Christian Limpert berichtet für die ARD aus Israel „Das Schlimmste, was ich je erlebt habe“

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Seit dem brutalen Angriff der Hamas hat sich der Alltag des Coburgers in Tel Aviv komplett verändert

 
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Samstagabend, 2. Oktober, Coburger Schlossplatz. Etwa 2000 überwiegend junge Leute stehen in einem Festzelt auf dem Coburger Schlossplatz auf den Tischen. Sie tanzen und feiern in Dirndln und Lederhosen. Lassen Bierkrüge kreisen. OPA, die Kultband aus ehemaligen Schülerinnen und Schülern eines örtlichen Gymnasiums, steht für Lebensfreude pur. Wenn Bandleader Christian Limpert in seiner alten Heimat weilt, dann hat das meist mit Musik und seinen Freunden von der Original Prinz Albert Blasmusik zu tun.

Eine Woche später, es ist noch früh am Morgen. Auch im Gazastreifen wollen die Menschen feiern. Konkret: bei einem Musikfestival in der Negev-Wüste, in der Nähe des Kibbuzim Reim, keine 100 Kilometer von Tel Aviv entfernt. Die jungen Leute waren zu der Rave-Party aus ganz Israel angereist. Und wurden von Terroristen der Hamas niedergemetzelt, vergewaltigt, verschleppt. Die Rede ist von mehr als 270 Toten.

Christian Limpert hat darüber berichtet. Fast täglich ist er seit Kriegsbeginn zur Primetime in der Tagesschau zu sehen. Meist ganz am Anfang. Als Studioleiter der ARD berichtet der 43-Jährige mitten aus dem Kriegsgebiet. Die Neue Presse hat ihn am Telefon erreicht. Manchmal ist das Gespräch unterbrochen. Raketenalarm über dem Luftraum gehört in der israelischen Metropole mittlerweile zum Alltag.

Christian, vor zwei Wochen noch Feiern mit OPA. Jetzt Tod und unermessliches Leid. Was geht in Dir vor?

Das ist eine Extremsituation. Wir sind seit sieben Tagen mit schrecklichsten Bildern konfrontiert: Der Terrorangriff auf israelische Gemeinden, das ist unvorstellbar. Dazu das Leid in Gaza – beides nur wenige Kilometer voneinander getrennt. Wir kennen die Orte, die Menschen. Gleichzeitig müssen wir bei der Arbeit auch zunehmend über die eigene Sicherheit nachdenken. Es geht keinem hier gut von uns in dieser Situation, aber wir arbeiten in einem sehr professionellen Team. Wir haben Ortskräfte mit Erfahrung, das alles hilft natürlich. Aber was wir täglich sehen, geht wirklich an die Substanz.

Und ja, Du hast recht. Das alles so unmittelbar nach einem wunderschönen freien Wochenende mit Musik in meiner Heimat. Ich denke oft daran, dass auch die hunderten jungen Menschen auf dem Musikfestival im Süden Israels nichts anderes wollten: ein schönes Wochenende, eine ausgelassene Party. Bis Terroristen der Hamas sie einfach ermordet haben oder als Geiseln verschleppt.

Du hast Familie und viele Freunde in Coburg. Wie ist der Kontakt zu ihnen? Welche Reaktionen kommen von hier?

Ich versuche, viele Updates zu schicken. Weil ich weiß, dass sie sich Sorgen machen. Auch das ist über so einen langen Zeitraum belastend. Für sie ist aus der Ferne ja schwer zu beurteilen, wie die Lage gerade ist. Ich versuche immer klar zu machen, dass wir hier gut arbeiten und die Sicherheit im Vordergrund geht.

Du arbeitest in Tel Aviv. Wie schaut Dein Alltag derzeit dort aus?

Wir koordinieren alle Anfragen, die uns erreichen. Wir produzieren für über 60 Radios der ARD sowie für das Erste und alle Dritten, die Anfragen hören nicht auf. Das geht nur mit guter Abstimmung, zum Beispiel, wer Live-Schalten übernimmt, wer Beiträge macht. Jetzt kommt dazu, dass wir bei jedem Dreh die Sicherheitslage checken müssen.

Gibt es für Journalisten besondere Sicherheitsvorkehrungen?

