Exhibitionismus: Warum macht man so was? Der Zwang, sich vor Fremden nackig zu machen

Markus Brauer

Zwei Männer onanieren im Saunabereich eines Hallenbads, ein anderer entblößt sich auf einem Spielplatz vor Kindern.  Keine Einzelfälle. Warum tun vor allem Männer so etwas? Wir erklären, was Exhibitionismus ist und warum es sich um eine schwere Psycho-Krankheit handelt.

 
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Exhibitionismus – Erregung öffentlich Ärgernisses: Ein Mann entblößt sich vor einer Frau (Symbolfoto). Foto: Sven Lambert

Und wieder hat es jemand getan: Zwei Männer sollen am Freitagabend (17. Mai) im Saunabereich eines Hallenbades in Bonlanden (Kreis Esslingen) mit entblößtem Geschlechtsteil onaniert haben. Wie die Polizei mitteilte, hatte ein 30-jähriger Besucher die zwei Männer gegen 18.45 Uhr im Dampfbad dabei gesehen. Das Hallenbadpersonal alarmierte die Polizei. Kurze Zeit später trafen die Beamten einen 60-jährigen Tatverdächtigen im Badebereich an, der nun mit einer entsprechenden Anzeige rechnen muss. Das Polizeirevier Filderstadt hat die Ermittlungen aufgenommen, insbesondere zum zweiten – noch unbekannten – Täter.

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Exhibitionismus ist eine Form der sogenannten Paraphilie: Darunter versteht man psychische Störungen, die von den gesellschaftlich erlaubten sexuellen Verhaltensweisen deutlich abweichen. Foto: Imago/Pond5 Images

Nur einer von immer wieder auftretenden Exhibitionismus-Fällen in Baden-Württemberg, wie ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt:

  • Ein unbekannter Mann entblößt sich in Stuttgart-Bad Cannstatt vor einer Frau.
  • Ein unbekannter Exhibitionist belästigt auf einem Spielplatz in Stuttgart Wangen zwei sechs und acht Jahre alte Mädchen.
  • Ein 83-Jähriger entblößt sich am Fellbacher Bahnhof. Während er onaniert, schaut wohl durchgehend zu einer am gegenüber liegenden Bahnsteig wartenden 28-jährigen Reisenden.
  • Ein unbekannter Exhibitionist geht am Bahnhof Tübingen-Lustnau auf eine 23 Jahre alte Reisende zu und onaniert.
  • In Bad Cannstatt onaniert ein Mann in aller Öffentlichkeit vor einer 27-jährigen Frau.
  • Am Ebnisee werden zwei junge Frauen von einem Mann mit String-Tanga und Peitsche sexuell belästigt.
  • In Owen onaniert ein Mann vor zwei 17-jährigen Mädchen.
  • Im Jahr 2022 wurden laut Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) 8469 Fälle der Erregung öffentlichen Ärgernisses in Deutschland polizeilich erfasst.

Exhibitionismus – eine Form der Paraphilie

Warum entblößen sich vor allem Männer vor wildfremden Menschen, um sich dabei sexuell zu erregen? Exhibitionismus ist eine Form der Paraphilie. Darunter versteht man psychische Störungen, die von den gesellschaftlich erlaubten sexuellen Verhaltensweisen deutlich abweichen. Die Sexualität richtet sich dabei auf unbelebte Objekte oder Personen wie Kinder, die zu einer Gegenwehr nicht fähig sind.

Paraphile Präferenzen sind häufig mit Schmerz oder Demütigung verbunden. Im Gegensatz zu gesellschaftlich akzeptierten sexuellen Spielarten lösen sie in medizinisch-klinischer Hinsicht einen Leidensdruck bei der betroffenen Person und ihrem Opfer aus. Das Gegenstück zum Exhibitionismus ist der Voyeurismus.

