Erste Zerreißprobe und Koalitionspoker

Frauke Petry, Bundesvorsitzende der Partei Alternative für Deutschland (AfD), Jörg Meuthen, Alexander Gauland und Alice Weidel bei der Pressekonferenz, bei der Petry erklärte, nicht in die AfD-Fraktion im Bundestag zu gehen. Foto: Julian Stratenschulte/dpa Foto: red

Wenige Stunden nach dem Triumph bei der Bundestagswahl steht die AfD vor einer Zerreißprobe. Der interne Streit der Rechtsaußenpartei um eine eher bürgerliche oder national-völkische Ausrichtung eskalierte am Montag, als die in Sachsen direkt gewählte AfD-Vorsitzende Frauke Petry überraschend eine Pressekonferenz mit den Spitzenkandidaten Alice Weidel und Alexander Gauland verließ. Derweil beginnt zwischen CDU, CSU, FDP und den Grünen das Pokerspiel um eine sogenannte Jamaika-Koalition (schwarz, grün, gelb).

 
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Frauke Petry will der 94 Abgeordnete zählenden neuen Bundestagsfraktion nicht angehören. Nun stellt sich die Frage, ob und wie viele AfD-Parlamentarier sie mitnimmt. Die Vorsitzende des Wahlsiegers vom Sonntag ließ offen, ob sie für ihren geplanten «konservativen Neuanfang» auch eine neue Partei gründen will.

Interner Richtungsstreit bei CDU/CSU bahnt sich an

Derweil begann bei Union, FDP und Grünen der Poker mit Blick auf eine mögliche Jamaika-Koalition. Nach den herben Verlusten von CDU und CSU zeichnen sich in den Unionsparteien Konflikte darüber ab, wie die zur AfD abgewanderten Wähler zurückzugewinnen sind - mit einem Rechts- oder einem Mitte-Kurs.

Nach dem desaströsen Wahlergebnis seiner Partei ließ CSU-Chef Horst Seehofer den Vorstand über eine Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag abstimmen. Er selbst halte es nicht für den richtigen Weg, diese aufzukündigen, sagte Seehofer nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur vor der Abstimmung in der CSU-Vorstandssitzung in München. Der Parteivorstand folgte ihm schließlich einstimmig. Inhaltlich beharrte Seehofer auf einem klaren Mitte-Rechts-Kurs der Union.

Grüne und FDP signalisieren Verhandlungsbereitschaft

Die Grünen erklärten ihre Bereitschaft zu ernsthaften Sondierungen mit Union und FDP über ein bisher im Bund nicht erprobtes Dreierbündnis. Es sei klar, dass alle Kompromisse machen müssten, sagte Parteichef Cem Özdemir. Am Ende müssten die Grünen das Ergebnis aber guten Gewissens vertreten können.

FDP-Chef Christian Lindner signalisierte Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen und einer möglichen Regierungsbildung. Die FDP trete aber für eine Trendwende und eine andere Richtung der Politik ein. «Wenn das nicht möglich ist, dann wäre unser Platz die Opposition», sagte Lindner.

SPD sieht sich in der Oppositionführung

Die SPD wird nach ihrem Wahlfiasko mit historisch schwachen 20,5 Prozent gedrängt, die Absage an jede Koalitionsbeteiligung zu überdenken, sträubt sich aber. Der bisherige Fraktionschef Thomas Oppermann bekräftigte, dass die Sozialdemokraten im künftigen Bundestag die Oppositionsführer-Rolle einnehmen wollten.

«Man kann natürlich immer miteinander sprechen. Aber wir werden keine Koalitionsverhandlungen führen.» Parteichef Martin Schulz schlug am Montag die amtierende Arbeitsministerin Andrea Nahles als künftige Vorsitzende der Bundestagsfraktion vor. Auch er schwor die SPD auf die Oppositionsrolle ein: «Diesen Auftrag werden wir annehmen.»

AfD-Spitze überrascht vom Abgang Petrys

Nach dem Abgang der AfD-Vorsitzenden Petry entschuldigte sich ihr Co-Parteichef Jörg Meuthen. «Das ist auch mit uns nicht abgesprochen gewesen.» Der Vorgang zeige, dass die AfD auch «ein gäriger Haufen» sei. Zuvor hatte Meuthen Petry heftig attackiert. Dass sie sich öffentlich wiederholt von beiden Spitzenkandidaten distanziert habe, sei «wenig hilfreich» und «nicht hinnehmbar».

Gauland wies den Vorwurf von sich, er habe Petrys Ausstieg aus der Fraktion mit seinen nationalkonservativen Äußerungen über die «Leistungen» deutscher Soldaten im vorigen Jahrhundert oder dem Spruch von der «Entsorgung» der Bundes-Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz provoziert.

