Erdbeben-Opfer bangen vor Zukunft

Foto: Italien Fire Department/dpa Foto: red

Im August hatten die Einwohner des für seine alten Kirchen und leckeren Würste bekannten Städtchens Norcia noch aufatmen können: Das schwere Beben, das damals in Mittelitalien beinahe 300 Menschen das Leben kostete, richtete in Norcia kaum Schäden an. Nach starken Beben in den Jahren 1979 und 1997 waren umfangreiche Schutzmaßnahmen getroffen worden.

 
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Leider war dies nicht genug: Am Sonntag verwüstete ein Nachbeben der Stärke 6,5 den pittoresken Ort in Umbrien. Die Basilika von San Benedetto aus dem 13. Jahrhundert stürzte ein, eine Reihe anderer Gebäude wurde ebenfalls zerstört oder beschädigt. Vielen der knapp 5000 Einwohner blieb keine andere Wahl, als ihren Heimatort zu verlassen.

«Obwohl mein Haus nach dem Beben vom 24. August als sicher erklärt worden war, haben meine Frau und ich seitdem im Auto übernachtet», erzählt Antonio Apuzzo. Zu viel Angst hätten sie in den vergangenen Wochen gehabt. Der 57-jährige Inhaber eines Salami-Ladens ist einer von Zehntausenden, die am Sonntag plötzlich obdachlos geworden sind. Im Zuge einer Massenevakuierung kam er mit 47 anderen Bewohnern Norcias an den hundert Kilometer entfernten Trasimeno-See. Dort ist er in einem Hotel untergebracht.

«Niemand hat uns gezwungen, hierher zu kommen. Aber die Alternative war, weiter im Auto zu schlafen und zu spüren, wie die Erde bebt» sagt Apuzzo. Er wurde in der Nähe von Neapel geboren und hat 1980 auch schon das Erdbeben von Irpinia miterlebt. Es war mit mehr als 2900 Toten das folgenreichste Beben in Italien der letzten hundert Jahre.

Franco Lanzi, ein anderer Beben-Flüchtling, erzählt, er sei nach 45 Jahren von Rom in seine Heimat Norcia zurückgekehrt, um seinen Ruhestand zu genießen. Nach dem ersten Beben im August habe ihm sein Bruder angeboten, bei ihm in Rom zu wohnen. «Aber ich wollte zu Hause bleiben. Abends habe ich ein paar Tabletten genommen und bin schlafen gegangen. Ich dachte mir: "Wenn das Haus einstürzen muss, dann wird es so sein".»

«Niemand von uns wollte aus Norcia weg», sagt Apuzzos Frau Bukurije Shuti, eine gebürtige Albanerin. «Wir haben dieses Monster aus der Erde wochenlang ertragen. Jeden Tag sagten wir uns: "Heute ist es vorbei". Doch stattdessen...», erzählt sie und blickt um sich, ohne den Satz zu vollenden.

Der Kühlschrank drohte umzukippen

Der Bauarbeiter Imer Cela und seine Frau Etleva, die in einem Hotel als Kellnerin arbeitet, wurden ebenfalls mit Bussen nach Trasimeno gebracht. Als die Erde am Sonntagmorgen zu beben begann, schliefen die beiden kleinen Söhne des Paares auf dem Fußboden - und befanden sich plötzlich in Lebensgefahr, erinnert sich Etleva mit Schaudern.

«Das Haus wackelte, und der Kühlschrank drohte, umzukippen. Ich habe meine ganze Kraft aufgebracht und ihn aus dem Weg gestoßen.» Ihr zehnjähriger Sohn habe sie später angelächelt und gesagt: «Mama, du hast mir das Leben gerettet.»

Den Menschen aus Norcia sei mitgeteilt worden, dass sie zwei bis drei Tage in Trasimeno bleiben würden, sagt Apuzzo. Doch die Holzhäuschen, die ihnen als Übergangsunterkünfte dienen sollen, bis die Stadt wieder aufgebaut ist, sind noch nicht aufgebaut. Das könnte noch Monate dauern. Bis in Norcia die Häuser wieder stehen, könnten sogar Jahre ins Land gehen.

Er wisse nicht, wie lange die Bebenopfer blieben, sagt der Bürgermeister von Passignano sul Trasimeno, Ermanno Rossi. «Die Menschen werden hierher geschickt, weil Seengebiete bei Beben mit zu den sichersten gehören.» Er versuche gerade, noch Unterkünfte für 30 weitere Menschen zu organisieren.

Viele wollen so bald wie möglich zurück nach Hause - zumindest um Kleidung und andere Dinge aus ihren Häusern zu holen. «Ich habe nur, was ich seit gestern Morgen am Leib trage», sagt Apuzzo. «Und ich stinke.»

Den Bewohnern sei bewusst, dass es dauern werde, bis Norcia wieder aufgebaut sei, fügt er hinzu. «Und ich weiß nicht, wo sie anfangen sollen, so wie es dort jetzt aussieht.» Aber in der Zwischenzeit seien die Bewohner auf Hilfe angewiesen: «Wir stehen vor dem Nichts. Wir haben kein Zuhause, keinen Job, kein Hab und Gut.»

dpa

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