Die Rettl aus dem Hummelgau wird 90

Von Dieter Jenß
 Foto: red

Die Rettl aus dem Hummelgau feiert am Freitag in ihrem Heimatort Pittersdorf ihren 90. Geburtstag.

 
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Eigentlich heißt sie Annemarie Leutzsch, doch jeder kennt sie unter ihrem Künstlernamen. Über Jahrzehnte war sie als Mundartdichterin und Unterhaltungskünstlerin vielerorts unterwegs, trat in Funk und Fernsehen auf, in Sälen und Bierzelten, in Firmen und Vereinen.

Sie war Bäuerin, Museumsdirektorin, Schriftstellerin bis hin zu Geschichtensammlerin. Daneben wirkt sie immer noch als Volkskundlerin und ist dabei eine gefragte Ansprechpartnerin in Sachen Sprachforschung europaweit für bisher zwölf Universitäten.

Herzenswunsch erfüllt

Bis 2008 führte Annemarie Leutzsch ein Heimatmuseum im eigenen Bauernhof, die Hummelstube, das kleinste Privatmuseum in Bayern, deren Exponate sie mit der Einweihung des neuen „Museum Hummelstube“ im Juni 2009 an die Gemeinde übergab. Für die Rettl erfüllte sich, ebenso wie für die Kommune, als auch den 1993 gegründeten Freundeskreis der Hummelstube, mit der neuen Einrichtung im ehemaligen Bauernhaus in der Bayreuther Straße ein Herzenswunsch. Der Erwerb des sogenannten Zeckenhauses unweit des bisherigen Standortes war für die Gemeinde ein Glücksfall.

Annemarie Leutzsch, seit ihrem 70. Geburtstag Ehrenbürgerin der Gemeinde Hummeltal und bekannteste Botschafterin des Hummelgaus, hat bereits in den 60er Jahren ihre Hummelstube im ehemaligen Stall des Familienanwesens, im aus dem Jahr 1437 stammenden Ruckriegelhof, eingerichtet. Zu den Familienerbstücken kamen im Laufe der Zeit immer mehr Gegenstände aus dem Hummelgau hinzu.

Vorträge über Brauchtum und Sprache

Die umfangreiche Sammlung umfasst bemalte Möbel, Trachten, Textilien und Hausrat aller Art, Geräte und schriftliche Dokumente, die Aufschluss über das Leben im späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geben. Dazu gesellten sich 1986 Teile des Kaufladens, den bis kurz zuvor Verwandte der Rettl in Gesees betrieben. Als ernsthafte Volkskundlerin hielt sie an fränkischen Unis Vorträge über Brauchtum und Sprache.

Sie ist längst zu einer echten fränkischen Institution geworden. Angesprochen, wie sie sich im Alter von 90 Jahren fühlt, kommt spontan die Antwort „eigentlich ganz gut“ und dann folgt eine typische Rettl-Anmerkung „das Tanzen geht a weng schwer“.

Vor fünf Jahren, so ihre Erzählung, hat sie sich vorgenommen „sich durch nichts aus der Ruhe zu bringen“. Das klappt, so Annemarie Leutzsch, die betont, „dass es gesundheitlich einigermaßen läuft“.

Aktivitäten zurückgeschraubt

Die früheren Aktivitäten hat sie in den letzten Jahren um einiges zurückgeschraubt, so die Jubilarin, die sich freut, dass ihre drei Kinder mit ihren Familien mit ihr feiern werden. Tochter Kristin ist aus ihrer Heimat Australien und Sohn Martin aus Paderborn angereist, während ihr Sohn Michael im Ruckriegelhof mit seiner Familie wohnt.

Für ihr Engagement und ihr Lebenswerk hat Annemarie Leutzsch bereits viele Auszeichnungen erhalten. So den Kulturpreis des Landkreises Bayreuth 1992. Eine besondere Ehre war für sie die Verleihung des „Frankenwürfels“ 1993, weil, wie sie einmal betonte, dieser seltener verliehen wird, als das Bundesverdienstkreuz, das sie am Bande 1987 erhielt.

Säen als Schlüsselerlebnis

Eigentlich wollte Annemarie Leutzsch studieren und Lehrerin werden. Der Vater war schließlich Oberstudiendirektor in Bayreuth. Die Mutter aber stammte vom großen Ruckriegelhof (seit 1437) in Pittersdorf, den die Großmutter bestellte.

In der Obhut der Oma, die die Enkelin noch mit „Ihr“ angeredet hat, lernte sie all die Dinge, die was wert sind, die alten Sitten und Bräuche, die den Menschen innere Sicherheit geben, den Lebensrhythmus nach der Ordnung des Jahresablaufs. Als das Mädchen Annemarie zum ersten Mal mit eigenen Händen gesät hatte – „das war ein einschneidendes Erlebnis“- meldete sie sich freiwillig von der Schule ab, absolvierte eine landwirtschaftliche Lehre.

Eine selbständige Bäuerin wurde sie dennoch nicht. Weil Rudolf kam, ihr Mann im wirklichen Leben, der vor 13 Jahren starb. Denn in ihren Geschichten aus dem Hummelgau, in denen sie in den 60er Jahren in der "Fränkischen Presse" mit den Lesern „aweng geplaudert hat und ihnan vo us dahaam erzählte“, hat sie den Namen „Gerch“ erfunden.

Bayerischer Dialektpreis

Diese Mundart-Glossen haben sie erstmals weithin bekannt gemacht. 1962 zog die Familie, ihrer drei Kinder wegen, wieder zurück aufs Land, auf den Ruckriegelhof, der in der Folge eine hoch angesehene volkskundliche Sammlung beherbergte, die Hummelstube.

Nach der Verleihung des Bayerischen Verdienstordens vor drei Jahren erhielt Annemarie Leutzsch im März 2017 in der  Münchner Residenz durch Heimatminister Markus Söder und Kultusminister Ludwig Spaenle den zum ersten Mal vergebenen Bayerischen Dialektpreis als einzige aus Oberfranken.

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