Nach der neuen Bevölkerungsvorausberechnung verliert Oberfranken etwas weniger Einwohner als noch vor zwei Jahren vorhergesagt, nämlich 8,1 Prozent in 20 Jahren. Ist das für Sie ein Hoffnungszeichen?
Manfred Miosga: Die Abweichung zu den bisherigen Prognosen ist nun nicht so immens, dass man von einem Trendwechsel ausgehen könnte. Was bleibt ist die Notwendigkeit, in Teilen Oberfrankens mit deutlichen Prozessen der Schrumpfung und der Alterung umgehen zu müssen.

Worauf ist diese Veränderung zurückzuführen?
Miosga: Wir hatten gegenüber den Prognosen, die 2012 veröffentlicht wurden in den letzten Jahren in Bayern deutlich höhere Wanderungsgewinne als vorausgesagt. Die Bevölkerung im Freistaat ist insbesondere durch Zuwanderung aus den südeuropäischen Krisenländern und aus den südosteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten gewachsen. Gegenüber Bulgarien und Rumänien sind die Beschränkungen bei den Arbeitserlaubnissen weggefallen, und das hat zu mehr Zuwanderung geführt. Davon hat auch Oberfranken profitiert, wenn auch in geringerem Umfang als die Metropolen. Nun wurden die Annahmen angepasst und die Statistiker gehen davon aus, dass dieser Trend noch ein paar Jahre anhält.

Kann man solchen Vorausschätzungen überhaupt trauen?
Miosga: Grundsätzlich sind solche Prognosen so gut wie die Annahmen, die dahinter stehen. Dabei kann man die natürlichen Bevölkerungsbewegungen recht gut vorhersagen, da sich insbesondere das generative Verhalten der Menschen und somit die Geburtenraten nur schwerfällig verändern und auch nur in geringem Maße durch politische Maßnahmen beeinflussen lassen. Auch die Sterberaten bleiben bei anhaltendem medizinischen Fortschritt und einem gut ausgebauten Gesundheitssystem gut kalkulierbar. Schwerer sind Wanderungsbewegungen vorhersagbar. Da können Krisen und politische Veränderungen schon mal Schübe verursachen, die so nicht in den Modellen abgebildet sind, die dann angepasst werden müssen. Genau das ist jetzt erst einmal passiert.

Grafik: Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung

Wie könnte der Rückgang der Bevölkerung in Oberfranken noch stärker gebremst werden?
Miosga: Da wir nicht mit einem dramatischen Anstieg der Geburtenrate rechnen können, wird auch weiterhin die Zuwanderung der Schlüssel zu einer eher ausgeglichenen Bevölkerungsentwicklung sein. Selbst wenn wir die Geburtenrate von heute unter 1,4 auf den Wert von 2,1 Kinder je Frau, der zum zahlenmäßigen Erhalt eines Jahrgangs erforderlich wäre, steigern könnten, würde Oberfranken weiter schrumpfen, denn die jüngeren Jahrgänge sind schon deutlich unterrepräsentiert und machen nur noch etwa die Hälfte der geburtenstarken Jahrgänge aus. Allerdings wäre eine solche Steigerung der Geburtenrate schon eine Sensation mit der nicht zu rechnen ist. Bleibt Zuwanderung in großem Stil. Und da konkurriert Oberfranken mit den klassischen Zuwanderungsregionen in den südbayerischen Wachstumsregionen rund um die Landeshauptstadt und den Alpenrand.

Warum profitieren wir in Oberfranken nicht so stark von den Zuzügen wie andere Regierungsbezirke?
Miosga: Die Metropolregion München ist eine der prosperierendsten Regionen Europas und wirkt wie ein Staubsauger auf mobile Bevölkerungsgruppen. Trotz enorm gestiegener Kosten für Mieten oder Wohnungskauf und hohen Lebenshaltungskosten locken attraktive Arbeitgeber und hohe Einkommenserwartungen. Auch wenn die Rechnung unterm Stich vielleicht ab und zu nicht aufgeht, so ist die Region insgesamt so attraktiv, dass sie viele Menschen anzieht. Im Moment profitiert aber auch Oberfranken von der Zuwanderungswelle. 2013 hat beispielsweise die Stadt Hof erstmals seit langen Jahren wieder kein Minus mehr vor dem Bevölkerungssaldo. Aber auch wenn der Arbeitsmarkt im Moment gute Rahmendaten aufweist und auch vermehrt Fachkräfte in die Region gelockt werden, haben Teile Oberfrankens nach wie vor erhebliche strukturelle Probleme und deutliche Wettbewerbsnachteile.

