Claudia Hochmuth vom Forum Hochbegabung über schnelle Hirne und Perfektionismus "Der Kopf steht dem Glück im Weg"

Von Katharina Wojczenko
Claudia Hochmuth hat zwei hochbegabte Kinder. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Claudia Hochmuth (51) ist Mutter von zwei hochbegabten Kinder und sagt: Zu viel Denken kann dem Glück schaden.

 
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Seit 2009 leitet Claudia Hochmuth das Forum Hochbegabung, eine Selbsthilfegruppe für Eltern hochbegabter Kinder. 

Frau Hochmuth, sind dumme Menschen glücklicher?
Claudia Hochmuth: Es gibt keine dummen Menschen. Manche denken mehr und andere weniger intensiv über alles nach. Ich habe mich lange damit beschäftigt und mit Eltern vom Forum Hochbegabung gesprochen. Beim Glück geht es darum, wie ein Mensch zum Leben steht und mit dem umgeht, was ihm widerfährt.

Das betrifft nicht nur Hochbegabte, sondern alle. Sehr intelligente Menschen denken allerdings etwas zu viel. Das steht ihrem Glück oft im Weg.

Warum schadet Denken dem Glück?
Hochmuth: Viele hochbegabte Menschen können nicht einfach genießen und loslassen, weil sie ständig alles analysieren und regelrecht zerdenken. Sie versuchen, die Welt hauptsächlich mit ihrem Verstand zu verstehen und zu erfahren. Sie hinterfragen sehr schnell Glücksmomente, anstatt sie einfach nur zu genießen.

Zum Beispiel fliege ich sehr gerne. Doch meine Werte und das Wissen um die negativen Auswirkungen auf das Klima verderben mir schnell die Freude daran und verhindern somit auch mein Glück, das ich erlebe, wenn ich in der Luft bin. Der Kopf steht immer im Weg.

Ein Kleinkind checkt mit einem Blick alle Schalter

Was passiert da im Kopf?
Hochmuth: Hochbegabte Menschen denken viel weiter, komplizierter, intensiver. Das Gehirn funktioniert anders, schneller. Mittlerweile ist nachgewiesen, dass es an den Neuronen-Verbindungen liegt. Hochbegabte können oft schon mit einem kurzen Blick eine Situation erfassen und bewerten.

Sie nehmen ihre Umwelt intensiver wahr, da ihre Sinnesorgane mehr Informationen aufnehmen. Das kann sehr nützlich sein, aber auch anstrengend. Gerade kleine Kinder können oft mit der Flut der Eindrücke nicht umgehen und werden zappelig oder fangen an, sich wegzuträumen.

Mein Sohn hat als Dreijähriger in jedem Raum, den er betrat, auf einen Blick alle Lichtschalter, Steckdosen und Lampen gecheckt, und gesagt: Da hinten fehlt eine Steckdose.

Es klingt, als ob Hochbegabte ziemliches Klugscheißer-Potenzial haben. Solche Menschen sind selten beliebt.
Hochmuth: Das stimmt. Hochbegabte denken oft: Das kann ich besser, lasst mich doch machen. Sie müssen aufpassen, dass sie ihre Mitmenschen mit ihrem Perfektionismus nicht verschrecken. Vor allem, weil sie es wirklich meistens besser können.

Viele Fähigkeiten und die Qual der Wahl

Mit solchen Fähigkeiten müsste einem beruflich doch die Welt offen stehen.
Hochmuth: Das Problem ist: Hochbegabte können oft sehr viel, sie interessieren sich schnell für etwas Neues, wollen ganz vieles machen, am besten alles auf einmal -  und können sich dann nicht entscheiden.

Mein Sohn zum Beispiel hat schon mehrere Studien abgebrochen, weil ihn einfach so vieles interessierte. Jetzt will er endlich seiner größten Leidenschaft folgen: der Musik. Er konnte lange nicht allein laufen, aber er hat sämtliche Kinderlieder perfekt gesungen.

Moleküle und Quarks statt Fußball

Wie haben Sie gemerkt, dass Ihre Kinder anders sind?
Hochmuth: Mein Sohn war schon immer anders, ja fast schon etwas seltsam. Ich dachte erst, er sei entwicklungsverzögert. Er hat sich oft eingekapselt, hatte kaum Freunde und hat irgendwie nicht so „funktioniert“, wie er sollte.

Als Siebenjähriger hielt er einem gleichaltrigen Nachbarsjungen lange Vorträge über Atome, Quarks und Moleküle, bis dieser irgendwann wortlos aufstand und lieber Fußball spielen ging. Schließlich hat mich eine Bekannte auf die Idee mit der Hochbegabung gebracht.

Ein Psychologe hat ihn getestet und die Vermutung bestätigt. Auch seine ältere Schwester hat später bei Mensa(ein Netzwerk für Hochbegabte, Anm. d. Red.) einen Test gemacht, mit dem gleichen Ergebnis.

Haben Sie sich auch testen lassen?
Hochmuth: Ich habe den Test bei Mensa gemeinsam mit meiner Tochter gemacht. Aber ich habe zwei Handicaps: Prüfungsangst und fehlendes räumliches Sehen. Etwa nach der Hälfte der Zeit kamen solche Aufgaben dran und ich geriet in Panik. Der Test geht auf Zeit, ich konnte nicht mehr klar denken und habe das letzte Drittel so gut wie gar nicht mehr bearbeitet. Das Ergebnis war trotzdem nicht schlecht. 

Hatten Sie Angst vor dem Test-Ergebnis?
Hochmuth: Ach, darum geht es gar nicht. Ich habe in all den Jahren viele Bücher gelesen, Gespräche geführt und Vorträge zu dem Thema gehört. Überall konnte ich mich wiederfinden. Ich erkenne mittlerweile sehr schnell, wenn ein Mensch hochbegabt ist, und habe in Gesprächen mit ihnen gemerkt, dass ich ticke wie sie. Und meist ist zumindest ein Elternteil ebenfalls hochbegabt – das ist schließlich erblich.

Was die Kassen wollen, macht sie nicht glücklich

Sie waren lange Jahre Hausfrau und wollen beruflich jetzt noch einmal durchstarten.
Hochmuth: Ich bin ausgebildete Erzieherin und Krankenschwester und nehme an dem Programm "Neuer Start für Frauen" teil. In meinem alten Beruf werde ich wohl nicht mehr arbeiten können, denn ich habe den für Hochbegabte typischen Perfektionismus.

Wenn ich einen Patienten betreue, dann mache ich das so gut es geht. Ich pflege und versorge den ganzen Menschen. Dazu brauche ich Zeit und Hingabe. Wenn das möglich wäre, würde mich der Beruf ausfüllen. Doch das passt nicht ins Leistungsbudget der Kranken- und Pflegekassen.

Wie können Menschen mit Hochbegabung glücklich werden?
Hochmuth: Wie alle anderen auch: Indem sie ihren Bedürfnissen und Leidenschaften folgen. Wenn sie das nicht tun, werden sie unglücklich und krank.

Jeder Mensch braucht ein Umfeld, das ihn so akzeptiert, wie er ist, und das ihn angemessen fördert. Besonders bei hochbegabten Kindern heißt das: Sie müssen nach ihrem Entwicklungsstand und nicht nach ihrem Alter beschult werden.

Also im Umfeld von Gleichaltrigen, aber mit differenzierten Aufgabenstellungen statt mit noch mehr Übungen, die sie schon längst beherrschen. Denn für Fleißaufgaben sind sie viel zu schlau – und zu faul.

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