Bürgerversammlung Selber uneins in Sachen Krankenhaus

Neuausrichtung kommt: Viele Selber haben Angst, über kurz oder lang „ihr“ Krankenhaus zu verlieren. Foto: Florian Miedl

Bei der Bürgerversammlung prallen die Fronten aufeinander: Die Umstrukturierung des Klinikums Fichtelgebirge geht vielen gegen den Strich. Sie fühlen sich übervorteilt und fordern den Erhalt der Notaufnahme. Doch das ist nicht alles.

 
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„Das war keine normale Bürgerversammlung, aber es ist auch kein einfaches Thema.“ Der Selber Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch zog nach knapp drei Stunden Bilanz über eine Bürgerversammlung, die sich vor allem um ein Thema drehte: die strukturellen Veränderungen am Klinikum Fichtelgebirge. Wie mehrfach berichtet, soll sich die stationäre Versorgung im Klinikum Fichtelgebirge zukünftig auf das Haus Marktredwitz konzentrieren. Im Haus Selb ersetzt dann ein ambulanter Medizin-Campus das bisherige Bettenhaus. Das neue Standortkonzept, das die Entscheidungsträger vor dem Hintergrund des stetig wachsenden Defizits als alternativlos ansehen, treibt die Selber natürlich um. Dementsprechend gut besucht war die Bürgerversammlung am Dienstagabend im Rosenthal-Theater.

14,7 Millionen Euro Defizit

„Wir haben schon immer für das Klinikum Fichtelgebirge gekämpft und alles getan, um beide Häuser zu erhalten“, begann Pötzsch seinen Bericht. Habe man früher frei entscheiden können, so seien es heute staatliche Vorgaben, die jegliche eigene Entscheidungen unmöglich machten. „Wir sind damit nicht alleine“, sagte Pötzsch und verwies auf zahlreiche Krankenhäuser, die schließen müssten. „Davor wollen wir das Klinikum Fichtelgebirge bewahren.“

Angesichts des immensen Defizits – Landrat Peter Berek bezifferte es im Verlauf der Versammlung auf 14,7 Millionen Euro für das Jahr 2023 – könne von einem „weiter so“ nicht die Rede sein. Andernfalls müsste das komplette Klinikum in zwei Jahren geschlossen werden. „Dieses Defizit kann sich der Landkreis Wunsiedel nicht leisten. Aber durch die geplanten Veränderungen haben wir die Chance, das Klinikum in seiner Gesamtheit zu erhalten“, sagte der Selber Oberbürgermeister. Dahingehend bestehe über alle Parteigrenzen hinweg Einigkeit. „Ich bin froh, dass wir auch auf Selber Seite zusammenhalten“, sagte er mit Blick auf seine Kollegen im Verwaltungsrat des Klinikums, Wolfgang Kreil (CSU), Walter Wejmelka (SPD) und Susann Fischer (Grüne). Ziel müsse es sein, das Klinikum Fichtelgebirge in kommunaler Trägerschaft zu erhalten. „Glauben Sie mir, eine Privatisierung ist keine Alternative.“

Pötzsch habe großes Verständnis für die Petition „Erhalt der Notaufnahme am Krankenhaus Selb“. Auch das sei geprüft worden, doch könne man schlicht keine doppelten Strukturen vorhalten. „Das ist nicht finanzierbar, denn im Hintergrund einer Notaufnahme braucht es einen großen Apparat.“ Das Schlüsselwort der medizinischen Versorgung in der Zukunft laute Ambulantisierung. Um überhaupt eine Chance zu haben, sei die Entscheidung getroffen worden, die Stationen zentral in Marktredwitz zu etablieren und in Selb eine ärztliche Versorgung mit einem Medizin-Campus sicherzustellen. Hier könnten sämtliche ambulante Operationen durchgeführt werden, es sei ein Durchgangs-Arzt vorhanden, Kooperationen mit externen Praxen seien angedacht, das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) solle ausgebaut und Nachsorgeangebote sollen eingerichtet werden. Das wird Pötzsch zufolge in sechs bis zwölf Monaten umgesetzt.

Diese Fragen stellt sich Jörg Kusnik, Initiator der Petition „Erhalt der Notaufnahme am Krankenhaus Selb“: Jörg Kusnik sagt, dass nach dem Aus der Notaufnahme in Selb auf die Bürger der Stadt Selb eine mindestens 20-minütige Fahrt zur nächsten Notaufnahme anfallen würde. Weil die Rettungsfahrzeuge dann länger unterwegs wären, befürchtet Kusnik Versorgungsengpässe: „Gibt es dann mehr Fahrzeuge und mehr Personal?“ Und: „Wie viel Geld soll durch die Veränderungen konkret eingespart werden?“, fragte Jörg Kusnik.

Darauf gab Ulrich Pötzsch nur eine pauschale Antwort: „Das Defizit muss im Rahmen bleiben und durch den Kreishaushalt finanzierbar sein.“ Noch vor wenigen Jahren habe der Landkreis jährlich knapp drei Millionen Euro zuschießen müssen. „Da waren wir uns politisch einig, das ist es uns wert.“ Das aktuelle Minus könne der Landkreis nicht mehr schultern. „Der Kreishaushalt finanziert sich durch die Umlage der Kommunen. Das Geld fehlt dann im Stadtsäckel“, sagte Pötzsch. Kusniks Replik: „Die Kreisumlage war schon einmal höher, und das Geld könnte an anderer Stelle eingespart werden.“ Überhaupt vermisste Jörg Kusnik belastbare Zahlen in den Bilanzen und Kreishaushalten der Vorjahre.

