das war das sogenannte Beamtinnen-Zölibat.

Sicherlich änderte sich das während der Weltkriege?

Goller: Der Beginn des Ersten Weltkriegs hatte nur anfänglich keine Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation für Frauen. Die Bayerische Staatsbahn empfahl den Dienststellen, weibliche Arbeitskräfte nur vorübergehend als Gelegenheitsarbeiterinnen zu beschäftigen, sie nur zu leichteren Diensten heranzuziehen, die ohne Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit geleistet werden können.

Das änderte sich vermutlich im Verlauf des Krieges?

Goller: In verkürzten Ausbildungen wurden bald Frauen auf ihre Aufgaben im Eisenbahnbetriebsdienst vorbereitet und erhielten für ihren Dienst als Schaffnerinnen Dienstkleidung. Aber an Frauen in Uniform musste sich das Publikum erst gewöhnen.

Wie waren die Arbeitsbedingungen?

Goller: Die Arbeitszeit betrug 11 bis 15 Stunden täglich und als Aushilfen wurden die Frauen nach Tagelohn bezahlt, der höchstens 75 Prozent des Grundlohns der männlichen Kollegen ausmachte. Von 1915 an mussten Frauen auch Nachtdienst leisten.

Durften die Frauen nach dem Krieg bei der Bahn bleiben?

Goller: Nach Kriegsende hatte die Sicherung der Arbeitsplätze der vom Krieg heimkehrenden Eisenbahner Vorrang. Die weiblichen Bediensteten mussten nach und nach Platz machen. Es galt der Grundsatz, dass Soldaten Anrecht auf einen Arbeitsplatz hätten und Frauen während des Krieges lediglich als „Platzhalter“ fungiert hätten, welche jetzt nicht mehr erforderlich seien. Mit steigender Arbeitslosigkeit in den 1920er-Jahren wurden nahezu alle weiblichen Bediensteten verdrängt.

Was veränderte sich in dieser Hinsicht in der NS-Zeit?

Goller: Auch die Nationalsozialisten setzten zunächst die Verdrängung der Frauen aus dem Berufsleben fort. „Nicht im Beruf kannst du glücklich sein, dein richtiger Wirkungskreis ist das Heim“, war die Losung jener Zeit.

Das war während des Zweiten Weltkrieges vermutlich ganz anders?

Goller: Ja, mit Kriegsbeginn änderte sich die Situation wieder grundlegend. Jetzt hieß es, „auch die Frau bleibt im Amt“. Frauen wurden aufgerufen, „an der Front und in der Heimat ihre Pflicht zu erfüllen“. Gezielt wurden Frauen für den Dienst bei der Reichsbahn angeworben. Durch die Konkurrenz der Rüstungsindustrie um Arbeitskräfte, bezahlte die Reichsbahn jetzt gleichen Lohn für gleiche Arbeit. 190 000 Frauen arbeiteten Ende 1943 bei der Reichsbahn.

Mussten die Frauen während des Zweiten Weltkriegs denn auch körperlich harte Arbeit bei der Bahn leisten?

Goller: Nein, um deutsche Frauen nicht mit schwerer Arbeit belasten zu müssen, wurden aus den besetzten Ostgebieten Zwangsarbeiterinnen herbeigeschafft, die auch bei der Reichsbahn arbeiten mussten.

Wie unterschied sich die Arbeit der Frauen bei den Eisenbahnen im geteilten Deutschland?

Goller: Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Entwicklung in den beiden deutschen Staaten einen unterschiedlichen Verlauf. Bei der Reichsbahn, wie die Eisenbahn in der DDR weiter bezeichnet wurde, herrschte wie in der gesamten DDR-Wirtschaft ständig Arbeitskräftemangel. So stellten Frauen anfänglich 25 Prozent des gesamten Personals. Bis Mitte der 1980er-Jahre stieg der Anteil auf rund 40%. Frauen waren in allen Dienstzweigen anzutreffen. In Führungspositionen waren sie aber eher selten zu finden. Die umfangreiche Kinderbetreuung schafften dafür die Voraussetzung.

Und in der alten Bundesrepublik?

Goller: In Westdeutschland war die Situation anders, die Berufstätigkeit der Frau war weiterhin nicht erwünscht. Mitte der 1950er-Jahre warf Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling berufstätigen Frauen „Wohlstandsfieber“ und „Geltungsstreben“ vor. Bei der Deutschen Bundesbahn, spielten Frauen zunächst keine Rolle. Erst 1966 wurden Frauen für die Laufbahn zur Bundesbahnschaffnerin im einfachen Beamtinnen-Dienst und zur Bundesbahninspektorin im gehobenen Dienst zugelassen.

Seit wann gibt es Lokführerinnen?

Goller: 1971 wird es nach einer gesetzlichen Neuregelung Frauen erstmals erlaubt, Schienenfahrzeuge zu führen, also Lokführerin zu werden. Anfang der 1970er-Jahre wurde mit der Anwerbung von Frauen für den Dienst bei der Bundesbahn begonnen. Dennoch erhöhte sich der Frauenanteil nur auf sechs Prozent.

Was änderte sich seit der Bahnreform zum 1. Januar 1994?

Goller: Durch die übernommenen Frauen von der früheren Reichsbahn stieg der Frauenanteil, der 2016 bei 22,8 Prozent lag. Elf Jahre nach Gründung der Deutschen Bahn AG gelangte am 17. März 2005 mit der Juristin Margret Suckale die erste Frau in den Bahnvorstand.

Herrscht jetzt Ihrer Meinung nach Gleichbehandlung bei der Bahn?

Goller: Jetzt sind Frauen in allen Bereichen der Bahnbranche zu finden. Unterschiedlicher Bezahlung wird aktiv entgegengewirkt und passende Arbeitszeitmodelle in den Tarifverträgen ermöglichen die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit.

Das Gespräch führte Werner Rost

Autor

Bilder