Die Frau, die nicht ins Dunkel starrte

Von Manfred Scherer
Foto: Britta Pedersen dpa/Archiv Foto: red

Sie hat den Tod eines Menschen verursacht. Auch ein Jahr nach dem Unfall auf einem Betriebsgelände in Bindlach leidet eine 38-jährige Paketdienstfahrerin sichtlich unter den Folgen des Unfalls. Was sie überdies verzweifeln lässt, ist ihre Überzeugung: "Ich habe keinen Fahrfehler gemacht." Der Prozess gegen die Frau dreht sich um die Frage: Welcher Fehler begründet ihre Schuld für eine fahrlässige Tötung.

 
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Aufgrund der Umstände und des Unfallhergangs an jenem 10. Februar vergangenen Jahres kann man von einer Verkettung äußerst unglücklicher Umstände sprechen. Die Paketfahrerin bog mit ihrem Transporter nach links in die Zufahrt zu einer Laderampe ein, um diese Rampe hinauf und in eine Halle hineinzufahren, wo tagtäglich und routinemäßig sie ihren Wagen mit Stückgut belädt. Was sie nicht bemerkte: Ein Mensch kam gerade an der linken Seite die Rampe herunter. Es war 5.40 Uhr am Morgen und noch stockdunkel. An der Laderampe gibt es keine Beleuchtung. Und weil die Angeklagte wegen zweier geparkter Autos eine ausgedehnte Kurve nach links fahren musste, zeigten die Lichtkegel der Scheinwerfer ihres Transporters zunächst nach rechts, also nicht in die Richtung des Fußgängers.

"Ich habe ihn nicht gesehen. Ich dachte, ich bin über eine Palette gefahren", erinnert sich die Angeklagte im Prozess mit brechender Stimme. Ihr Verteidiger Karsten Schieseck sagt unter anderem, dass seine Mandantin seit dem Unfall lange Zeit krankgeschrieben war.

Die Fahrerin findet einen Körper

Als die Frau damals unter ihren Transporter blickte, erlitt sie einen Schock. Schreiend lief sie in das Betriebsgebäude. Rettungsdienst und Notarzt konnten nichts mehr machen. Der Fußgänger, ein 62-jähriger Lasterfahrer, war von dem Transporter der Kollegin umgestoßen worden. Das linke Vorderrad des Kleinlasters hatte den Körper des Mannes der Länge nach überrollt.

Nach Ansicht der Verteidigung könnte der Unfall unvermeidbar gewesen sein: Das Opfer trug dunkle Kleidung und tauchte in wenigen Sekundenbruchteilen vor der linken Vorderseite des Kleinlasters auf, dass seiner Mandantin kein Schuldvorwurf gemacht werden könne, meint Verteidiger Karsten Schieseck. Er rügt auch nachlässige Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Frage, ob das Opfer vielleicht aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung die Rampe heruntergegangen sei, sei unbeantwortet. Gleichermaßen seien die Ermittlungen nicht der Frage nachgegangen, ob auf dem Gelände das Tragen von Warnwesten vorgeschrieben sei. Das Fazit Schiesecks: der Unfall sei unvermeidbar gewesen.

Die Fahrerin hätte die Sitzposition ändern müssen

Das Gutachten eines Unfallsachverständigen brachte Licht ins Dunkel. Der Experte fand tatsächlich viele schuldmindernde Aspekte im Unfallhergang: Unglücklicherweise habe sich der Fußgänger zum Zeitpunkt des Anstoßes in einem toten Winkel zwischen dem breiten linken Außenspiegel des Unfallfahrzeugs und der sogenannten A-Säule befunden. Die A-Säule ist die Blechverbindung zwischen Fahrzeugdach und dem vorderen Fahrzeugaufbau. Zwischen der linken und der rechten A-Säule befindet sich die Windschutzscheibe.

Konnte die Paketdienstfahrerin also den Fußgänger nicht sehen? Im Moment des Anstoßes nicht, erklärte der Experte und fügte ein ABER hinzu. Wenn die Angeklagte vorher beim Fahren der Linkskurve ihre Sitzposition hinterm Lenkrad verändert hätte, den Kopf nach links gebeugt und angestrengt mehrere Sekunden aus dem Seitenfenster gestarrt hätte, dann hätte sie den dunkel gekleideten Fußgänger erkennen können.

Staatsanwaltschaft will keinen Fahrerlaubnisentzug

Diesen minimalen Fahrfehler hatte schon die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren angenommen und gegen die 38-Jährige einen Strafbefehl beantragt. Darin war der angenommenen Minimalschuld Rechnung getragen: 90 Tagessätze entsprechen einer Strafe, die nicht ins Polizeiregister eingetragen wird. Selbst einen Fahrerlaubnisentzug, bei fahrlässigen Tötungen im Straßenverkehr eine gängige Sanktion, hatte die Anklagebehörde nicht gewollt.

Zum Prozess kam es, weil die Paketfahrerin Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte. Und nach dem Gutachten des Sachverständigen gab Amtsrichter David Baasch den Rat: "Nehmen sie ihren Einspruch zurück."

Nach einer längeren Besprechung mit ihrem Anwalt beschränkte dieser den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch. Damit anerkannte die Angeklagte ihre Minimalschuld. Die juristische Strafe, die sie letztlich bekam, beträgt 90 Tagessätze zu je 20 Euro. "Für meine Mandantin gibt es eine andere Strafe", sagte Verteidiger Schieseck: "Sie wird ihr Leben lang an dieser Sache leiden."

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