Der Tenor, der taub ist

Von Frank Schmälzle
In der Musikschule von Jo Greiner lerbt Oliver Palmer Klavierspielen. Das braucht er für seine weitere musikalische Ausbildung. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Lampenfieber kennt er nicht. Auf der Bühne, sagt Oliver Palmer (25), „fange ich an zu leben. Wenn ich singe, dann bin ich einfach frei.“ Der Bayreuther Oliver Palmer ist schwer hörgeschädigt, ohne seine Hörgeräte hört er nichts. Gar nichts. Aber er hat ein Ziel: Er will Sänger werden. Einer wie Andrea Bocelli. Seine Chancen stehen gut, wenn er jetzt Hilfe bekommt.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Warum Bocelli? „Seine Stimme ist wunderbar“, sagt Oliver Palmer. Und: Irgendwie fühle er sich dem Tenor aus Italien verbunden. Bocelli ist blind, Palmer ist taub. Was Bocelli geschafft hat, das will auch Oliver Palmer schaffen. „Das ist mein Ziel. Das will ich erreichen, denn ich bin etwas wert.“ Im polnischen Fernsehen läuft gerade eine Casting-Show. Oliver Palmer ist als Kandidat dabei, er singt den Italo-Schmusesong „Ti Amo“. Ein Juror sagt nein, drei sagen Ja. Palmer ist weiter, steht im Halbfinale. Jetzt wartet er auf die nächste Runde. Und vielleicht auf den großen Durchbruch im Heimatland seiner Mutter. Wartet darauf, dass sich sein Leben ändert.

Niemand soll sehen, was alles schief lief

Oliver Palmer lächelt viel. Niemand soll ihm ansehen, was alles schief lief. Bei der Geburt verlor er das Gehör, es war eine Notgeburt. Die Ärzte, sagte Olivers Mutter Elzbieta Palmer, haben alles getan, um das Kind zu retten. Dabei verlor das Baby das Gehör. Und Oliver kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Auf den konzentrieren sich die Ärzte, sagt Elzbieta Palmer. Niemand bemerkt, dass Oliver nichts hört. Als der Junge fünf Jahre alt ist, muss er zum Einschulungstest. „Das Kind reagiert nicht“, sagt die Ärztin. Wie auch? Oliver hört nichts. Aber das weiß niemand. Man will ihn in einer Behinderteneinrichtung  unterbringen, aber das will seine Mutter nicht.  Es wird nichts mit einem Schulabschluss und auch nichts mit einem Einstieg in den Beruf.

Seine Mutter sagt: "Das waren schlimme Jahre"

Das waren schlimme Jahre, sagt Elzbieta Palmer. „Ich will das alles vergessen.“ Als Oliver acht ist, kommt die Diagnose: Er ist schwer hörgeschädigt. Die Erkenntnis kommt mindestens fünf Jahre zu spät. Kinder mit solch schweren Hörschäden werden viel früher behandelt. Als Oliver 17 ist, passiert etwas ganz Anderes. „Ich dachte, es wäre noch jemand im Raum“, erinnert sich Elzbieta Palmer. Plötzlich ist da eine Stimme, die sie noch nie so gehört hat. Sie geht in Olivers Zimmer – ihr Sohn hält sich einen Lautsprecher ans Ohr und  singt. So wie er es noch nie zuvor getan hat. Ist glücklich. Oliver Palmer weiß noch, welcher Song es war, den er damals mitsang. Der Titel heißt „I still burn“, ich brenne immer noch. „Das war eine Überraschung, ja fast schon ein Schock“, sagt Elzbieta Palmer.

Am liebsten singt Oliver Palmer italienische Arien

„Wenn er singt, taucht er in eine andere Welt ein“, sagt die Mutter. Dann entspannen sich seine Gesichtszüge, dann strahlt er. Auf dem Internet-Videoportal You Tube hat Oliver Palmer schon einige Videos von Auftritten veröffentlicht. Mit seinen Hörgeräten hört er die Musik. Kriegt den Einsatz, trifft den Ton. Er hat die Klassik für sich entdeckt, mag Pavarotti, Carreras und Domingo. Singt in sechs Sprachen, am liebsten aber italienische Arien. Und geht jetzt den nächsten Schritt.

Im Musikstudio von Jo Greiner nimmt Oliver Palmer Gesangsunterricht. Seit kurzem lernt er auch Klavierspielen. Das braucht er, wenn er auf einer Musikakademie aufgenommen werden will. In ein, zwei Jahren soll es soweit sein. Er will eine Gesangsausbildung machen. Und danach will er der Tenor sein, der taub ist.

Gudrun Gärtner hilft dem tauben Tenor

Gudrun Gärtner kümmert sich um Oliver Palmer. Die Sozialpädagogin arbeitet für den Sozialdienst für Hörgeschädigte unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. „Oliver ist besonders“, sagt sie. Wegen seines Traums und weil so seine Taubheit so lange nicht entdeckt wurde. Das, mit dem er zu kämpfen hat, ist es aber leider nicht besonders. Oliver Palmer ist einer der vielen Hörgeschädigten, bei denen die Kassenversorgung nicht ausreicht, sagt Gärtner. „Ausreichend“ soll die Versorgung sein. „In Schulnoten ausgedrückt, wäre das eine Vier.“

Palmers Mutter hat Oliver hier einen kompletten YouTube-Kanal eingerichtet.

Man kann sich wehren, wenn man mehr braucht, als die Kasse zahlt. Wenn man ein besseres Hörgerät braucht, zum Beispiel weil man in einem Großraumbüro arbeitet und der Schall aus allen Richtungen kommt. „Aber viele haben nicht den Mut oder nicht die Geduld für ein Gerichtsverfahren“, sagt Gärtner. „Und man muss auch sagen, dass solche Klagen nicht immer erfolgreich sind. Wir erleben es leider oft, dass Hörgeschädigte nicht das passende Gerät bekommen.“

Exakt 4.561 Euro haben die neuen Hörgeräte gekostet, die Oliver Palmer jetzt trägt. Sie haben ein Sprachprogramm und eines für Musik. „Ich kann umstellen“, sagt er. Damit kommt er auf 80 Prozent Hörleistung. Für ihn ist das die Eintrittskarte für das neue Leben, von dem er träumt und das er sich vorgenommen hat. Die Krankenkasse hat 1614 Euro bezahlt. Fehlen also 2947 Euro. Doch wie Elzbieta Palmer und ihr Mann Siegfried den Rest bezahlen sollen, wissen sie noch nicht. Beide sind Rentner, ihnen bleibt ohnehin wenig zum Leben. Zuschussgeber haben abgewunken. „Deshalb hoffen wir, dass uns jemand hilft.“   

Dass das Geld fehlt, belastet auch Oliver Palmer. Er denkt oft daran. Nur wenn er auf der Bühne steht, dann vergisst er die Welt um sich herum. „Auf der Bühne fange ich an zu leben.“

Info: Wer spenden möchte, kann das an die Kurier-Stiftung "Menschen in Not" unter dem Stichwort "Palmer" tun. (Konto bei der Sparkasse: IBAN: DE93 7735 0110 0009 0000 01.) Gudrun Gärtner ist telefonisch unter der Nummer 0921/99008735, oder per E-Mail unter gudrun.gaertner@paritaet-bayern.de zu erreichen.

Bilder