CHIO in Aachen Die Briten haben die deutschen Reiter von der Spitze verdrängt

Thomas Borgmann

Beim CHIO in Aachen, dem weltgrößten Reitturnier, präsentiert sich Großbritannien als Partnerland – auch Prinzessin Anne kommt mit 40 Pferden und Soldaten ihrer „Household Cavalry“. Die Briten treten als Favoriten an.

 
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Ben Maher, hier vor wenigen Tagen auf Dallas Vegas Batilly bei der Global Champions Tour in Stockholm, ist der amtierende Olympiasieger im Springreiten. Foto: imago/

Chris Bartle (71) hat gut lachen. Kürzlich in Luhmühlen, wo das schwerste deutsche Vielseitigkeitsturnier ausgetragen wurde – ein Fünf-Sterne-Wettkampf, dotiert mit 125 000 Euro – dominierte das Team des britischen Nationaltrainers nach Belieben. Die 33-jährige Laura Collett siegte auf dem Holsteiner London, bekam die üppige Siegprämie von 40 000 Euro. Platz zwei ging an die 40-jährige Kitty King auf Vendredi Biats vor der 26-jährigen, amtierenden Weltmeisterin Yasmin Ingham auf Rehy DJ. Mehr noch: unter den besten Zehn standen bei der Siegerehrung sieben Briten. Bartle, von 2001 bis 2016 Co-Bundestrainer in Deutschland neben Hans Melzer, kommentierte lapidar: „Heute war wirklich ein guter Tag für uns – Aachen kann kommen!“

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Prinzessin Anne war selbst Europameisterin

Beim CHIO in der Aachener Soers, wo man im olympischen Jahr 2024 den 100. Gründungstag des größten Reitturniers der Welt glanzvoll feiern möchte, präsentiert sich Großbritannien in diesem Jahr als Partnerland: Am Dienstag kommt eigens Prinzessin Anne (72) zur Eröffnungsfeier nach Aachen, bringt 40 Pferde und Soldaten ihrer „Household Cavalry“ mit, die vor Kurzem noch bei der Geburtstagsparade für König Charles III. – „Trooping the Colour“ – mitgewirkt haben. Anne war 1971 Europameisterin in der Vielseitigkeit, die in Großbritannien einen viel höheren Stellenwert genießt als sonstwo auf der Welt und über das größte Kontingent an Reiterinnen und Reitern verfügt.

Seit geraumer Zeit ist das Vereinigte Königreich alles in allem gesehen die Reiternation Nummer eins in den drei olympischen Disziplinen Springen, Dressur und Vielseitigkeit . Auch dank Carl Hester. Der 46-Jährige führte die britischen Dressurreiter an die Weltspitze – zum Verdruss der deutschen Seriensieger früherer Jahre. Der private Dressurausbilder hat die heute 37-jährige Charlotte Dujardin entdeckt und gefördert – dreimal hat sie olympisches Einzel- und Mannschaftsgold geholt. Auch die amtierende Doppelweltmeisterin auf dem Dressurviereck, die 27-jährige Charlotte Fry, ist Hesters Entdeckung. Er schickte das Talent vor Jahren zum Training in die Niederlande, wo sie bei der Alt-Internationalen Anne van Olst Aufnahme fand. Ihr spektakulärer Rapphengst Glamourdale trug sie bei der WM 2022 in Dänemark zu zweimal Einzelgold: in der Kür und in der Klassischen Tour. Jessica von Bredow-Werndl, die deutsche Olympiasiegerin, musste passen – sie brachte während der WM ihr zweites Kind zur Welt.

Aus heutiger Sicht sind Charlotte Fry und ihr zwölfjähriger Zuchthengst die Topfavoriten auf das olympische Einzelgold bei den Sommerspielen in Paris in gut einem Jahr vor dem Schloss von Versailles. Diese Woche in der Soers werden sie und ihre stärkste Rivalin – Jessica von Bredow-Werndl auf Dalera – zwar aufeinander treffen, aber die Britin sattelt nur ihr Zweitpferd Everdale. Alles reine Taktik: keine von beiden möchte eine Niederlage zur Unzeit riskieren.

