Bub, der an der Mittelmeerkrankheit litt, traf seinen Knochenmarkspender Bayreuth: „Özi“ rettet vierjährigem Eren das Leben

Von Frank Schmälzle
Der kleine Eren ist gesund geworden, weil Öztür Özedmir (rechts) ihm Knochenmark gespendet hat. Für Erens Eltern Zeynep und Adem Alca ist es das größte Glück. Foto: Harbach Foto: red

Öztürk Özdemir ist für den kleinen Eren Alca genau der Richtige. Wie ein Sechser im Lotto. Öztürk Özdemir hat Eren aus Bayreuth das Leben gerettet. Mit einer Knochenmarkspende, die den heute Vierjährigen von der Mittelmeerkrankheit heilte. Jetzt, zwei Jahre nach der Knochenmarktransfusion, haben sie sich zum ersten Mal getroffen. Ein gesunder und fröhlicher Eren, seine überglückliche Familie und der Spender, der sich nicht als Held fühlen mag.

 
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Immer wieder sagt Adem Alca: „Wir hatten so viel Glück, so viel Segen.“ So sieht Erens Vater das. Er hadert nicht mehr mit dem, was die Familie erfuhr, als seine Frau Zeynep im vierten Monat schwanger war. Das Baby, das in ihrem Bauch heranwuchs, hat eine Erbkrankheit. Thalassämie major, die Mittelmeerkrankheit.

Das Blut des Kindes ist nicht gesund, es wird alle drei Wochen Transfusionen brauchen. Mit dem frischen Blut kommt Eisen in den Körper des Kindes, das es nicht verarbeiten kann. Das Eisen wird seine Organe schädigen. Bei jeder Transfusion ein wenig mehr. Bis die Organe versagen. Bis zum Tod. Wenn, ja wenn nicht eine Knochenmarktransfusion den kleinen Eren heilt. „Wir sollten damals Gott spielen“, sagt Adem Alca. Entscheiden, ob das Kind mit dieser Krankheit geboren werden soll. Abtreibung, sagt der 37-Jährige, ist im Islam dasselbe wie Mord. Eren kam auf die Welt.

"Der Imam hat gesagt, ich soll da jetzt reingehen."

Das Glück beginnt an einem Freitag, rund 500 Kilometer von Bayreuth entfernt. In Nienburg/Weser in der Nähe von Hannover hat die islamische Gemeinde alle Mitglieder aufgerufen, sich testen und in der Deutschen Knochenmarkspende-Datei registrieren zu lassen. Denn die Gemeinde kennt das Problem: Die Mittelmeerkrankheit heißt so, weil sie vor allem Kinder betrifft, deren Familien aus Südeuropa stammen. Weil bei einer Knochenmarkspende Gewerbemerkmale zueinander passen müssen und weil die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung bei Menschen aus denselben Regionen viel höher ist, sollen sich alle Gemeindemitglieder an diesem Freitag registrieren lassen.

„Ich hatte ein bisschen Schiss und wollte eigentlich weglaufen“, sagt Öztürk Özdemir. „Dann hat unser Imam gesagt, ich soll da jetzt reingehen.“ Es tut gar nicht weh, ein Wattestäbchen, ein Abstrich der Wangenschleimhaut, ein paar Formalitäten. Das war’s.

„Ich habe soooooo eine gute Nachricht bekommen.“

Bis zum 25. Mai 2012. An diesem Tag schreibt Zeynep Alca in ihrer schönen geschwungenen Handschrift in ihr Tagebuch: „Ich habe soooooo eine gute Nachricht bekommen.“ Endlich ist ein Spender für ihren kleinen Sohn Eren gefunden. Einer, der perfekt passt. Zehn Gewerbemerkmale haben die Ärzte des Erlanger Universitätsklinikums bei Eren getestet. Und zehn von zehn passen zu denen des Mannes, der sich 500 Kilometer von Bayreuth entfernt in der Moschee testen ließ. Zeynep Alca weiß: „Er ist unser Hauptgewinn.“

Und doch versagt sie sich die ganz große Euphorie. Sie weiß, was jetzt auf Eren wartet. Im Universitätsklinikum Erlangen kommt der Kleine in Quarantäne. Er weint viel in diesen Tagen, er versteht nicht so recht, warum er das Zimmer nicht verlassen darf. Warum er an Schläuche und Maschinen angeschlossen ist. Warum seine Eltern nur mit Gesichtsmaske und in sterilen Kitteln zu ihm dürfen. Und doch ist es besser so: Je früher ein Kind eine solche Behandlung bekommt, desto weniger erinnert es sich später daran.

