Elsa-Sängerin Annette Dasch im Interview

Florian Zinnecker
 Foto: red

Kurz vor Beginn des Interviews mit Annette Dasch ruft das Pressebüro an: Das Kind schläft – und würde, wenn seine Mutter aufbricht, sofort aufwachen. Ob das Gespräch vielleicht bei Frau Dasch zu Hause stattfinden könne? Natürlich, kein Problem. Annette Dasch ist in der laufenden Festspielzeit die Elsa im „Lohengrin“ – Florian Zinnecker hat mit ihr gesprochen. (Als er ankam, war das Kind – Fanny – aber schon wieder wach.)

 
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Frau Dasch, die laufende Festspielzeit ist für Sie eine besondere – es ist Ihre erste als Mutter. Wie geht es Ihnen da: als Sängerin, als Elsa von Brabant?

Annette Dasch: Der Unterschied ist eigentlich gar nicht so groß. Unser Regisseur Hans Neuenfels hat im vergangenen Jahr gesagt: Du kannst das Kind zu jeder Probe mitbringen – die Hauptsache ist, du kommst wieder. Das habe ich jetzt auch getan – weil Fanny schnell ungeduldig wird, wenn sie jemand draußen herumschiebt. Sobald sie auf der Probe ist, guckt sie interessiert zu. Das hat sich gut ergeben.

Was macht das mit Herrn Neuenfels?

Dasch: Ach, der freut sich. Manchmal macht Fanny so kleine Babygeräusche, dann sind immer alle ganz entzückt. Aber meistens ist sie still oder sie schläft sogar. Nicht einmal die Herren Telramund und König Heinrich schaffen es, so laut zu singen, dass sie davon aufwacht (lacht).

Und wie geht es Ihnen selbst? Gibt es da wirklich keine Unterschiede?

Dasch: Doch, natürlich – meine Prioritäten haben sich völlig verschoben. Das hat aber nicht unbedingt mit der Arbeit hier zu tun. Mein Beruf war für mich immer existenziell, er war mein Leben – wenn ich morgens aufgewacht bin, war mein erster Gedanke: Wie fühle ich mich, was macht die Stimme? Und jetzt ist der erste Gedanke natürlich bei meinem Kind. Mein Beruf ist jetzt eben doch nur ein Beruf. Das soll keine Abwertung sein; es ist eher so, dass ich mich jetzt viel mehr darauf freue, zu arbeiten. Das Gefühl, ach, jetzt muss ich wieder hier- und dorthin, bin ich heute gut genug oder vielleicht zu müde – diese Belastungen sind weg. Jetzt ist es so: Dem Kind geht es gut, der Babysitter ist da, alles ist organisiert – jetzt freue ich mich auf meine Probe.

Sie sind – für eine Sängerin, genauso aber für eine normale Berufstätige – vergleichsweise schnell nach der Geburt wieder ins Berufsleben eingestiegen. Wie kam das?

Dasch: Manche Leute gönnen sich ja den Luxus, ein Jahr ganz auszusteigen aus allem – und ich gönne mir sozusagen den Luxus, jetzt schon wieder zu arbeiten. Einfach, weil ich es will; weil es mir so viel bedeutet.

Haben Sie das Gefühl, sich dafür oft rechtfertigen zu müssen? Es gab ja, als Sie nach der Geburt wieder auf der Bühne standen, gleich wieder ein paar Schlagzeilen: „Die Dasch singt schon wieder“ ...

Dasch: Ja, ich wurde von einer Zeitung interviewt, und die erste Frage lautete: „Sie haben sechs Wochen nach der Geburt schon wieder geprobt – schlechtes Gewissen?“ Da dachte ich: Ah, interessant, die Gesellschaft ist doch noch nicht so weit ... Ich finde, man muss da die Kirche im Dorf lassen. Unser Beruf bedeutet ja nicht, acht Stunden im Büro zu sitzen und das Kind in dieser Zeit abzugeben. Wir haben maximal zweimal drei Stunden Probe, einmal morgens, einmal abends, das sind Zeiten, in denen so ein kleiner Säugling auch einfach schläft. Fanny hat sehr oft gar nicht mitgekriegt, dass ich geprobt habe. Eine Neuproduktion hätte ich aber nicht unbedingt gemacht. Mit dem „Lohengrin“ sind wir jetzt im dritten Jahr, da musste ich auf der Probe nichts mehr beweisen. Und die Umfelder, in denen ich arbeite, sind sehr, sehr familiär – wenn Fanny brüllt, dann darf mein Mann oder meine Mutter oder der Babysitter auch auf die Probe kommen und sagen: Annette, du musst jetzt bitte kommen. Das ist so abgesprochen, das ist in Ordnung.

In einem Interview haben Sie gesagt, Sie haben während der Schwangerschaft gemerkt, dass Ihre Tochter Ihnen ganz ruhig zuhört, wenn Sie singen.

Dasch: Ja, das war so. Wenn ich gesungen habe, ist sie fast in eine Art Starre verfallen, sie hat sich eingeigelt und zugehört. Und sobald ich fertig war, sobald ich mich aufs Sofa gesetzt habe und dachte, so, jetzt bin ich fertig, habe ich die Beinchen gespürt. Bei meinem Mann war es genau andersherum: Als er „Così fan tutte“ hatte in Frankfurt, habe ich Fanny zum ersten Mal überhaupt gespürt. In der großen Guglielmo-Arie – da merkte ich auf einmal, huch, da applaudiert jemand.

