Festspiel-Aufreger kurz vor der Premiere „Ring“-Regisseur Frank Castorf wettert gegen Festspielleitung

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

Ein kleiner, künstlich erzeugter Skandal vor der Premiere gehört bei den Bayreuther Festspielen schon fast zur Tradition. In diesem Jahr schießt „Ring“-Regisseur Frank Castorf im „Spiegel“ gegen die Festspielleitung. Und erwähnt eine Umbesetzung, die tatsächlich das Zeug zum Skandal hat.

 
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Frank Castorf sorgt sich um den künstlerischen Erfolg seiner Inszenierung des „Ring des Nibelungen“, die ab 27. Juli – im zweiten Jahr – bei den Bayreuther Festspielen zu sehen ist. Diese Sorge wäre nicht der Rede wert, sie gehört zu den Kernaufgaben jedes Regisseurs. Aber Frank Castorf sorgt sich mit größtmöglicher Lautstärke im „Spiegel“ – und wirft nebenbei Licht auf einen Vorgang, der als erschwerend gelten musss, möglicherweise sogar als kleiner Skandal.

„Ich habe nach vier Wochen Arbeit in Bayreuth über Umwege erfahren, dass ein Sänger, der mir wichtig ist, umbesetzt wird“, sagte Castorf dem „Spiegel“. „Angeblich aus musikalischen Gründen. Dieser Sänger, Martin Winkler, der als Alberich besetzt war, ist einer, der musikalisch wirklich gut ist und der nicht dauernd nur bemüht ist, Fehler zu vermeiden. Fehler, die für mich hoch erotisch sind und sinnlich musikalisch. Er hat eine ungeheure spielerische Qualität und war eine loyale Schlüsselfigur in unserer Interpretation, in unserer Ästhetik.“

Stillschweigen vereinbart

Die Bayreuther Festspiele hatten die Umbesetzung bereits in der vergangenen Woche bekanntgegeben – so leise wie üblich: Auf der im Internet einsehbaren Besetzungsliste wurde der Name Martin Winkler mit dem Namen Oleg Bryjak ersetzt. „Die Festspiele sind mit Herrn Winkler übereingekommen, seinen Vertrag in gegenseitigem Einvernehmen aufzuheben“, formuliert der Sprecher der Festspiele, Peter Emmerich, auf Nachfrage. Der Vertrag sei „um den 10. Juli herum“ beschlossen worden, vergangene Woche sei er in Kraft getreten. Herr Bryjak probe bereits seit Sonntag vergangener Woche. Über die Gründe des Aufhebungsvertrags sei Stillschweigen vereinbart worden; „das ist Teil des Vertrags“, sagt Emmerich. Über die „musikalischen Gründe“, die Castorf erwähnt, mag er nichts sagen: „Musikalische Angelegenheiten zu kommentieren, maße ich mir nicht an.“
Castorf wird konkreter: „Mein Freund Aleksandar Dénic (der Bühnenbildner des „Rings“, Anm d. Red.) sagt: Die Festspielleitung will einen Damm öffnen mit dieser Entscheidung ohne unser Einverständnis, damit sie in Zukunft umbesetzen kann wie in jedem Stadttheater. Dann ist das schöne Singen wieder angesagt, der richtige Ton, das Arrangement, die Choreografie. All das, was wir hier nie machen wollten.“

Tatsächlich ist Alberich nicht die einzige Partie im „Ring“, die seit dem Premierenjahr 2013 umbesetzt wurde. Die Rolle des Fasolt im „Rheingold“ übernimmt dieses Jahr Wilhelm Schwinghammer von Günther Groissböck, der ein Engagement in Salzburg hat. Den Donner singt nicht mehr Oleksandr Pushniak, sondern Markus Eiche. Die Rolle des Hunding übernimmt Kwangchul Youn von Franz-Josef Selig, der in Baden-Baden engagiert ist.
„Der Sänger war übrigens verblüfft von seinem Rauswurf“, sagt Castorf über Winkler. „Der ist jetzt so verstört, dass man ihn auch nicht zurückholen kann.“ Auf dem Grünen Hügel kursiert derweil noch eine andere Version der Geschichte, unbestätigt, unkommentiert.
Winkler, so heißt es, soll bei einer Probe erkrankt gewesen sein. Kirill Petrenko soll geäußert haben, falls sich die Erkrankung länger hinziehe, müsse man über eine Umbesetzung nachdenken. Daraufhin soll das künstlerische Betriebsbüro den Auftrag bekommen haben, Oleg Bryjak zu engagieren – weil Winkler erklärt habe, die Partie zurückgeben zu wollen. Das aber hatte er gar nicht. Als sich das Missverständnis aufklärte, war Bryjak schon engagiert – und Winkler immer noch.

Bryjak ist Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein, deren Generalmusikdirektor Axel Kober seit 2013 in Bayreuth den „Tannhäuser“ dirigiert. Er debütierte 1998 als Alberich in Wien, 2003 in Chicago und 2004 unter Simon Rattle bei den BBC Proms. Bis 2016 ist er am Gran Theatre del Liceu in Barcelona in dieser Rolle engagiert, sie gilt als seine Glanzrolle.

