Genuss in der Region Wie die Forelle auf den Rennsteig kommt

Ein Geheimnis, sagt Paul Lutz, ein Geheimnis sei ein gutes Essen ganz gewiss nicht. Man brauche gar nicht so viele Zutaten dafür. Nur gut müssen sie sein. Und ein bisschen Lebenserfahrung kann nicht schaden, wenn Wanderer hungrig im Gasthaus „Rennsteig“ sitzen

 
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Schwarze Schiefer. Grüne Wiesen. Vor den Fenstern, im Sommer, eine dichte, rot leuchtende Blumenpracht. Und in Wintern wie diesen Berge von Schnee. Fichten mit weißer Pracht. Nur eine einzige Straße gibt es in Friedrichshöhe. Sie reicht für die nicht einmal 30 Einwohner. Bevor sie endet und zum Waldweg wird, fällt der „Rennsteig“ ins Auge, als hätte jemand dieses imposante Haus von einer Grußpostkarte ausgeschnitten und genau hierher, an den Waldrand, gesetzt.

Der „Rennsteig“, das ist ein Gasthaus im nördlichsten Zipfel des Hildburghäuser Landes. Wo die Welt, wie es so schön heißt, zu Ende ist und nach der Straße nur noch Wald kommt. Viel Wald. Seit fünf Generationen oder 120 Jahren steht das Gasthaus hier. Nur den sprichwörtlichen Steinwurf entfernt vom berühmten Wanderweg, der ihm den Namen lieh. Seit mehr als einem halben Jahrtausend kennt man den Weg hier oben, auf dem Kamm des Thüringer Waldes. Aber das ist eine andere Geschichte.

Auf der einen Seite, im Tal, die Saar. Auf der anderen die Schwarza. Für den Regen, der hier oben fällt, ist das nicht ganz unerheblich. Linkerhand des Rennsteigs fließt das Wasser in die Weser, rechterhand in die Elbe. Und sofern er den Weg über die Schwarza nimmt, ist er auch dem gastlichen Haus zu Diensten. Was dort auf der Speisekarte steht, hat unten, im klaren Gebirgswasser, einst munter geplätschert.

Thomas und Paul Lutz, Vater und Sohn, stehen seit ein paar Jahren gemeinsam in der Küche. Die vierte und die fünfte Generation. Die dritte Generation, das war die Krimhild, die Mutter und Großmutter. Sie meint Thomas Lutz, wenn er davon spricht, dass es im „Rennsteig“ die Forellen noch immer so gibt, wie sie „die Mutter gemacht hat“. Und die hat sie so gemacht, dass es sich bei den Leuten herumsprach – nicht nur in den umliegenden Orten, wo sie die Krimhild alle kannten. Sondern auch von weiter her.

Forellen auf den Teller zu bekommen, sei selbst zu DDR-Zeiten kein Problem gewesen, sagt Thomas Lutz. Noch heute holt er sie wie eh und je bei Fischern unten aus dem Schwarzatal. Das ist schon mal das erste Qualitätskriterium – andere würden sagen, Geheimnis – für die Forelle nach „Rennsteig“-Art.

Das Wasser, in dem die Forellen aufwachsen, könnte frischer nicht sein. Schade eigentlich, dass das Fischlein aus dem „Bächlein helle“, wie es in dem Volkslied heißt, seine Reise hoch auf den Rennsteig nicht mehr mitbekommt. Lange hätte es aber sowieso nichts davon. Denn ebenso frisch muss der Fisch auf dem Teller landen, weiß Thomas Lutz. Nur dann schmeckt eine Forelle ganz genau so, wie sie schmecken muss.

Natürlich kennen er und Sohn Paul auch die Küchentricks für den sensiblen Gaumen: Zitrone und Salz zum Würzen –nichts anderes, das den Geschmack des zarten Fleisches womöglich verfälschen könnte. Ein bisschen Mehl für die Kruste und heißes Butterschmalz zum Braten. „Kein Öl und kein anderes Fett, das wird sonst nix“, sagt Thomas Lutz. Dazu gibt’s Sahne-Mehrrettich, Kartoffeln und ein wenig Salat. Auch hierbei hält der gelernte Koch nicht viel von allzu vielen Raffinessen: Im „Rennsteig“ wird seit jeher traditionell gekocht. Und wer eine Forelle bestellt, möchte doch vor allem den zarten Fisch genießen.

