Das Mammutprojekt der Stadtwerke

Von Thorsten Gütling
60.000 der neuen Zähler, wie sie Stadtwerke-Chef Jürgen Bayer (links) zeigt, sollen eingebaut werden. Weichen müssen die alten Zähler, die Zählerexperten wie Thomas Lukas jahrzehntelang gewartet haben. Foto: Thorsten Gütling Foto: red

Ein Gesetz stellt die Stadtwerke Bayreuth vor die vielleicht größte Aufgabe ihrer Geschichte. Jeder einzelne Haushalt soll in Zukunft genau wissen, wie viel Strom er wann verbraucht. Der „schwarze Kumpel“, wie Experten die Ferraris-Zähler mit der kreisförmigen Aluminiumscheibe nennen, hat damit ausgedient. Die neue Zählergeneration ist digital. In den kommenden 16 Jahren müssen die Stadtwerke Bayreuth rund 60.000 Zähler austauschen. So sieht es das Messstellenbetriebsgesetz vor.

 
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Der Startschuss fällt am 1. Januar des kommenden Jahres. Zuerst sind die Stromabnehmer dran, die 10.000 Kilowattstunden im Jahr oder mehr verbrauchen. Also große Haushalte mit Saunen, Schwimmbädern oder Wärmepumpen zum Beispiel. Und nahezu alle Geschäfte, Bäckereien und kleinen Unternehmen. Dafür sind etwa 6000 neue Zähler nötig. Um die möglichst effizient auszutauschen, haben sich die Stadtwerke schon einmal umgeschaut, wo am meisten neue Zähler anfallen. Fündig geworden sind sie in der Maxstraße.

Nicht nur Großkunden: Neue Zähler auch bei Photovoltaik

Neue Zähler bekommt ab dem nächsten Jahr außerdem jeder, der mehr als sieben Kilowattstunden Strom in das Stromnetz einspeist. Durch Photovoltaikanlagen auf dem eigenen Dach zum Beispiel. Bis ins Jahr 2024 müssen die Stadtwerke damit fertig sein. Dann sollen nach und nach auch die kleineren Stromabnehmer an die Reihe kommen. Allerdings mit einem abgespeckten Modell.

Denn das Modell, das die großen Stromkunden und Stromproduzenten bekommen, misst den Stromverbrauch nicht nur digital. Das können andere Geräte auch, wie sie viele Unternehmen schon seit den 90er Jahren nutzen. Neu ist, dass sie um eine Kommunikationsverbindung zu den Stadtwerken, wahrscheinlich über Funk, ergänzt werden müssen. Was alle Stromkunden mit mehr als 10.000 Kilowattstunden Stromverbrauch ab dem nächsten Jahr also bekommen, ist ein sogenannter Smart Meter, ein intelligenter Zähler.

Verwaltungsaufwand: Ein Stromwert jede viertel Stunde

Bei den Stadtwerken gehen dann nicht mehr nur einmal im Jahr die Verbrauchswerte der Kunden ein, sondern jede viertel Stunde. Ein Verwaltungsaufwand, den die Stadtwerke meistern müssen. Und ein Datenvolumen, das man aus gut betonierten Kellern heraus erst einmal übertragen muss. Wie sie das hinbekommen, bleibt den Stadtwerken überlassen. Müssen dazu Antennen gebaut werden, ist das ihr Problem. Nicht umsonst rechnen Experten der Thüga, einer Fachberatungsgesellschaft, die an rund 100 kommunalen Energieunternehmen beteiligt ist, damit, dass Messstellenbetreiber wie die Stadtwerke wegen des Gesetzes in den nächsten Jahren rund zwei Milliarden Euro investieren müssen. Dazu, dass extra Antennen gebaut werden müssen, wird es aber wahrscheinlich nicht kommen, sagt Stadtwerkesprecher Jan Koch. Weil der Gesetzgeber erlaubt, dass bis zu fünf Prozent der großen Stromkunden von der Umstellung verschont bleiben.

Geschäftsführer: Sicherer als jemals zuvor

Ein weiterer Kostentreiber: Die Kundendaten sollen besser verschlüsselt werden, als in jeder anderen Branche. Stadtwerke-Geschäftsführer Jürgen Bayer nennt es zehnmal sicherer, als bei Bankgeschäften üblich. Jeder, der Zugang zu den Daten hat, soll zuvor zertifiziert werden. Der Server, über den die Daten aus Bayreuth und dem Landkreis fließen, soll in Deutschland stehen, vielleicht sogar in Bayreuth. Damit soll verhindert werden, dass niemand, außer den Stadtwerken weiß, dass das Elektroauto des Kunden seit Tagen nicht mehr geladen wird, weil der Kunde im Urlaub ist.