Petry hatte den Schritt offenbar schon vor der Wahl geplant

Petry sagte über ihre Entscheidung: «Wer mich kennt, weiß, dass ich so etwas nicht spontan mache.» Um eine eigene Bundestagsfraktion zu bilden, müsste sie mindestens 34 Abgeordnete dazu bringen, sich ihr anzuschließen. Auf diese Frage werde es «sicherlich in den kommenden Tagen und Wochen Antwort» geben, sagte sie der ARD.

Auf die Frage, wie der «Neuanfang» der AfD aussehen könnte, verwies sie auf die Arbeit der bisher von ihr geleiteten Landtagsfraktion in Sachsen. Dort habe sie gezeigt, «wie vernünftige Opposition aussieht».

Die ersten nehmen das Wort "Neuwahlen" in den Mund

Die AfD hatte am Sonntag 12,6 Prozent der Stimmen erhalten, sie bildet die drittgrößte Fraktion im neuen Bundestag. Die rechtspopulistische Partei will nach der Konstituierung des neuen Parlaments als erstes einen Untersuchungsausschuss zum Verhalten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Flüchtlingskrise beantragen. Man wolle in einem solchen Gremium Rechtsbrüche Merkels aufklären, sagte die designierte Fraktionschefin Alice Weidel in Berlin. Sie kündigte eine «konstruktive Oppositionsarbeit» an.

Wie zuvor schon die FDP drängen die Grünen die SPD, ihre Haltung gegen eine erneute Regierungsbeteiligung zu überdenken. «Wenn Jamaika-Sondierungen kein Ergebnis bringen, das ist ja durchaus auch möglich, dann muss die SPD bereitstehen», sagte die Grünen-Vorsitzende Simone Peter der Deutschen Presse-Agentur. Es könne nicht sein, dann vorschnell über Neuwahlen zu reden. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt äußerte im ZDF indes Verständnis für das Gefühl der SPD, jetzt einen «großen Bruch» machen zu müssen. «Ob es dabei bleibt, werden wir sehen.»

Tauber ruft Grüne und FDP zu Kompromissen auf

CSU-Chef Seehofer sagte zum Kurs seiner Partei: «Wir werden bestehen auf den Dingen, die wir der Bevölkerung versprochen haben in unserem Bayernplan. Der 2018 zur Wiederwahl stehende bayerische Ministerpräsident fügte hinzu, dazu gehöre auch eine - von Merkel bisher stets abgelehnte - Obergrenze für Flüchtlinge. «Für uns geht's vor allem um einen klaren Kurs Mitte-Rechts für die Zukunft», sagte Seehofer. Eine Regierungsbildung sei ohne die CSU nicht möglich. Mit dieser Situation werde seine Partei aber verantwortungsvoll umgehen.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber rief die potenziellen Partner einer Jamaika-Koalition zu Kompromissbereitschaft auf. «Eine Koalition funktioniert nur, wenn alle Seiten nachgeben und man sich nicht gegenseitig den Platz kaputt tritt», sagte Tauber dem Fernsehsender Phoenix. Man verfolge dann ein gemeinsames Projekt, und jeder Partner habe auch eigene Ziele, die man in einem Bündnis wiederfinden müsse. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte angesichts des enttäuschenden CDU/CSU-Ergebnisses: «Ich bin mir sicher, wir brauchen keinen Ruck nach rechts.» Auch Berlins CDU-Chefin Monika Grütters lehnte eine stärker konservative Ausrichtung der Union ab.

76,2 Prozent Wahlbeteiligung

Im Verlauf des Montags wollten alle Parteigremien über die Konsequenzen aus dem Wahlausgang beraten. Nach dem vorläufigen Endergebnis fiel die Union auf ihr schwächstes Ergebnis seit 1949: 33 Prozent (2013: 41,5). Die SPD stürzte auf ein Rekordtief von 20,5 Prozent (25,7). Die AfD, 2013 noch knapp gescheitert, legt mit 12,6 Prozent auf knapp das Dreifache zu (4,7).

Die FDP kehrt mit 10,7 Prozent in den Bundestag zurück (4,8). Die Linken verbuchen 9,2 Prozent (8,6), die Grünen 8,9 (8,4). Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag in der neuen Wahlperiode so groß wie nie zuvor. Die Sitzverteilung sieht nach Angaben des Bundeswahlleiters so aus: CDU/CSU: 246 Mandate, SPD: 153, AfD: 94, FDP: 80, Linke: 69, Grüne: 67. Die Wahlbeteiligung betrug 76,2 Prozent (2013: 71,5).

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