Bei Herzstillstand zählt jede Minute Rettungsprofis unterstützen Erste Hilfe per Telefon

Von Norbert Heimbeck

Zwölf Minuten können verdammt lang sein. Wenn man darauf wartet, dass der Notarzt kommt. Weil gerade ein Angehöriger zusammengebrochen ist. Weil man fürchtet, dass sein Herz still steht. Wenn man nur wüsste, was zu tun ist. Wer die Notrufnummer 112 wählt, bekommt jetzt genau diese lebensrettenden Informationen: Telefonunterstützte Reanimation heißt das neue Angebot der Rettungsdienste.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Samstag, 1. Februar 2014: Um 10:56:17 Uhr klingelt in der Integrierten Leitstelle (ILS) in Bayreuth der Notruf.

In Bayern soll der Rettungsdienst innerhalb von zwölf Minuten am Ort des Notfalls eintreffen. Denn mit jeder Minute, die ein Herzstillstand dauert, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit des Opfers drastisch. Stefan Eigl ist ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes in Bayreuth und als Notarzt tätig. Er sagt: „Herz-Kreislauferkrankungen sind die mit Abstand häufigste Todesursache. Der Sauerstoffmangel im Gehirn ist nach drei bis fünf Minuten nicht mehr gutzumachen. Deshalb entscheidet schnelle Hilfe über das Schicksal der Betroffenen." Da meistens Angehörige, Arbeitskollegen oder Sportfreunde dabei sind, wenn jemand kollabiert, gäbe es eigentlich genügend potenzielle Ersthelfer. Doch viele trauen sich nicht.

10:56:17 Uhr: Disponent Stefan Hartmann nimmt den Anruf entgegen: „Hier ist der Notruf für Feuerwehr und Rettungsdienst." Der Anrufer ist Hans Schmidt aus einem Ort im südlichen Landkreis, sein Vater ist plötzlich umgekippt, hat im Esszimmer die Augen verdreht, ist nicht mehr ansprechbar. Hartmann nimmt die Adresse auf und alarmiert die Helfer vor Ort, den Rettungswagen und den Hubschrauber Christoph 20. Um 10:58:19 Uhr übernimmt Bernhard Eichner in der Leitstelle den Anrufer.

Stefan Eigl sagt, dass Herzversagen immer öfter auch junge Menschen betrifft, Sportler sogar: „Neun Prozent überleben gut, wenn schnelle Hilfe geleistet wird." Er schätzt, dass durch die telefonunterstützte Reanimation mindestens zehn Menschen mehr als bisher ihre Herzattacke überleben werden (pro 100 Fälle gerechnet). Der Notarzt verweist auf ein prominentes Schicksal: Prinz Friso der Niederlande, der von einer Lawine verschüttet wurde; zwar konnte sein Herz wieder zum Schlagen gebracht werden, doch sein Gehirn war durch den Sauerstoffmangel zerstört, der Prinz lag mehr als ein Jahr im Koma, bis er schließlich starb.

10:59:08 Uhr: Das Fahrzeug der Creußener Helfer vor Ort rückt aus.

Hans Schmidt hat inzwischen nach Anweisung der Leitstelle sein Telefon auf Lautsprecher gestellt. Bernhard Eichner hat längst registriert, dass der Kollabierte nicht ansprechbar ist, hat Schmidt dazu gebracht, seinen Vater flach auf den Rücken zu legen: „Knien Sie sich seitlich neben den Brustkorb des Patienten ... Machen Sie den Oberkörper frei. Legen Sie den Handballen auf die untere Hälfte des Brustbeins. Legen Sie den Handballen Ihrer zweiten Hand auf den Rücken der ersten Hand. Beugen Sie sich so über den Patienten, dass Sie mit gestreckten Armen senkrecht drücken können." So leitet der Disponent den Ersthelfer präzise an; seine Fragen spult er nach einem von Rettungsexperten ausgearbeiteten Protokoll ab. Hans Schmidt erzählt: „Ich war geschockt, als mein alter Herr plötzlich umkippte. Da war es gut, dass mir einer gesagt hat, was ich tun sollte. Mir hat einfach der Anstoß gefehlt."

10:59:24 Uhr: der Rettungswagen aus Pegnitz rückt aus.

Mediziner betonen immer wieder die Wichtigkeit der schnellen Ersten Hilfe. Jedoch ist die Bereitschaft zur Durchführung einer Reanimation sehr gering: Höchstens 15 Prozent der potenziellen Helfer würden tatsächlich aktiv werden. Wenn Laien Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen, steigt die Chance für die Wiederherstellung des Kreislaufs von 37 auf 50 Prozent. Hans Schmidt berichtet: „Ich habe ungefähr 20 Mal gedrückt, dann habe ich gemerkt, wie mein Vater wieder reagiert hat."