Für die Stadtwerke wird das neue Gesetz aber nicht nur teuer. Bayer sieht auch Einsparpotenziale. Zum Beispiel müssen seine Mitarbeiter künftig die Zähler mit Funkverbindung nicht mehr anfahren, um sie abzulesen. Und die Investitionskosten werden die Stadtwerke zumindest teilweise auf ihre Kunden umlegen. Dabei sind ihnen per Gesetz aber Grenzen gesetzt. Die Miete eines digitalen Zählers wird rund 20 Euro im Jahr kosten und damit in etwa soviel wie ein alter Zähler. Großkunden, die einen Zähler mit Funkverbindung bekommen müssen, dürfen dafür nicht mehr als 200 Euro Miete im Jahr bezahlen. Ein digitaler Zähler mit Funkverbindung für kleine Stromkunden wird, je nach Verbrauch, zwischen 30 und 60 Euro im Jahr kosten. Wer als Kleinkunde also ein neues Gerät mit Funkverbindung will, der zahlt mindestens zehn Euro mehr als bisher.

Verbraucherschützer: Rechnet sich nicht für jeden

Verbraucherschützer befürchten, dass sich die ein Zähler mit Funkverbindung aber für die meisten kleinen Stromkunden nicht rechnen. Der Geschäftsführer der Stadtwerke sieht das anders. Er rechnet damit, dass die höhere Transparenz beim Stromverbrauch dazu führt, dass sich auch in anderen Bereichen ein Gefühl fürs Energiesparen einstellt. Bayer schätzt: Was man unter einer Kilowattstunde Strom versteht, können sich bald viel mehr Menschen vorstellen.

Nebeneffekt: Ein stabileres Stromnetz

„Auch die Netzsicherheit ist ein hohes Gut“, sagt Stadtwerkesprecher Jan Koch. Denn das Wissen darüber, wann genau wieviel Strom benötigt wird, soll auch dazu führen, dass die vier Betreiber der Übertragungsnetze, darunter Tennet in Bayreuth, künftig genauer kalkulieren können, wieviel Strom sie wann vorhalten müssen. Derzeit müssen Unterschiede zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung immer wieder ausgeglichen werden. Durch die vielen kleinen Anlagen für erneuerbare Energien sind die Schwankungen größer geworden und die Kunden bezahlen den Ausgleich über die Umlage für erneuerbare Energien mit. Das sogenannte Messstellenbetriebsgesetz ist daher auch Grundlage für einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Und Bayer schätzt, dass es sogar dafür sorgen könnte, dass der Strompreis in Zukunft wieder etwas sinkt.

Wichtige Begriffe, kurz erklärt:

Ferraris-Zähler: Die seit Jahrzehnten üblichen Energiezähler arbeiten nach dem Prinzip des italienischen Physikers Galileo Ferraris. Im Prinzip handelt es sich um einen Elektromotor, der eine Aluminiumscheibe antreibt, die wiederum den Zählerstand nach oben schraubt. Die momentan übertragene Leistung kann berechnet werden, wenn man die Zeit für eine volle Umdrehung der Scheibe mit einer Stoppuhr bestimmt; auf dem Zähler ist meist angegeben, wie viele Umdrehungen einer Kilowattstunde entsprechen.

Messstellenbetriebsgesetz: In seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause hat der Bundesrat den Weg frei gemacht für das sogenannte Messstellenbetriebsgesetz. Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende sieht die Einführung intelligenter Messsysteme vor. Zwischen 2017 und 2032 müssen dem Gesetz zufolge alle klassischen Ferraris-Zähler durch digitale Zähler ersetzt werden. In einem zweiten Schritt müssen die Zähler mit einer Funkverbindung ausgestattet werden, um die Messwerte Netzbetreibern und Stromlieferanten zur Verfügung stellen zu können.

Kilowattstunde: Eine Kilowattstunde Strom entspricht der Energie, die ein elektrisches Gerät mit einer Leistung von 1000 Watt in einer Stunde verbraucht. Mit einer Kilowattstunde Strom kann man zum Beispiel 50 Stunden an einem Laptop arbeiten, zehn Stunden fernsehen, sich eine Dreiviertelstunde die Haare föhnen oder eine halbe Stunde staubsaugen.