Nur begrenzt. Bei Drehs und Recherchen außerhalb Tel Avivs haben wir derzeit immer Schutzausrüstung dabei, jeder von uns ist für solche Krisensituationen trainiert. Und wir haben natürlich Quellen und Informationen, die uns nicht nur beim Berichten helfen, sondern auch, wenn es um die Einschätzung geht, wo wir zum Filmen hin können oder auch nicht. Das ändert sich derzeit relativ oft, vor allem im Gebiet rund um Gaza. Eine Sicherheitsvorkehrung, die alle haben: Die sogenannte „Red Alert“-App, die uns vor Raketen warnt.

Man sieht Dich und Deine Kollegen oft auf Dächern. Im Hintergrund Raketenbeschuss. Im Vordergrund schleicht schon mal eine Katze durchs Bild. Das wirkt surreal. Wie schaffst Du es, in solchen Momenten alles auszuschalten, was nicht mit Deiner Schalte zu tun hat?

Im besten Fall ist es Vorbereitung. Ich versuche, mich vor der Schalte auf Inhalte zu konzentrieren, auf Fakten, die wir haben, auf Namen, auf Orte, die ich nennen muss. Eine Katze lässt mich da noch kalt. Nervös werde ich, wenn kurz vor einer Schalte das Signal zur Tagesschau abreißt. Bislang ist es immer gut gegangen. Auch weil hier wirklich ein echt gutes Team um mich herum ist.

Wie geht ihr mit dem Thema Angst um – gerade in Momenten, da im Hintergrund Raketen zu sehen sind?

Jeder geht damit anders um, das erlebe ich hier auch im Team. Grundsätzlich hilft uns allen die Arbeit. Wir konzentrieren uns darauf, professionell zu arbeiten. Und: Wir haben jemanden, mit dem wir darüber reden. Bei mir ist es vor allem ein Szenario, vor dem ich Angst habe: Wenn die Hisbollah mit voller Kraft in diesen Konflikt eintritt.

Noch vor zwei Wochen waren die Menschen trotz aller Spannungen in der Region gelassen. Wie hat sich ihr Alltag verändert?

Komplett! Da ist noch immer der Schock über das, was passiert ist, täglich neue schreckliche Details, noch immer unklare Schicksale. Familien, die nicht wissen, ob Angehörige ermordet wurden oder als Geiseln verschleppt. Dazu kommt, dass die massive Mobilisierung des Militärs viele betrifft, auch Kinder von israelischen Kollegen. Auch mein Tel Aviv, wie ich es bislang kannte, ist ein ganz anderes geworden. Fast alle Geschäfte sind geschlossen. Das öffentliche Leben findet derzeit kaum mehr statt. Wir sind Breaking-News-Situationen natürlich gewohnt und darauf auch vorbereitet. Aber das alles ist für mich auch das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Wir wachen jeden Tag auf mit neuen schrecklichen Meldungen und gehen damit ins Bett. Wir berichten rund um die Uhr. Wir haben jetzt damit begonnen, uns in Schichten einzuteilen. Weil jeder auch mal einen Nachmittag braucht, um zumindest kurz durchzuatmen. Das wird hier nicht so schnell vorbei sein.

Gibt es Austausch mit Kollegen aus aller Welt?

Ja, in normalen Zeiten gehört das zu den Dingen, die ich hier liebe. Wir haben guten Kontakt zu Korrespondenten anderer Medien. Auch mit ihnen reden wir viel. Über Privates, über Berufliches. Ganz egal. Die Kollegen haben die gleichen Gefühle wie wir.

Hast du auch Kontakt zu palästinensischen Journalisten?

Ja, auch das. Sogar zu mehreren, die für uns arbeiten: Sowohl im Westjordanland, aber auch in Gaza. In Gaza sind es relativ junge Kollegen. Und wir bekommen täglich mit, wie sehr sie unter dem massiven Bombardement leiden. Das ist nicht zu ertragen. Sie filmen für uns und telefonieren mit uns, während es um sie herum kracht und Menschen sterben. Ich fühle mich machtlos. Wir können hier nichts für sie tun. Und kann nur hoffen, dass sie überleben.

Hast du schon einmal insgeheim damit geliebäugelt, dir einen anderen Job zu suchen – zumindest ein anderes Einsatzgebiet?

Ja.

Das Gespräch führte Volker Friedrich

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