Für die deutschen Reiter wird es schwer

Bleiben die seit jeher sehr erfolgreichen britischen Springreiter, deren aktueller Star der 40-jährige Profi Ben Maher ist, amtierender Olympiasieger von Tokio. Dazu kommt sein Freund Scott Brash, 37 Jahre alt, bisher der einzige Sieger des mit einer Million Euro Sonderprämie dotierten Grand Slam, einer Serie über vier Turniere inklusive Aachen, angelehnt an die Grundidee aus dem Tennissport. Der Schweizer Uhrenkonzern Rolex bietet aus Prestigegründen sehr viel Geld auf: Der Große Preis von Aachen am Sonntag, das rein sportlich betrachtet wertvollste Einzelspringen der Welt, ist mit 1,5 Million Euro ausgestattet.

Für die deutschen Einzelreiter wird es schwer, der Bundestrainer Otto Becker setzt voll auf den Mannschaftswettbewerb: „Aachen ist für uns ein Heimspiel vor großem Publikum. Wir setzen alles daran, den Preis der Nationen am Donnerstag wieder zu gewinnen.“ Nominiert hat er den Altmeister Marcus Ehning, die in Belgien lebende WM-Neunte Jana Wargers, dazu Gerrit Nieberg, der 2022 sensationell den Großen Preis gewann, Mario Stevens, den deutschen Meister von 2022, und den Südbadener Hansi Dreher. Noch ist offen, wer von diesen fünf die undankbare Rolle des Reservereiters erhält.

Bliebe der Blick auf die Buschreiter und ihren Dreikampf aus Dressur, Geländeritt und Springparcours. Peter Thomsen, Bundestrainer seit einem Jahr, setzt auf seine drei Mannschaftsweltmeister von 2022: Michael Jung, Sandra Auffarth und Christoph Wahler, dazu die Debütantin Malin Hansen-Hotopp aus Meckelburg-Vorpommern. Und was plant sein britischer Kollege Chris Bartle? „Ich schicke Yasmin Ingham, unsere Weltmeisterin, dazu Tom McEwen, den Zweiten von Tokio. Auch die erfahrene Gemma Stevens, geborene Tattersall, und die Debütantin Kirsty Chabert treten an.“ Dabei lächelt er einmal mehr unverschämt selbstbewusst. In der Szene hat Bartle ein bezeichnendes Image: Sie nennen ihn den „Magier“.

3,9 Millionen Euro Preisgeld

Historie
1924 gab’s in der Aachener Soers das erste Reitturnier mit Pferderennen. Seit 1927 findet alljährlich – mit kriegsbedingter Pause zwischen 1940 und 1945 – der „Concours Hippique International Officiel“ statt, kurz CHIO. Die Aachener sagen „Tschio“.

Sportprogramm
Bis zum 2. Juli geht es in der Soers um Siege in Springen, Dressur, Vielseitigkeit und Gespannfahren. Erwartet werden 330 Aktive aus 32 Ländern mit mehr als 600 Pferden. Auch 2023 rechnet man wieder mit mehr als 350 000 Besuchern.

Dotierung
Der Turnieretat beträgt rund 20 Millionen Euro, die Dotierung der Wettbewerbe liegt bei insgesamt 3,9 Millionen Euro. Wichtigste Prüfungen der Springreiter sind der Preis der Nationen am Donnerstag (Dotierung eine Million Euro) sowie der Große Preis von Aachen am Sonntag (Preisgeld 1,5 Millionen Euro). Im Dressurstadion werden Grand Prix, Grand Prix Spezial sowie die Kür ausgetragen. In der Vielseitigkeit gibt es einen Vier-Sterne-Wettkampf.