Der, der von all dem zuletzt erfahren hatte, ist Castorf, der Regisseur. „Wenn man sich so zu mir verhält, wehre ich mich.“ Er habe sich anwaltlichen Beistand bei Gregor Gysi geholt. „Man redet hier sehr wenig mit mir. Man glaubt, dass man meine natürliche Faulheit und mein Desinteresse an Machtspielen dafür nutzen kann, mich vor vollendete Tatsachen zu stellen. Als wäre ich ein Idiot. Man sollte aber meine Freundlichkeit nicht mit Schwäche verwechseln.“

Festspielleitung gehe es nur noch um Machterhalt

Die schlecht kommunizierte Umbesetzung ist aber nicht das einzige, was ihn umtreibt, sagt Castorf. Es sei ihm schlicht nicht möglich, seine Arbeit aus dem vergangenen Jahr weiterzuentwickeln. „Die „Werkstatt Bayreuth“ war mal ein guter Gedanke.“ Davon könne man aber nicht mehr reden – „weil die finanziellen Möglichkeiten in Bayreuth bis zur Karikatur geschrumpft sind. Der Etat reicht für eine halbwegs vertretbare Wiederaufnahme.“ Er habe dem Dirigenten Kirill Petrenko ein Drittel seiner Probenzeit abgegeben. „Petrenko hat Sorgfalt, der geht in die Archive und liest die Entstehungsorginale, der ist ein Fanatiker des Details. Ich nicht. Ich muss nicht feilen. Um wirklich gut zu sein, muss ich in einer Notsituation arbeiten. Dann knallt es.“ Verfeinern sei für ihn nicht möglich. „Um jetzt etwas wirklich Neues zu finden, müsste ich alles wieder zerschlagen und neu erfinden, das ist meine Grundtechnik.“

2013 habe er eine ungeheure Unterstützung erfahren, „gerade die Sänger waren begeistert bei der Sache.“ Nun gehe es der Festspielleitung nur noch um den Machterhalt. „Wenn ich jetzt in den Bühnenorchesterproben sitze, dann bemerke ich plötzlich einen schrecklichen Gleichklang im Rhythmus, im Tempo, im Licht und im Spiel der Sänger. Es ist Stadttheater in aller Schönheit entstanden. Furchtbar. Die Stürme haben sich gelegt, die Langeweile hat gesiegt.“


Bayreuther Festspiele 2014: Alle Umbesetzungen

Sieben Premieren stehen auf dem Spielplan der diesjährigen Festspiele, eine Neuproduktion gibt es nicht.

Bei der Wiederaufnahme des „Tannhäuser“ in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten, die 2014 zum letzten Mal zu sehen ist, übernimmt Kwangchul Youn die Partie des Landgrafen Hermann. Günther Groissböck, der die Partie seit 2011 sang, ist in diesem Jahr in Salzburg engagiert. Als Wolfram steht nicht mehr Michael Nagy, sondern Markus Eiche auf der Bühne. Die Rolle des Reinmar von Zweter übernimmt Rainer Zaun von Martin Snell, der nach einer Aussprache in seiner Funktion als Solistensprecher nach der Saison 2013 nicht mehr eingeladen worden war.

„Der fliegende Holländer“ in der Regie von Jan-Philipp Gloger geht 2014 in sein drittes Jahr. Die Rolle des Daland übernimmt Kwangchul Youn von Franz-Josef Selig, der in Baden-Baden engagiert ist. Die Musikalische Leitung hat Christian Thielemann, 2015 übernimmt Axel Kober die Produktion. Thielemann dirigiert dann „Tristan“.
Die Partie der Elsa im „Lohengrin“ singt in diesem Jahr Edith Haller. Annette Dasch sagte für dieses Jahr ab; sie war im Mai erneut Mutter geworden.

Die meisten Umbesetzungen im „Ring des Nibelungen“ entfallen auf den Vorabend „Das Rheingold“. Die Rolle des Alberich übernimmt – im „Rheingold“ wie in „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ Oleg Bryjak von Martin Winkler. Nach Günther Groissböck singt Wilhelm Schwinghammer den Fasolt. Die Partie des Donner übernimmt Markus Eiche von Oleksandr Pushniak. In der „Walküre“ singt den Hunding nicht mehr Franz-Josef Selig den Hunding, sondern Kwangchul Youn. Als Grimgerde ist nicht Geneviève King zu hören, sondern Okka von der Damerau, die im „Ring“ auch die Flosshilde und die 3. Norn singt.

Wie die Bayreuther Festspiele außerdem mitteilen, beendet ihr Technischer Direktor Karl-Heinz Matitschka seine Tätigkeit nach dieser Saison, ein Jahr vor Ende seines Vertrags. Nachfolger wird voraussichtlich Matitschkas Stellvertreter Andreas von Graffenried. Weiterer Bericht folgt.