Bayreuther Forschung Rollikragen ohne Risse

Darum geht’s: Kragen mit Kantenrissen (links) sollen künftig vermieden und mehr fehlerfreie Kragen gefertigt werden. Foto:  

Mit einem neuen Forschungsprojekt nimmt die Universität Bayreuth an einem DFG-Schwerpunktprogramm „Datengetriebene Prozessmodellierung in der Umformtechnik“ teil. An der Spitze stehen zwei Forscherinnen.

 
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Gesteuert wird das mit rund 788 000 Euro geförderte Projekt von zwei Wissenschaftlerinnen. Eine davon ist die Bayreuther Wirtschaftsinformatikerin und Prozessanalytikerin Prof. Agnes Koschmider. Die andere ist Prof. Verena Kräusel, Ingenieurin am Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz.

Im Mittelpunkt stehen zwei industrielle Fertigungsverfahren: das Scherschneiden und das Kragenziehen. Das Ziel ist, mit neuesten Technologien der Datenanalyse und einer darauf basierende Anpassung der Prozessketten eine fehlerfreie Fertigung sicherstellen.

Agnes Koschmider erklärt das so: „Bisher finden sich im Material Risse, die man nicht erklären kann. Das verursacht einen Ausschuss und Millionen an Folgekosten.“ Dieser Verschwendung könne man entgegenwirken, indem schon beim Fertigungsprozess gegengesteuert werde.

In der Mitteilung der Universität Bayreuth zu dem Projekt wird das betreffende Verfahren als Umformtechnik bezeichnet. Damit gemeint ist eine Gruppe industrieller Verfahren, bei denen Materialien plastisch so verändert würden, dass die auf diesem Weg gefertigten Bauteile ihre definierten Funktionen erfüllen könnten.

Chance für die Automobilindustrie

Zu diesen Verfahren zähle auch das in der Blechverarbeitung etablierte Kragenziehen: Dabei wirkten Zugkräfte kontinuierlich auf ein flächiges Material ein, aus dem ein rundes Loch herausgeschnitten wurde, und bringen eine Struktur hervor, die dem runden Kragen eines Rollkragenpullovers ähnelt. Das Loch wurde zuvor durch ein anderes Umformverfahren, das Scherschneiden, erzeugt. Für den fertigen „Kragen“ sind unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten denkbar: Zum Beispiel zur stabilen Fixierung eines Bauteils oder um Bauteile miteinander zu verbinden. In der Automobilindustrie, etwa bei Autositzen, würden solche Materialien verwendet, erläutert Wirtschaftsinformatikerin Koschmider.

Ihr Beitrag besteht nach eigener Angabe aus der Datenanalyse und der Anwendung von maschinellen Lernverfahren. Mit der verfügbaren Datenmenge werde versucht, treffendere Vorhersagen zu entwickeln. Die Scherschneid- und Kragenzieh-Prozesse sollen optimiert werden, um Kantenrisse zu vermeiden. „Da spielen bestimmte Parameter wie Temperatur und Druck und noch andere eine Rolle“, sagt die Wissenschaftlerin.

Ein neuer Weg jenseits von Computersimulationen

Die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Materials werden dabei genaustens analysiert. „Bislang wurden Computersimulationen verwendet. Dass aus den Daten gelernt wird, ist neu.“ Die Prozesse seien separat analysiert worden, ohne deren Wechselwirkung zu beachten.

Mit dem interdisziplinären Ansatz von Umformtechnik und Datenwissenschaften an den Standorten Chemnitz und Bayreuth könne die Ursache von Kantenrissen präziser bestimmt werden. Die industriellen Werkzeuge könnten so eingesetzt werden, dass Kantenrisse in Zukunft nicht mehr oder nur noch selten vorkommen.

Alle Informationen sollen durch geeignete Datenmodelle in eine digitale Abbildung integriert werden. So erklärt Koschmider: „Ein wichtiger Aspekt unserer geplanten Forschungsarbeiten ist die Qualität der Daten, die wir der digitalen Modellierung zugrunde legen. In den Datenwissenschaften verfügen wir heute über technologisch anspruchsvolle Verfahren, wie beispielsweise Process Analytics und Deep Learning, mit denen sich die Datenqualität gewährleisten und steigern lässt.“ Das bedeutet, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und der Analyse von Daten werden kausale Wahrscheinlichkeiten abgeleitet. „Wir haben dafür einen Methodenbaukasten und können damit Phänomene statistisch vorausberechnen.“

Im DFG-Schwerpunktprogramm 2422 werden die Forschungsarbeiten aus Bayreuth und Chemnitz gefördert. Damit sollen gezielt Data Scientists sowie Maschinenbauer und Materialwissenschaftler zur Zusammenarbeit angeregt werden.

Das Bayreuth-Chemnitz-Projekt hatte einen längeren Vorlauf und läuft über drei Jahre.

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