Das sagt Landrat Peter Berek, Verwaltungsratsvorsitzender des Klinikums Fichtelgebirge: „Eine Notaufnahme solitär ist nicht vorstellbar.“ Ein Problem sei, dass die des Selber Krankenhauses von vielen Rettungswagen schon jetzt nicht mehr angefahren werde. Sieben Fälle bearbeite die Notaufnahme an einem durchschnittlichen Tag zwischen 8 und 18 Uhr. Was die Zahlen betrifft, sagte Berek, dass nur ein Teil des Krankenhaus-Defizits im Haushalt dargestellt werden konnte, um die Kreisumlage nicht vollends in die Höhe zu treiben. Würde man, wie in der Versammlung gefordert, einen Teil der Betten in Selb belassen, entspräche das nicht den Erfordernissen, die ab 2024 an Kliniken gestellt würden. Gesundheitsvorsorge finde eben nicht immer vor der Haustüre statt. „Trauen Sie uns doch zu, ordentlich zu arbeiten“, appellierte Berek. „Wir haben Ideen und bereits konkrete Anfragen.“

Das sagt Alexander Meyer, Geschäftsführer des Klinikums Fichtelgebirge: Noch bevor die eigentliche Suche nach Nutzern der Selber Räume des Klinikums begonnen habe, hätten sich Anfragen unter anderem von einem Kurzzeitpflegedienst ergeben. „Damit wäre eine Etage vermietet.“ Leerstände gebe es nicht, sagte Meyer auf entsprechende Nachfrage. Allerdings würden einige Bettenzimmer als Büros oder von Ärzten genutzt. Das bestehende Personal solle natürlich gehalten werden, niemand müsse Gehaltskürzungen befürchten. Dass Mitarbeiter aber den Standort würden wechseln müssen, lasse sich nicht vermeiden.

Das sagt Notarzt Dr. Tobias Uhing, Facharzt für Anästhesiologie und ärztlicher Leiter des Zweckverbands für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung Hochfranken (ZRF): Die häufigsten Notfälle, Herzinfarkt und Schlaganfall, würden schon seit langer Zeit nicht mehr in Selb aufgenommen. „Das kann die Klinik nicht leisten. In Selb gibt es beispielsweise keinen Herzkatheter“, sagte Uhing. Gleichzeitig widersprach der Mediziner der Behauptung, Notfallpatienten aus der Region würden teilweise bis nach Nürnberg gefahren – das sei nur im Extremfall zulässig. Und weiter: „Die Besetzung der Notarzt-Dienste obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung“, sagte Uhing. „Da wird es Abstimmungen geben.“ Ebenso entscheide der Landkreis nicht über die Vorhaltung des Rettungsdienstes. „Wenn die Veränderungen Einfluss auf die Rettungsdienstversorgung haben, wird man überlegen, wie man ihn moderiert.“ Es gebe monatliche Bedarfsanalysen. Sollten dabei Probleme auftauchen, müssten weitere Rettungsmittel zur Verfügung gestellt werden.

Zu den geplanten Umstrukturierungen am Klinikum Fichtelgebirge sagte Tobias Uhing: „Ambulantisierungen beschäftigen jedes Klinikum. Hintergrund ist, dass die Kostenträger für viele Eingriffe keine stationäre Aufenthalte mehr bezahlen.“ Viele Operationen müssten daher ambulant stattfinden. „Das Clustern ambulanter Eingriffe und das Trennen von der stationären Versorgung ergeben wirtschaftlich Sinn“, sagte der Selber Notarzt.

Kommentar

Es geht um Selb – aber eben nicht nur
Über den Tisch gezogen – so fühlen sich wohl gerade sehr viele Selber. Zu verdenken ist es ihnen nicht, wurde doch in der Vergangenheit sehr viel Vertrauen verspielt. Ob Geburtenstation oder Küche, das Selber Klinikum hatte einige Einrichtungen aus nicht ganz nachvollziehbaren, wohl eher politischen Gründen an den Standort Marktredwitz abgeben müssen. Der Stachel sitzt tief. Nun aber hat sich – vor dem Hintergrund der Krankenhausreform des Bundes und dem gewaltigen Defizit – eine andere Situation ergeben. Welche andere Möglichkeit bleibt den Verantwortlichen, als das Klinikum neu auszurichten? Die Optionen sind überschaubar. Eine Privatisierung öffnet Tür und Tor für Investoren, die lediglich ihre Rendite im Blick haben werden. Was also spricht gegen die Umstrukturierung? In der jetzigen Situation noch an der Notaufnahme festhalten zu wollen, ist realitätsfern. Reine Polemik ist die Aussage des Petitions-Initiators, durch längere Fahrwege würde der Tod von Menschenleben in Kauf genommen. Folgt man dieser Argumentation, dürfte es keine Orte ohne Krankenhäuser mehr geben. Was soll nur der Waldsassener sagen oder die Weißenstädterin? Es geht in dieser Diskussion nicht nur um Selb und das Geld der Selber. Jeder Landkreisbürger zahlt mit. Jeder Euro, der in ein weiter steigendes Defizit fließt, fehlt an anderer Stelle. Der einzige Weg, den Standort Selb so zu erhalten, wie er ist, ist die (Vorsicht Ironie) Schließung des Klinikums in Marktredwitz. gerd.poehlmann@hcs-content.de

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