Ist es in diesem Land zu diesem Zeitpunkt gut, ein Kind zu bekommen?

Dasch: Ich glaube, es liegt sehr viel daran, wie man das mit sich selbst arrangiert. Ich sehe das ja auch bei meinen Freundinnen – das ist natürlich eine sehr schmale Bevölkerungsschicht, aber trotzdem: Wir haben alle Abitur, sind danach ein Jahr lang durch die Welt gereist, haben mit 20 ein Studium begonnen – und bis man dann fertig ist mit allem, ist man fast schon Anfang 30. Bis man wirklich im Beruf steht, ist man Mitte 30 – und dann muss man sich erst mal etablieren, bevor man sich traut, ein Kind zu bekommen. Da ist irgendetwas ganz grundlegend falsch. Ich weiß es nicht so genau, vielleicht müsste man das selbst anders sehen und einfach mit Mitte 20 sagen: So, ich kriege jetzt einfach ein Kind.

Hat Fanny schon einen Kita-Platz?

Dasch: Als ich schwanger war, bin ich das in Frankfurt auch immer gefragt worden. Na, habt ihr schon einen Kita-Platz, habt ihr euer Kind schon auf der angesagten Schule angemeldet? Und wir immer so: Spinnt ihr, es ist noch nicht mal da, das Kind. Anscheinend würden wir jetzt schon gar keinen Platz mehr kriegen.

Und? Braucht das Kind überhaupt einen Kita-Platz? Als freischaffende Sängerin sind Sie doch ohnehin immer unterwegs ...

Dasch: Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Im Moment gibt es da noch keinen Plan – ob sie, bis sie in die Schule kommt, mit mir mitreist oder ob wir für sie irgendwo einen Alltag schaffen, abwechselnd mit ihrer Mutter und ihrem Vater. Ich weiß nicht, was für sie besser ist. Viele Eltern sagen, die Kinder brauchen Struktur, jeden Tag das gleiche Schema. Ich kann mir aber vorstellen, dass das auch trotz Reise und Unterwegssein geht. Ich weiß es nicht. Da bin ich noch in der Findungsphase.

Wie musikalisch wächst Fanny auf?

Dasch: Extrem musikalisch natürlich, sie ist ja ständig dabei, wenn gesungen und musiziert wird – sie genießt das sehr, und sie fordert es auch ein. Man sollte wirklich nicht versuchen, sie bei einer Sitzprobe draußen vor verschlossener Tür im Kinderwagen hin und her zu schieben. Da brüllt sie, sie möchte drinsitzen und alles anschauen, alles miterleben. Und wenn sie so vor sich hin plappert und ich ihr dann ein Lied vorsinge, dann schaut sie mich an, wird ganz ruhig und hört bis zum Ende zu. Die Aufmerksamkeit wandert nicht weg.

Education-Projekte sind ja momentan sehr angesagt – um junges Publikum an „die Kultur“ heranzuführen. Welchen Blick haben Sie darauf?

Dasch: Ich finde das gut. Weil in meiner eigenen Kindheit die Lust und der Hunger auf all das sehr groß waren – darauf, in der Theater-AG mitzuspielen oder im Schulorchester. Ich glaube, da gibt es bei Kindern eine ganz große Gier, etwas selbst zu machen, etwas darzustellen. Das sind Erlebnisse, die sehr stark prägen. Auch die Leute in meinem Freundeskreis, die nicht Musiker geworden sind – die kriegen alle einen seligen Ausdruck im Gesicht, wenn sie von ihrer Zeit im Schulchor erzählen.

Und die Kinder-Projekte großer Opernhäuser und Orchester? Muss man sich heute wirklich so sehr auf die Kinder stürzen, damit die Zukunft des Kulturbetriebs gesichert ist und das Publikum nicht ausstirbt?

Dasch: Ja, ich finde, das muss man. Ich bin da allerdings weniger panisch, wenn ich Leute sagen höre, das Kulturpublikum überaltert. Ich brauche mich ja nur mal in meinem Freundeskreis umzusehen: Die Leute sind interessiert, aber sie haben einfach keine Zeit, ins Konzert zu gehen – weil sie viel zu eingespannt in ihren Berufen sind oder weil sie kleine Kinder haben. Es gibt für alles eine Zeit im Leben, und die meisten Leute kommen eben erst darauf, wenn ihr Haar schon grau ist. Das stört mich nicht, ich finde es nur wichtig, dass es vorher einen Erstkontakt gibt. Wenn man mit 40 zum ersten Mal Bruckner hört, fragt man sich natürlich: Und was hat das mit mir zu tun? Je früher das verankert wird, desto höher ist die Sensibilität.

Erinnern Sie sich an Ihren Erstkontakt zu Musik?

Dasch: Hm. Ich bin in eine musikalische Familie hineingeboren, meine Eltern haben immer musiziert. Als Kinder sind wir ständig in der Kirchenbank herumgekrabbelt, während meine Eltern Oratorien probten. Meine Mutter hat auch gesungen, als sie mit mir schwanger war. Das war einfach immer da.

Also wiederholt sich das gerade ein bisschen, mit Ihnen und Fanny?

Dasch: Ja, mit anderen Schwerpunkten – so viel Wagner habe ich als Kind nicht abbekommen. Aber doch, zu Hause hat sich mein Vater mit uns vors Radio gesetzt, wenn aus Bayreuth die Übertragungen kamen. Doch, eigentlich wiederholt es sich.

Foto: Lammel