Markus Ruckdeschel ist Chef der Integrierten Leitstelle in Bayreuth. Er berichtet, dass mit der telefonisch angeleiteten Ersthilfe deutliche Verbesserungen in Notfällen erreicht werden: „Wir hatten sogar einen Fall in St. Georgen, in dem eine 74 Jahre alte Frau ihren Ehemann reanimieren konnte." Der Arzt Stefan Eigl unterstreicht, dass jeder Erste Hilfe leisten kann, unabhängig vom Alter: „Wir haben damit begonnen, Siebt- und Achtklässler zu unterweisen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Zwölf- bis 13-Jährige sowohl körperlich als auch psychisch in der Lage sind, selbstständig Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen." Er schildert den Fall eines 13 Jahre alten Buben, der in Schleswig-Holstein unter telefonischer Anleitung der Leitstelle das Leben seines Vaters retten konnte.

11:01:49: Die Helfer vor Ort treffen bei Hans Schmidt ein.

Jetzt, ein paar Wochen später, spricht Hans Schmidt ganz entspannt über den Vorfall mit seinem Vater. Er macht jetzt bei seinen Bekannten und Freunden Werbung für die telefonunterstützte Reanimation. „Es kann jeden jederzeit treffen," sagt Stefan Eigl und ruft Notfälle beim Gefreeser Wiesenfest und bei Maisels Funrun in Erinnerung. Hans Schmidt sagt: „Die Hilfe am Telefon ist der letzte Kick, damit sich die Leute auch trauen zu helfen."

11:05:50 Uhr: Christoph 20 landet an der Einsatzstelle.

Bernhard Eichner erklärt, wie die Telefonunterstützung aussieht: „Wir haben festgelegte Fragen und Anweisungen für die Ersthelfer. Damit garantieren wir, dass nichts übersehen wird und die Hilfe punktgenau ankommt." Wichtig sei, dass der Ersthelfer bis zum Eintreffen des Notarztes immer wieder motiviert wird. Denn zwölf Minuten können verdammt lang sein, sogar wenn man damit beschäftigt ist, 100 Mal pro Minute den Brustkorb eines Notfallpatienten zu drücken. Aber wenn dann das Herz wieder anfängt zu schlagen, hat sich jeder Einsatz gelohnt. Übrigens muss kein Ersthelfer mehr Bedenken wegen der Beatmung eines Verunglückten haben. Moderne Erste Hilfe verzichtet darauf und setzt ganz auf die Herzdruckmassage. Im Durchschnitt dauert es übrigens etwa acht Minuten, bis professionelle Helfer am Unglücksort eintreffen.

11:10:08 Uhr: Der Pegnitzer Rettungswagens ist vor Ort und übernimmt die Versorgung des Patienten.

Stefan Eigl sagt: „Es besteht kein Grund zur Sorge: Als Ersthelfer kann man nicht viel falsch machen. Herzmassage ohne Unterbrechung ist während der ersten Minuten wichtig. Bislang wird nur in etwa 17 Prozent der Notfälle ausreichende Hilfe geleistet. Weil sich viele Menschen hilflos fühlen." Mit der Telefonunterstützung durch die Profis in der Leitstelle soll den Ersthelfern künftig diese Sorge abgenommen werden. Im April vergangenen Jahres begann die Einführung von T-CPR (telefonunterstützte cardio-pulmonale Reanimation), ist inzwischen flächendeckend für erwachsene Notfallpatienten. Markus Ruckdeschel: „Die Rettungsdienste werden das Zug um Zug ausweiten, als nächstes greifen wir die Wiederbelebung von Kindern an." Denn Notfälle mit Kindern setzten Ersthelfer psychisch noch stärker unter Druck.

11:30:46 Uhr: Der Rettungswagen startet mit dem Patienten an Bord. Um 11:47:58 Uhr trifft er in der Klinik ein.

Stefan Eigl ist überzeugt vom neuen Hilfesystem: „Unsere Patienten kehren dadurch gut ins Leben zurück, sie werden wieder gesund!" Der Erfolg gibt ihm Recht: Seit Anfang des Jahres sind bereits zwei Überlebende im Bereich der Rettungsleitstelle Bayreuth/Kulmbach dokumentiert. Auch Hans Schmidts Vater ist inzwischen wieder auf den Beinen.

Dieses Video zeigt, wie die telefonunterstützte Reanimation funktioniert:

Bilder