In der Hochsaison, an den Wochenenden, wenn die Wanderer auf dem Rennsteig zur Rast von der Runst die rund 100 Meter zum Gasthaus am Wegesrand abbiegen, wird schon die ein oder andere Forelle aufgetragen – in der rustikal eingerichteten Gaststube mit den uralten geölten Dielen oder auf der Wiese vor dem Haus. Eine jede einzelne wird erst nach der Bestellung frisch gebraten. „Warmhalten geht bei Fisch nicht“, sagt Thomas Lutz.

Seit sein 30 Jahre alter Sohn Paul, der wie er in Erfurt den Beruf des Kochs gelernt hat und damit der Familientradition aus Berufung folgt, in der Küche steht, fühlt er sich mehr für die Vor- und Begleitarbeiten in der Küche zuständig und überlässt ihm das eigentliche Kochen. „Er ist viel ruhiger als ich und vielleicht auch kreativer“, sagt er. Das ist wichtig, wenn sich die Gäste an den Tischen drängen und in der Küche alles wie am Schnürchen klappen muss. Denn frisch zubereitet werden nicht nur Forellen, sondern mehrere Gerichte gleichzeitig. In einem so kleinen Familienbetrieb, in dem zwei Generationen und drei Familien zusammenleben und -arbeiten, hat jeder seine Aufgabe.

Nach Friedrichshöhe kamen schon immer Ausflügler aus der Umgebung und Urlauber aus der Stadt. „Luftschnapper“ hat man sie früher gerne genannt. Das herzogliche Amtsgericht in Eisfeld erteilte Gotthold Leipold am 27. November 1900 die Genehmigung zum Kauf eines Gasthauses am Rennsteig. Er war die erste Generation der Wirtsleute in Friedrichshöhe. Eigentlich hätten sie das 120-Jährige gerne gefeiert im vergangenen Jahr. Doch das Gasthaus ist, wie die Gastronomie überall, geschlossen. „Wir werden später feiern“, sagt Thomas Lutz. „Vielleicht im Sommer.“ Paul vertreibt sich die Zeit derweil mit seiner großen Leidenschaft: Holz. Er sägt, schleift – und gestaltet. Wuchtige, urige Sitzgarnituren für draußen. Herzen, Blumen und Fenster-Dekorationen für drinnen. Sein Lieblingsmaterial: Zirpenholz. Längst hat er sämtliche Gerätschaften – von der Motorsäge bis zur Schleifmaschine.

Thomas ist da ungeduldiger, rastloser: In den letzten Wochen hat er ab und an Bratwürste gebraten für vorbeikommende Winterwanderer. Draußen, freilich. Aber mittlerweile, sagt er, fehlt ihm sogar das Kartoffelschälen. Deshalb zieht er für den Hausgebrauch Krapfen „übers Knie“, nach einer Art, wie sie in den umliegenden Dörfern gerne gemacht und gegessen werden. Und wäre jetzt Sommer oder Herbst, würde er Stockschwämmchen und Heidelbeeren suchen. Für Vorsuppen das eine, für Eisbecher das andere. Oder er würde nach Oberweißbach zu Naturfleisch fahren, wo er Fleisch für Rouladen oder Bratwürste einkauft.

Nur auf den Rennsteig wandern, das tut er nicht. Er kennt ihn ja, jeden Meter hier oben. Und was sich da tut, das erzählen ihm die Wanderer oder Fahrradfahrer. Für die Familie ist der Gasthof am Ende der Welt, der seit vielen Jahren auch eine Pension hat, kein einfaches Erbe. Die Idylle der Natur, der Wald und die Wiesen, das ist ihr Kapital oben am Rennsteig. Aber die Gäste müssen erst einmal dorthin kommen wollen – auch, wenn die Sonne nicht gerade scheint. Und: Eine Tradition lebt nur, wenn sich die Wirtsleute ihren Gästen öffnen. Wenn sie erzählen und zuhören können. Wenn sie sich mal mit an den Tisch setzen, wenn sie Teil haben und nehmen an den Geschichten, die mit den Menschen ans Ende der Welt kommen.

Wer fünf Generationen auf den Buckel hat, den wirft so schnell nichts aus der Bahn. Auch keine Pandemie. Die Familie hat mehr als ein Jahrhundert lang gelernt, zusammenzustehen. Am Ende aber kommen die Gäste doch, weil es ihnen schmeckt. Und weil in der Gaststube noch alte Bilder an den Wänden hängen und sie durch die Fenster auf die Wiesen ins Tal hinunterschauen können. Weil hier Heimat ist.

Und weil die Forellen aus dem Schwarzatal da unten, immer und immer wieder ihren Weg nach ganz oben finden. Dorthin, wo es keine Flüsse gibt, aber hungrige Gäste.

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