Es ist phänomenal.
Was währenddessen auf der Bühne passiert, ist kompakt und ausufernd gleichzeitig, das Golden Motel an der Route 66 ist ein Jahr älter geworden. Es gibt auf dieser Bühne kein Vorne und kein Hinten. Eine Handlung im klassischen Sinn gibt es auch nicht, es passieren Dinge zur Musik, live in den einsehbaren und – über Video – den nicht-einsehbaren Teilen des Bühnenraums, was davon Wahrheit ist und was Lüge, kann man nicht immer klar trennen. Aber das eint die Bühnenrealität eher mit dem Dramenstoff, als dass es sie trennt.
Selbstverständlich sind alle Männerbrüste behaart und aufgeknöpft, selbstverständlich sind alle Frauen blond (mit Ausnahme von Erda) und tief ausgeschnitten.
Es gibt Grillwurst, Gold und Motoröl ins Gesicht, und es gibt ziemlich oft was auf die Nase – denn natürlich hat der Abend nicht nur im Orchestergraben, sondern auch auf der Bühne Leitmotive. Aggressivität ist das prägende, Egoismus ein zweites: Es kommt nicht oft vor, dass zwei Figuren einander offen ins Gesicht sehen.
Der frisch umbesetzte Alberich Oleg Bryjak wirft sich mit seinem ganzen Körper in die Rolle des Widerlings, seine Stimme braucht bis zum Ende der dritten Szene, um ein bisschen mehr Körper zu bekommen. Wotan Wolfgang Koch passt mit seinem rauen Timbre nahtlos in das Gesamtkunstwerk, das dieser Abend ist, einen echten Göttervaterbass braucht er dafür nicht. Hervorragend: Claudia Mahnke als Fricka und Elisabet Strid als Freia, Norbert Ernst als Loge und Burkhard Ulrich als Mime – perfekt in Intonation und Aussprache, nichts anderes gilt für Markus Eiche als Donner und Wilhelm Schwinghammer als Fasolt, der – im Verhältnis zu seinem breitbrüstigen Auftreten als Riese – stimmlich im Verlauf des Abends an Breitbrüstigkeit leicht einbüßt. Musikalischer Glanzpunkt des Abends: die Erda von Nadine Weissmann – eine kleine Sensation.
Und so endet das „Rheingold“ wie im vergangenen Jahr: unten tanzen die Gäste im goldenen Rausch zur Musik aus der Jukebox, die so genannten Götter stehen auf dem Dach des Golden Motels, der Krimi ist zu Ende und hat doch gerade erst begonnen. Ein Abend, ganz anders erzählt als alles, was auf dem Grünen Hügel recht und billig ist, eine Herausforderung für die Theatermaschine Bayreuth, für die Sänger und in allererster Linie das Publikum. Und ein Abend, der Großes hoffen lässt für die drei Tage, die jetzt folgen – dass Castorf mit Erwartungen auf eigene Weise umgeht, ist inzwischen ja bekannt.
Aber was heißt das schon.