Kreativer Ernährungsstil Wenn Fleischfresser-Pflanzen zum Klo werden

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Können fleischfressende Pflanzen ihre Ernährung umstellen? Offenbar – und Fangfallen als Toilettenschüsseln benutzen, wie Wissenschaftler der Universität Bayreuth herausfanden.

 
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Fleischfressende Pflanzen faszinieren Gerhard Gebauer schon lange Zeit. „Seit 1991 beschäftige ich mich mit Karnivoren“, sagt der Professor, der zwar seit Oktober vergangenen Jahres im Ruhestand ist, aber noch immer Vorlesungen hält und Doktoranden betreut.

Vor fünf Jahren machten den Biologen am Bayreuther Zentrum für Ökologie und Umweltforschung Kollegen aus Australien auf eine besonderes Phänomen aufmerksam. In Bergregionen auf der Insel Borneo haben einige Arten der Kannenpflanze Nepenthes ihre Ernährung umgestellt: Mit ihren Fangfallen, die ursprünglich der Erbeutung von Insekten dienten, nehmen sie den Kot von Säugetieren auf. Und dadurch sind sie sogar besser mit Nährstoffen versorgt als zuvor.

Warum und seit wann das so ist, das wissen die Forscher nicht. Allerdings kämen besagte Arten „immer in extrem nährstoffarmen Regionen“ vor, erklärt Gebauer. In tropischen Gebirgen nehme die Zahl der Insekten mit zunehmender Höhe ab, heißt es in einer Mitteilung der Universität Bayreuth über die botanische Erkenntnis. In Gebirgshochlagen verschärfe sich die Konkurrenz zwischen Pflanzenarten, die sich auf den Fang von Insekten als wichtige Nährstoffquelle spezialisiert hätten. Offenbar haben sie sich in Folge der Evolution mit den Ausscheidungen von kleinen Säugern eine alternative Nahrungsquelle erschlossen.

Erst Analysen im Labor für Isotopen-Biogeochemie der Universität Bayreuth haben die Entdeckung dieser erfolgreichen Strategie der Anpassung an eine verschärfte Konkurrenzsituation möglich gemacht. Eine entscheidende Rolle spielt dabei Stickstoff und noch genauer das Isotop 15 N. „Anhand der Stickstoff-Isotopen-Häufigkeit ergeben sich systematische Muster“, erläutert Gebauer das Verfahren. Diese ließen wieder Rückschlüsse auf das Ernährungsniveau der Organismen zu.

Höhere Stickstoffanteile nachgewiesen

Fleischfressende Pflanze, die sich von Insekten oder tierischen Exkrementen ernähren, haben im Vergleich zu „vegetarisch“ lebenden Pflanzen deutlich höhere Anteile des Stickstoff-Isotops 15 N. Diese Anreicherungen konnten im Labor nachgewiesen werden.

Die Studentin Miriam Wickmann und ihr Professor untersuchten zusammen den Stickstoff in Kannenpflanzen-Arten aus den Gebirgshochlagen des malaysischen Teils der Insel Borneo. In diesen Regionen kann der Stickstoff-Gewinn durch Insektenfang oder tierische Exkremente ein wichtiger Konkurrenzvorteil sein, da die Böden extrem arm an Stickstoff sind.

Zucker als Lockstoff zieht Kleinsäuger an

Die Insekten fressenden Kannenpflanzen locken nach den Worten Gebauers ihre Beute mit Duft und Farbe an, bis die attraktive Falle zuschnappt. Die Arten, die Kleinsäuger anziehen, sonderten Zucker ab. Wenn diese den Zucker verdauten und quasi zufällig ausschieden, könne sich die Pflanze schließen und mittels Enzymen den Kot zu Nährstoffen zersetzen. „Was da verdaut wird, ist der Pflanze letztendlich egal.“ Von zehn untersuchten Arten machten dies mindestens vier auf diese Weise, so der Professor. „Diese Kannenpflanzen haben sich also umgestellt.“

Die extrafloralen Nektarien zögen heimische Kleinsäugetiere an, zum Beispiel Halbaffen, die nicht größer wie einen Maus seien. „Aus Fangfallen sind Kloschüsseln geworden. Diese Funktionsänderung ist ein überraschendes Beispiel dafür, dass Pflanzen in der Lage sind, ihre Ernährung kreativ anzupassen.“

Und auf noch etwas weist der Pflanzenökologe hin: 40 Prozent der Kannenpflanzen seien zurzeit als stark gefährdet, gefährdet oder bedroht eingestuft.

Kannenpflanzen in Mitteleuropa vom Aussterben bedroht

Von 370.000 Pflanzenarten weltweit sind 300.000 Blütenpflanzen. An fleischfressenden Pflanzen sind dem Professor zufolge 860 Arten bekannt, die im Zuge der Evolution entstanden sind. Von der Gattung Nepenthes seien es nur 160 Arten. Sie kommen im südostasiatischen Raum, auf den Philippinen, Malaysia und im nördlichen Australien vor.

„In unserer einheimischen Flora sind sie noch seltener.“ Und wenn, dann siedelten sie sich an nährstoffarmen Standorten an. Wie zum Beispiel der Sonnentau im Fichtelmoor, das Fettkraut oder der Wasserschlauch. „Wir sind in Mitteleuropa dabei, die Kannenpflanzen auszurotten“, prophezeit Gebauer. „Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange wir noch welche haben.“ Denn die extensive Landwirtschaft und eine steigende Verkehrsbelastung führten dazu, dass die Kannenpflanzen von anderen, schneller wachsenden Arten verdrängt werden.

An der internationalen Forschungskooperation der Bayreuther wirkten übrigens auch Forschungspartner aus Malaysia und den USA mit.

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