Ein Kleinod im Dornröschenschlaf Das Leers'sche Waisenhaus in Bayreuth

Von Gordian Beck

Das sogenannte Leers’sche Waisenhaus ist ein Bauwerk der späten Gründerzeit. Gleichwohl nach außen hin opulent, offenbart es nach innen hin eine exakt auf den Zweck ausgerichtete Funktionalität.

 
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Bernecker Straße 11. Monoton rauscht im Takt der Ampelschaltungen der Verkehr. Von dem imposanten Gebäude, das sich hinter dieser Adresse verbirgt, ist nicht viel zu sehen. Eine umlaufende Hecke hinter dem auf Sandsteinblöcken aufgesetzten schlichten Lattenzaun, hoch gewachsene Büsche sowie zwei dicht belaubte Bäume verwehren den Blick. Das mit schmucklosen Zaunlatten beschlagene, schon dezent grau verwitterte Gartentor hängt leicht windschief in den Angeln. Eine Messingtafel verweist auf den Hintereingang, der über die Inselstraße zu erreichen ist.

Die teils geteerte, teils gekieste Einfahrt – auch einige alte Pflastersteine sind noch sichtbar – offenbart das Idyll eines kleinen bäuerlichen Anwesens: Eine aus rotem Backstein gemauerte Scheune – sie begrenzt das Anwesen zur Inselstraße hin –, einen zurzeit mit reichlich Früchten gesegneten Kirschbaum, hinter dem sich eine Wiese ausbreitet, sowie ein L-förmig angeordnetes, eingeschossiges aus Holz errichtetes Nebengebäude, das die Grünfläche zur Seestraße hin umschließt.

Allein, hier ist kein Gutshof, sondern vielmehr die „Forschungs- und Ausbildungsstätte für Kurzschrift und Textverarbeitung“ beheimatet. Ein eingetragener Verein, der im Auftrag des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus sowie anderer Kultusministerien Fachlehrer für Textverarbeitung sowie Stenografie ausbildet. Und zugleich das Deutsche Schreibmaschinenmuseum sowie die Deutsche Bibliothek für Kurzschrift, Textverarbeitung und Maschinenschreiben betreibt.

Ein ambitioniertes Angebot, das von rund 200 Mitgliedern getragen wird, – „bundesweit“, sagt Jörg Heimler, der Schatzmeister des Vereins. Indes, der Verein hat es schwer: Stenografie ist mit dem Jahr 2000 auch aus den Lehrplänen von Wirtschaftsschulen gestrichen worden. Kurse für Textverarbeitung finden zwar noch statt, aber bei weitem nicht so oft, „wie wir uns das wünschen“, sagt Heimler. Und erzählt schmunzelnd von einem ganztägigen Didgeridoo-Kurs der Bayreuther Volkshochschule, der nach einigem Suchen nach einer geeigneten Unterrichtsräumlichkeit im Schulungsraum des Vereins ein Quartier fand. Dieser ist, wie auch das Museum im Nebengebäude untergebracht.

Die Bibliothek dagegen befindet sich im Leers’schen Waisenhaus. Dort sollen in Zukunft auch Exponate lagern, erläutert Heimler. Dafür wird der bisherige Lagerraum im Nebengebäude dem Ausstellungsraum zugeschlagen. Ein Vorhaben, das Sinn macht, wirkt doch der Schauraum – die niedrige Decke tut das ihrige dazu – schlichtweg überladen.

Gleichzeitig offenbart sich hier das Dilemma, in dem der Verein steckt: „Wir wissen gar nicht mehr wohin mit all den Schreibmaschinen, die uns zugetragen werden“, so Heimler.

Auf der anderen Seite sind die Räume im Waisenhaus nur bedingt für die Lagerung der Bestände geeignet; der Zustand der Zimmer, die dem Verein zur Verfügung stehen, ist sehr unterschiedlich: Teils ordentlich renoviert, teils noch im Muff der 1960er, der 1970er Jahre.

Eine Führung wie eine Zeitreise. Und irgendwie auch symptomatisch für ein Gebäude, das einerseits die Aura einer längst vergangenen Zeit atmet, andererseits auf durchwegs melancholische Art das Vergessen thematisiert, mit dem es ganz augenscheinlich behaftet ist. Denn dieses Bauwerk verdient weitaus mehr Beachtung, als ihm in Bayreuth zuteil wird. Kurz, es ist ein Kleinod, der sich hier hinter Hecken und Bäumen zwischen Ordensschloss und Pflasterzollhaus versteckt. Trotz seiner schlichten inneren Funktionalität. Oder gerade auch deswegen.

Ironischerweise geht es dem Verein ähnlich: Auch er hätte weitaus mehr Aufmerksamkeit verdient, denn das Schreibmaschinenmuseum ist wie auch die Bibliothek ein echter Schatz, der endlich ins rechte Licht zu rücken wäre.

Die Expertin: Ulrike Färber, Architektin, verantwortlich für das Quartiersmanagement St. Georgen

Die Annahme, ein Bauwerk wie das Leers’sche Waisenhaus müsse unter Denkmalschutz stehen, trügt nicht. Doch die Beschreibung, mit der das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in seiner Denkmalliste aufwartet, ist unerwartet dürr. Das Anwesen wird dort mit gerade mal zwei Zeilen bedacht: „Zweigeschossiger Putzbau mit Sandsteingliederung und Walmdach, barockisierend“. Daneben ist noch das Baujahr aufgeführt sowie die Nutzung, die in dieser Liste noch auf „Deutsches Schreibmaschinenmuseum“ lautet.

„Das Gebäude ist aus Sicht des Denkmalschutzes eben noch nicht auffällig geworden“, meint Ulrike Färber dazu. Dabei biete die Fassade eine reichhaltige Auswahl an Ornamenten und architektonischen Stilmitteln, wie sie für Bauwerke um das beginnende 20. Jahrhundert typisch waren. Wie etwa den verkröpften Giebel mit seiner auf blauem Grund in goldfarbenen Lettern eingelassene Inschrift „Leers’sche Stiftung für arme Waisenkinder“. Oder die aufwendig gestaltete Putzfassade mit ihren kunstvollen Gesimsen und Pilastern. Andererseits, „derartige Gebäude findet man auch in Bayreuth noch zur Genüge“, so Färber.

Schließlich entstanden dank der boomenden Wirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts in vielen Städten neue Viertel. Ganze Straßenzüge im Stil der sogenannten Gründerzeit gibt es zwar in Bayreuth nicht zu bewundern, dafür aber eine Reihe von Funktionsbauten, wie etwa das Richard-Wagner-Gymnasium oder das Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasium.

Letztendlich ist auch das Leers’sche Waisenhaus von seiner Raumaufteilung her ein solcher Funktionsbau. Dem entsprechend werde das Gebäude heute „rein gewerblich genutzt, ganz im Sinne der lokalen Ökonomie“, sagt Färber. Die Stadt hat in den zwei oberen Stockwerken auf rund 200 Quadratmetern eine „Gründeretage“ eingerichtet: Büroflächen für Existenzgründer. Ein Konzept, das laut Färber, gut funktioniert. Gleichwohl sieht sie, auf das ganze Anwesen bezogen, „viel Handlungsspielraum bei viel Potenzial“.

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