Zwischen Wahn und Sinn Birgit Kronshage liefert ein umjubeltes Regiedebüt in der Reithalle

Pia Döhler
 Foto: red

COBURG. Fragmente einer Erinnerung bestimmen das Bühnenbild. Überlebensgroße Schachfiguren, Delacroixs Gemälde von der Freiheit für das Volk, ein verrückter Lampenschirm, eine Leiter, ein Karussellpferd. Es sind Versatzstücke zwischen Händelmelodien und unendlichem Schwarz. Der Wahn steht im Mittelpunkt der beiden Einakter „Eight Songs For A Mad King“ und „Infinito Nero", die einfühlsam und eindringlich inszeniert am Samstagabend in der Reithalle des Landestheaters Coburg Premiere feierten.

 
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Es geht um die Zerrissenheit der Persönlichkeit, um das Gefangensein der eigenen Psyche und Rollen, die uns die Umwelt zuschreibt, um Nonsense, der erst Tiefsinn wird.

Gefangenschaft des Ichs

Der Hauptdarsteller wird hereingetragen. Eine akkurate Dame in rosa Häkeljacke und grauem Rock betritt die Bühne. „Uno, due, tre.“ Sie streift sich die Schuhe ab. „Quattro, cinque, sei.“ Sie streicht die Kleidung zurecht und klemmt die Handtasche unter den Arm. „Sette, otto, nove, dieci.“ Er erwacht aus der Besinnungslosigkeit, sie setzt sich an den Bühnenrand und liest in der Bibel – noch ist sie Hofdame, später verkörpert sie Maria Maddalena.

Dreimal begegnen sich die beiden Hauptdarsteller King George III., überragend intoniert von Rainer Scheerer zwischen majestätischer Klangpracht und hilflosem Heulen, zwischen Schreiten und Schleichen, Stottern und Zittern, und Maria Maddalena de’ Pazzi, die Verena Usemann verzweifelt nach Atem ringen, ihre Stimme suchen ließ, bis es als stammelnde Vision aus ihr herausbricht. Plastikfolie wird das verbindende Element, das Symbol der Gefangenschaft des eigenen Ichs. Bei ihm als Schärpe, bei ihr als Korsett.

Dumpfer Herzschlag

Eine Ode an den menschlichen Organismus bieten Andreas Patterer (Flöte), Bernhard Forster (Oboe), Edgar Eichstätter (Klarinette), Daniela Steinmetz (Violine), Veronika Pfrang (Viola), Johannes Keltsch (Violoncello), Xie Ia-Ou (Klavier) und Ralph Probst (Schlagzeug und Percussion) im zweiten Akt des Abends, dem Estasi in einem Akt für Mezzosopran und Instrumente von Salvatore Sciarrino: Infinito Nero. Selten wummerte eine Pauke so sanft wie der Herzschlag der Maria Maddalena, selten quälte sich der Luftstrom so mimetisch durch die Röhre der Querflöte. Es klackt, es pfeift, es röchelt. Eine höchst beeindruckende Atmosphäre, die die Musiker des Landestheaters unter der musikalischen Leitung von Peter Tilling erzeugen.

Anspruchsvolles Regie-Debüt

Maria Maddalena ist hin und her gerissen zwischen ihrer Pflicht und Hingebung als Nonne und der Liebesfurcht einer in sich gefesselten Frau, zwischen Teufel und Gott. Sitzt sie im einen Moment gefasst und betend, windet sie sich im nächsten am Boden und stammelt. Die Hände krampfen an den Oberschenkeln, bis ihr Schatten, verkörpert von Jessika Puschak mit schwarzem Schleier, sie ins Gebet zurückholt. Das Licht erlischt. Unendliche Stille durchbohrt den Raum. Es ist diese Stille, die zum Schreien herausfordert und die existenzielle Wahrheit offenbart. Nackt. Nüchtern. Erbarmungslos. Nur röcheln, quietschen und schweres Atmen.

Mit „Eight Songs For A Mad King“ und „Infinito Nero“ ist Birgit Kronshage ein anspruchsvoll-ansprechendes Regiedebüt am Coburger Landestheater gelungen.

Foto: red