Sexuelle Erregung beim Zeigen der Genitalien

Der ICD-10 (F65.2.) definiert Exhibitionismus als „die wiederkehrende oder anhaltende Neigung, die eigenen Genitalien vor meist gegengeschlechtlichen Fremden in der Öffentlichkeit zu entblößen, ohne zu einem näheren Kontakt aufzufordern oder diesen zu wünschen. Meist wird das Zeigen von sexueller Erregung begleitet und im Allgemeinen kommt es zu nachfolgender Masturbation.“

 

Zwanghaftes Verhalten

Ein sogenannter Flitzer rennt bei einem Bundesliga-Spiel über den Rasen (hier beim Spiel Borussia Dortmund gegen Arminia Bielefeld am 16. April 2005 im Westfalenstadion). Flitzen – die nackte Selbstdarstellung auf öffentlichen Veranstaltungen – ist eine Spielart des Exhibitionismus. Foto: dpa 

Psychiatrisch ist das zur Schaustellen seiner Geschlechtsorgane vor Unbeteiligten ein zwanghaftes Verhalten. Der Täter befreit sich dadurch von einer psychischen Spannungssituation. Er versucht bewusst Erschrecken und Abscheu bei seinem Opfer hervorzurufen, was ihn wiederum sexuell stimuliert und befriedigt.

Zwanghafte Personenverspüren innere Zwänge, bestimmte Dinge zu denken und/oder zu tun. Auch wenn diese - wie etwa ein Wasch-, Aufräum- oder Entblößungszwang - als übertrieben und sinnlos erlebt werden, kann man sich ihnen nicht entziehen, wodurch das komplette Leben beeinträchtigt wird. Je nachdem wie stark dieser sexuell abnorme Drang ausgeprägt ist, entblößt sich der Exhibitionist mehrmals täglich oder auch nur im Abstand von einigen Monaten.

Schwierige Therapie

Die Therapie einer exhibitionistisch veranlagten Person ist sehr schwierig. Die therapeutischen Maßnahmen (häufig in einer Selbsthilfegruppe) sollen helfen, das sexuell abnorme Verhalten besser zu kontrollieren, sich dem eigenen Drang bewusst zu werden und Praktiken einzuüben, diesem Drang nicht nachzugeben.

Rechtliche Konsequenzen

§§ 183 StGB: „Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Foto: Imago/Steinach

Belästigt ein Betroffener eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung, droht dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder auch Geldstrafe. In Paragraf 183 Strafgesetzbuch (StGB) heißt es:

„Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft . . . Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird.“

Nach Paragraf 183 Abs. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) ist eine Strafaussetzung zur Bewährung nämlich auch dann möglich, wenn erwartet wird, dass der Täter eine längere Heilbehandlung benötigt und vor deren Ende wohl weiterhin exhibitionistische Handlungen vornehmen wird.

Wofür stehen die Kürzel ICD-10-GM und DSM-5?

Manuale
In Deutschland wird jede, auch psychiatrische Krankheit nach einem bestimmt Diagnoseschlüssel klassifiziert. Die maßgeblichen Handbücher sind das DSM-V und ICD-10-GM. In diesen Manualen wird definiert, was die Grenzen zwischen Krankheit und Normalität sind.

ICD-10-GM
ICD (englisch für "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems") ist die "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" – das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO/World Health Organisation) herausgegeben. Seit dem 1. Januar 2024 ist die ICD-10-GM in der Version 2024 der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten sowie die 10. Revision/German Modification (ICD-10-GM) anzuwenden.

DSM-V
DSM („Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“) ist der "Diagnostische und statistische Leitfaden psychischer Störungen", das zweite große Klassifikationssystem in der Medizin. Seit 1952 wird es von der American Psychiatric Association (APA/Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft) in den USA herausgegeben, seit 1996 erscheint es auf Deutsch. Das DSM-V spielt die zentrale Rolle bei der Definition und Diagnostik von psychischen Erkrankungen. Heute ist das DSM international in der Forschung und in vielen Kliniken und Instituten gebräuchlich. Die aktuell gültige fünfte Auflage (DSM-V) wurde 2013 veröffentlicht und 2014 ins Deutsche übersetzt. Auch in den USA ist jedoch die ICD das offizielle psychiatrische Klassifikationssystem, welches für die Abrechnung mit den Krankenversicherungen benutzt wird.