Parlamentskandidatin Wera Hobhouse von den EU-freundlichen Liberaldemokraten sieht in der Neuwahl ein großes Risiko. Sollten die Konservativen eine absolute Mehrheit erringen, könnte es doch noch zu einem weitgehend ungeregelten Brexit kommen, sagte die deutschstämmige Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. Johnson ziele letztlich auf einen Brexit ohne Anschlussregelung ab, sagte Hobhouse, die im Wahlkreis Bath im Südwesten Englands antritt. "Deswegen haben seine Hardliner auch seinem Deal zugestimmt."
Auch die Liberaldemokraten hatten Johnson den Weg zur Neuwahl geebnet. Sie hoffen, damit den Brexit abwenden zu können. Sollten aber die Konservativen mehr als die Hälfte der 650 Mandate gewinnen, hätte Johnson freie Fahrt für einen Brexit unter den Bedingungen seines mit Brüssel ausgehandelten Abkommens am 31. Januar 2020.
Johnson will dann ein Freihandelsabkommen mit der EU vereinbaren, doch dafür bliebe kaum Zeit. Die für zwei Jahre vorgesehene Übergangsphase bis Ende 2020 wird bis zum anvisieren Austrittsdatum auf weniger als ein Jahr zusammengeschrumpft sein. Zwar gibt es die Option, bis zum Sommer noch eine Verlängerung der Übergangszeit zu vereinbaren, doch das hat Johnson bereits ausgeschlossen.
"Ich kann mir nicht vorstellen dass es vom 31. Januar bis nächsten Sommer ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union geben wird", sagte Hobhouse. Deswegen werde das Land im Dezember 2020 wieder vor der großen Frage stehen: Gibt es einen No-Deal-Brexit?
Bisher hatten die Liberaldemokraten 20 Abgeordnete. Hobhouse setzt darauf, dass es bei der Wahl weder für Johnson noch für Corbyn für eine eigene Mehrheit reicht und die Liberaldemokraten Zünglein an der Waage spielen können. Eine Koalition schließe die Partei aber aus.
Unterdessen gab es neuen Streit um den maroden und unterfinanzierten Gesundheitsdienst NHS, der hauptsächlich mit Steuergeldern finanziert wird und eine große Rolle im Wahlkampf spielt. Mediziner forderten, aus Mangel an Kapazitäten Hausbesuche einzuschränken. Dies wies Gesundheitsminister Matt Hancock im Interview mit dem Sender Sky News scharf zurück: "Das wird nicht geschehen." Zugleich kündigten die Konservativen große Finanzspritzen für die Demenzforschung an. Derzeit leiden etwa 850.000 Menschen in Großbritannien unter Demenz; die Zahl der Betroffenen steigt.
Ganz andere Sorgen treibt die britische Getränke- und Gaststättenbranche um. Im Kampf gegen das Pubsterben im Vereinigten Königreich forderte sie erneut eine niedrigere Biersteuer. "Eine geringe Steuersenkung würde die Bierpreise bezahlbar halten und Investitionen in die Branche ankurbeln", betont die British Beer & Pub Association (BBPA) in ihrem Forderungskatalog zur Parlamentswahl. 70 Prozent der verkauften Getränke in Pubs sind Biere. Mit 0,35 Euro je 0,33-Liter-Flasche ist die Biersteuer die dritthöchste in der EU. Sie ist dem Verband zufolge elf Mal höher als in Deutschland.