Doppelinterview mit Suchtforscher und Medienwissenschaftler Suchtforscher: E-Zigaretten werden vorschnell verdammt

Für den einen ist sie Trendobjekt, für die anderen die süßeste Zigarette der Welt. Wir sprachen mit dem Suchtforscher Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences und dem Bayreuther Medienwissenschaftler Jochen Koubek über den Siegeszug der E-Zigarette, Geschlechterunterschiede beim Rauchen und den Einfluss der Werbung.

 
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Früher suggerierte die Marlboro-Werbung, dass Raucher harte, coole Männer sind. Heute rauchen sie Sorten wie Eisbonbon. Was ist passiert?
Heino Stöver: Bei Jungen gab es einen drastischen Imagewandel: In den 50er-Jahren war sie Ausweis der Männlichkeit, heute gilt Rauchen als unsportlich. Männlich ist, wer fit ist.
Jochen Koubek: Rauchen wird inzwischen als Ausdruck individueller Lebensfreude verkauft. Dazu gehören verschiedene Geschmacksrichtungen, die zu Dampfzigaretten einfacher hinzuzufügen sind als zu Tabak.
Stöver: Dass man sich mit der Vielfalt an Geschmäckern auskennt, wird als Ausweis von Kennertum und Genussfähigkeit betrachtet. Diesen Wert können Männer vor sich hertragen.

Frauen nicht?
Stöver:
E-Zigaretten sind eine Mischung aus Paffen mit viel Rauch und normaler Zigarette. Das dient der Männlichkeitsinszenierung, für Frauen sind sie zu unelegant. Das Ganze hat auch technische Aspekte, was dampft wie und warum am besten und so weiter. Da kommt bei Männern das Interesse am technischen Detail durch.

Ich kenne aber auch immer mehr Frauen, die „dampfen“.
Stöver: Viele Frauen nutzen E-Zigaretten, wenn sie aufhören wollen zu rauchen, aber Angst vor Gewichtszunahme haben. Da können E-Zigaretten helfen, denn für wirklich Abhängige gibt es sonst nicht viel.

Zigaretten als Lösung des Zigarettenproblems?
Stöver: Man muss natürlich auch kritisch fragen, inwieweit E-Zigaretten zu einem späteren Umstieg auf Tabak beitragen. Dazu gibt es nur wenige Untersuchungen, aber eine Studie aus den USA besagt: Wer als Jugendlicher E-Zigarette geraucht hat, raucht später mit einer 20 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit als ein Nichtraucher.
Koubek: Es ist strittig, ob die strassbesetzten E-Zigaretten nicht primär eben diese Jugendlichen ansprechen, ohne dass die gesundheitlichen Konsequenzen abzusehen sind.
Stöver: Die E-Zigarette zu verdammen, weil es noch kaum Studien gibt, halte ich aber für vorschnell. In Zigaretten sind 400 krebserregende Stoffe, ein Drittel aller Neuerkrankungen an Tumoren bei Männern in Deutschland pro Jahr sind tabakassoziiert. Statt das Problem anzugehen, wird die E-Zigarette ohne genaues Wissen geächtet. Man vergibt da eine riesige Chance.

Hat Werbung in der Zigaretten-Frage irgendeinen Einfluss?
Koubek: Der Versuch der Tabakindustrie, über Werbekampagnen Rauchen als Ausdruck von Selbstbewusstsein zu inszenieren, ist nur mäßig erfolgreich. Und E-Zigaretten sind noch zu neu, um bereits ein Image aufgebaut zu haben. Derzeit sind sie ‚anders‘ aber noch nichts Eigenes.
Stöver: Es ist interessant, dass sich der Trend zur E-Zigarette fast ohne Werbung durchsetzt. Das hängt damit zusammen, dass es viele kleine Anbieter aus allen Eckern der Welt gibt. Die Tabakkonzerne merken erst langsam, dass der Trend nicht aufzuhalten ist.

Es gibt also tatsächlich einen Trend?
Koubek: Im Vergleich zur normalen Zigarette steigt der Konsum von E-Zigaretten deutlich. Insgesamt nimmt die Zahl der Raucher aber weiterhin ab.
Stöver: Man schätzt, dass es in England im Jahr 2020 mehr Dampfer als Raucher geben wird.

Gut auch für die Umstehenden.
Koubek: Ja, E-Zigaretten sind in jedem Fall gesellschaftstauglicher, weil sich Nichtraucher weniger belästigt fühlen. Ein weiterer Vorteil ist, dass man nicht immer eine ganze Zigarette rauchen muss. Ein, zwei Züge reichen, der Konsum kann deutlich reduziert werden. Und dann besteht ja noch die begründete Hoffnung, dass E-Zigaretten weniger gesundheitsschädlich sind.
Stöver: Am gefährlichsten ist, dass die einen Produkte reguliert werden, die anderen nicht, weil sie aus einem Land mit weniger strengen Gesetzen kommen. Im Grunde sind einheitliche Regulierungsbemühungen gefragt, statt zu sagen, dass alles schlimm ist.

Das Gespräch führte Sarah Bernhard.

Wie ein bayreuther Liquid-Produzent die Welt erobern möchte, lesen Sie hier.

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