Bildungsministerin will Ausbeutung stoppen Bayreuth: Mehr als die Hälfte der Uni-Mitarbeiter ist nur befristet angestellt

Von Norbert Heimbeck
Bildungsministerin Johanna Wanka will die Ausbeutung junger Wissenschaftler an den Universitäten stoppen. Sie wendet sich gegen die Praxis, befristete Arbeitsverträge aneinanderzureihen. Foto: dpa Foto: red

„Was mache ich nur mit meinem Leben?“ Antonia S. (Name ist der Redaktion bekannt) ist Mitte 30 und würde gerne eine Familie gründen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität und schreibt derzeit an ihrer Doktorarbeit. Die Unsicherheit kommt daher, dass ihr Arbeitsvertrag auf zwei Jahre befristet ist, die Verlängerung ungewiss. Dieses Los teilt sie mit etwa der Hälfte der Uni-Mitarbeiter.

 
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Schon einmal hat sie eine Verlängerung bekommen. Wie es mit ihrer Karriere- und Lebensplanung weitergeht? „Ich weiß es nicht.“ Dieses Schicksal teilt Antonia S. mit gut 440 anderen Frauen, die auf dem Bayreuther Campus arbeiten. Insgesamt haben fast 1200 von 2300 Mitarbeitern der Uni befristete Verträge.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat  Schlagzeilen gemacht mit ihrer Forderung: „Ausbeutung der jungen Wissenschaftler stoppen“. Die CDU-Politikerin will gegen die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen vorgehen. Sie sagte, die Möglichkeit, Forschern befristete Arbeitsverträge zu geben, werde ausgenutzt. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass 84 Prozent der etwa 160 000 Nachwuchswissenschaftler an deutschen Hochschulen Zeitverträge haben; ihr Anteil ist laut dem jüngsten Bildungsbericht in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen.

Besser als der Bayern-Duchschnitt
In Bayreuth ist die Situation des sogenannten akademischen Mittelbaus geringfügig besser als im Bayern-Durchschnitt: 51 Prozent befristet Beschäftigte hat Bayreuth, 55 Prozent ist der Bayern-Wert. Markus Zanner ist Kanzler der Universität Bayreuth. Er sieht Gründe für die hohe Quote in der „nicht eben üppigen Grundausstattung“ der Uni mit Finanzmitteln: „Es wäre natürlich gut, mehr Dauerstellen zu haben.“ Andererseits ist die Lage für Zanner nicht unbedingt dramatisch: „Es handelt sich dabei in erster Linie um Qualifikationsstellen. Die waren schon immer befristet. Viel problematischer sind kurzfristige Verträge unter einem Jahr.“DAran werde gearbeitet. Erst im Herbst 2014 habe Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle die Lage der wissenschaftlichen Mitarbeiter zum Thema gemacht. Viel getan hat sich bislang aber nicht.

Tanja K., ebenfalls befristet Angestellte auf dem Bayreuther Campus, sagt: „Man ist stark verunsichert, wenn der Vertrag nur befristet ist. Dabei habe ich noch Glück gehabt, denn ich habe von meiner Verlängerung sechs Wochen vor Vertragsende erfahren. Manche Kollegen erfahren erst eine Woche vor dem Fristende, ob sie übernommen werden oder nicht.“

Manchmal bekommt der Betroffene die Nachricht vom Vertragsende frühzeitig. So erging es Wolfgang B.: „Ich hätte nur noch ein wenig Zeit für meine Promotion gebraucht. Im Herbst habe ich erfahren, dass ich keine Verlängerung bekomme. Ich gehe davon aus, dass das Arbeitsamt mir nicht auf den Deckel steigt. Ich komme von einer Dreiviertelstelle und falle deshalb nicht ganz so tief. Aber wenn man um die Miete kämpfen muss oder Kinder hat, ist das sicherlich ein Problem.“

"Man arrangiert sich irgendwann"
Fragen wie Wohnungssuche, Mietvertrag etc. werden mit dem nahenden Fristende immer dringender. „Man arrangiert sich irgendwann mit der Situation“, sagt Alexandra Groß von der Hochschulgruppe der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die selbst auf einer befristeten Stelle arbeitet. Für sie sind die Freiheiten, die Wissenschaftler haben – „ich kann arbeiten, wann und wo ich will“ – so wichtig, dass sie den wirtschaftlichen Druck auf sich nimmt.

Auch die Gewerkschaft Verdi hat auf dem Campus einen Ansprechpartner: Oliver Gschwender. Wie Alexandra Groß stimmt auch er Kanzler Markus Zanner zu, wenn es um Kritik an der Grundfinanzierung der Universitäten geht: „Man müsste eine Chance bekommen, dauerhaft an der Uni zu arbeiten, auch wenn man keine Professorenstelle anstrebt.“ Der akademische Mittelbau – Nachwuchs-Wissenschaftler hören weder Groß noch Gschwender gern, weil „man mit seiner Doktorarbeit ja schon gezeigt hat, dass man wissenschaftlich arbeiten kann“ – wird durch solche Entwicklungen ausgedünnt. Gschwender: „Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir müssen Dauerstellen schaffen, um zu verhindern, dass Wissenschaftler ihre Karrierechancen in der Wirtschaft suchen.“

Hartz IV oder W3
Das Problem ist seit langem bekannt, scheint sich aber in der jüngsten Vergangenheit zu verstärken. Der Wissenschaftsrat ist das wichtigste Beratergremium für Bildungspolitik – er warnte 2014 davor, die Aneinanderreihung von Zeitverträgen könne sich als Sackgasse für die Betroffenen erweisen. „Hartz IV oder W3“ sei inzwischen zum geflügelten Wort geworden, stellt Gewerkschafterin Groß fest. Mit W3 ist die Juniorprofessur gemeint. Durch die Aneinanderreihung von nicht eben gut bezahlten befristeten Arbeitsverträgen stünden hochqualifizierte Wissenschaftler mit Anfang/Mitte 40 oft vor der Not, außerhalb der Universitäten einen Arbeitsplatz zu finden.

Eine der Ursachen ist, dass Forschung an Hochschulen immer häufiger über sogenannte Drittmittel finanziert wird. Das sind Gelder von Firmen und Organisationen, die oft projektgebunden und zeitlich limitiert sind. Bildungsministerin Wanka fordert nun, dass befristete Verträge wenigstens so lange gelten sollen, wie Projektmittel zur Verfügung stehen.

Info: Um die Gesprächspartner mit befristeten Verträgen zu schützen und ihre mögliche Weiterbeschäftigung nicht zu gefährden, hat die Redaktion die Namen geändert beziehungsweise abgekürzt.

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