„In solchen Momenten hinterfragst Du alles."

Erens Knochenmark wird abgetötet und damit auch sein Immunsystem. Die kleinste Erkältung ist jetzt lebensbedrohlich für ihn. Und bei all dem bleibt die Unsicherheit: Wird Erens Körper die Knochenmarkspende annehmen? Wird es Abstoßreaktionen geben? Dann wäre alles umsonst. Dann wäre der Traum geplatzt. Adem Alca sagt: „In solchen Momenten hinterfragst Du alles. Aber der Allmächtige hat es gut mit uns gemeint.“

Jeden Tag sind Zeynep und Adem Alca bei ihrem Sohn. Sie wohnen in einem Haus, in dem die Elterninitiative des Klinikums Erlangen ihnen ein kleines Apartment zur Verfügung stellt. Dafür sind sie heute noch dankbar. Schritt für Schritt bauen die Ärzte das Knochenmark des Kleinen mit der Spende wieder auf. Es funktioniert, er wird kräftiger. Sein Körper nimmt die Knochenmarkspende an.

"Ich hab' nichts mitgekriegt."

Und Özi, wie die ganze Familie Alca den 32-Jährigen aus Nienburg inzwischen nennt? Der steht längst schon wieder an seiner Maschine in einem Betrieb in Nienburg. Drei Tage war er in einem Krankenhaus, hatte sich dort Blut und Stammzellen aus dem Knochenmark entnehmen lassen. „Ich hab’ nichts mitgekriegt“, sagt er. „War ja alles unter Vollnarkose.“ Schmerzen? Nein. Nur ein wenig Ziehen im Rücken, das bald wieder weg ist.

Am 21. Dezember 2012, nachts um halb elf, blinkt eine E-Mail auf seinem Computerbildschirm auf. Daran hängt ein Video. Öztürk Özdemir öffnet es. Was er sieht, lässt ihn den Rest der Nacht nicht mehr schlafen. Es ist ein Video von Eren und seiner Familie. Von einem gesunden kleinen Jungen und seiner überglücklichen und dankbaren Familie.

Zwei Jahre lang dürfen sich die Familie Alca und Öztürk Özdemir nicht besuchen. Das steht so in einem deutschen Gesetz. Damit es nicht zu emotionalen Verwicklungen kommt. Und auch, damit nicht plötzlich Geld ins Spiel kommt. Manchmal brauchen Patienten wie Eren noch eine zweite Spende. Knochenmarkblut soll nicht zur Handelsware werden.

"Gleiches Blut zieht sich an."

Zwei Jahre lang warten die Alcas darauf, den Mann kennenzulernen, der ihren Sohn gerettet hat. Und sie können längst wieder scherzen: „Eren war nach der Klinik so fit, so aufgeweckt. Ich war mir sicher: Der Spender ist ein Marathonläufer“, lacht Adem Alca. Ist er nicht, wohl aber ein gestandener Mann. Der eigentlich nicht so gerne über Gefühle spricht, aber eben doch nicht drum herumkommt.

Als er in diesen Tagen in Bayreuth ankommt, als er der Einladung der Alcas folgt und Éren zum allerersten Mal sieht, hat Öztürk Özdemir sofort einen Draht zu dem Jungen: „Ich sehe mich in ihm.“ Özdemir hat selbst einen kleinen Sohn. „Ich kann das so gut nachempfinden. Wenn mein Sohn krank ist, leide ich selbst ein wenig.“ Wie müssen sich Zeynep und Adem Alca in aller Zeit gefühlt haben? In der Türkei gibt es ein Sprichwort: Gleiches Blut zieht sich an. „Und das stimmt“, sagt Adem Alca. „Es ist, als würden wir uns schon ewig kennen.“ Jetzt gehört Öztürk Özdemir zur Familie. Man wird sich wiedersehen.

Für die Alcas ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende, auch wenn ihr Sohn gesund ist, in den Kindergarten geht und all das tut, was Vierjährige tun. Sie wissen, wie wichtig es ist, dass sich noch mehr Menschen in die Deutsche Knochenmarkspendedatei aufnehmen lassen. Vor allem noch mehr Menschen, die selbst oder deren Familien aus dem Mittelmeerraum kommen. Denn bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass sie Spender für Kinder sein können, die an der Mittelmeerkrankheit leiden. Für Kinder wie den kleinen Eren.

Info: Wer sich als Spender registrieren lassen will, findet weitere Informationen auf der Homepage der Deutschen Knochenmarkspendedatei.

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