Ist Bevölkerungsrückgang nur schlecht, oder erwachsen daraus auch Chancen für die Region?
Miogsa: Ob Chance oder Problem – er wird in jedem Fall stattfinden und sollte nicht ignoriert werden. Allerdings ist Oberfranken unterschiedlich betroffen. Der Südwesten um Bamberg und Forchheim bleibt recht stabil, während der Nordosten am schnellsten schrumpft. Dort sind die demografischen Veränderungen eine große Herausforderung für die Menschen und die Kommunen. Immobilienmärkte werden schwieriger und die Belastungen für die Kommunen größer: Sie müssen mit weniger, aber dafür wesentlich älterer Bevölkerung umgehen, bei immer schlechterer Finanzausstattung, da die erwerbstätige Bevölkerung abnimmt und mit ihr die Anteile an der Einkommenssteuer, während sich die Fixkosten für die Infrastruktur kaum ändern. Allerdings wird der Prozess der Alterung und der Schrumpfung so nach und nach immer mehr Regionen Bayerns betreffen. Wenn die Probleme hier gemeistert werden, können andere von den Lösungen profitieren, was natürlich kein Trost ist. Im Übrigen ist zu erwarten, dass mit zunehmendem Wohlstand in den Schwellen- und Entwicklungsländern es auch dort zu einer alternden, stagnierenden und später auch schrumpfenden Bevölkerungsentwicklung kommen wird.

Wunsiedel und Hof bleiben Sorgenkinder. Können Behördenverlagerungen, wie sie der Heimatminister angekündigt hat, daran etwas ändern?
Miosga: Wie gesagt, durch die wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften und die Zuwanderung entspannt sich die Situation momentan etwas. Eine Verlagerung von Behörden wertet die Region in jedem Fall auf, wird aber keine Wunder bewirken. Die relativ ungünstige Altersstruktur der Bevölkerung wird sich nicht grundsätzlich ändern, auch wenn künftig die Abwanderung junger Erwerbstätiger gestoppt wird.

Die Staatsregierung will demnächst einen Plan für Nordbayern verkünden. Was sollte da drinstehen?
Miosga: Die vorausgesagte Schrumpfung wird eintreffen, wenn Deutschland seine Zuwanderungspolitik nicht radikal ändert und die Grenzen deutlich stärker öffnet als bisher. Das ist von der Staatsregierung jedoch nicht zu erwarten. Sie tut sich ja bisher selbst mit Zuwanderung aus EU-Staaten schwer. Folglich müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, Wohnraum zurück zu bauen, um Verfall und Verödung und das Auslösen von Abwärtsspiralen durch Leerstände in den Kommunen zu verhindern. Von dem Nordbayernplan erwarte ich mir, dass die Probleme klar benannt und Lösungen präsentiert werden. Schönreden hilft ja nicht. Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, mit den Herausforderungen umzugehen. Dazu brauchen sie eine ausreichende Finanzausstattung und neue Instrumente zur Steuerung der Siedlungsentwicklung. Außerdem müssen Schrumpfung und Rückbau klug gesteuert werden, um lebensfähige Kommunen und attraktive Zentren zu erhalten. Dieser Prozess sollte staatlich moderiert und regional sorgfältig geplant werden, um die Infrastrukturausstattung auf einem guten Niveau zu erhalten. Hier ist die Staatsregierung gefordert, leistungsfähige Institutionen zu schaffen. Zum Beispiel in Form von regionalen Planungsverbänden, die finanziell und personell entsprechend ausgestattet werden, um die Kommunen fachlich und planerisch zu begleiten.

Um 8,1 Prozent soll die Bevölkerungszahl in Oberfranken laut Vorausberechnung von 2012 bis 2032 sinken. In den kreisfreien Städten und Landkreisen der Region wird eine sehr unterschiedliche Entwicklung erwartet (Abnahme in Prozent):

Prognose: Oberfranken 2032
Um 8,1 Prozent soll die Bevölkerungszahl in Oberfranken laut Vorausberechnung von 2012 bis 2032 sinken. In den kreisfreien Städten und Landkreisen der Region wird eine sehr unterschiedliche Entwicklung erwartet (Abnahme in Prozent):

Stadt Bamberg - 1,6
Stadt Bayreuth -4,8
Stadt Coburg -7,2
Stadt Hof -10,6
Landkreis Bamberg -1,5
Landkreis Bayreuth-7,8
Landkreis Coburg -10,0
Landkreis Forchheim -0,4
Landkreis Hof -16,2
Landkreis Kronach-14,9
Landkreis Kulmbach -12,4
Landkreis Lichtenfels-7,9
Landkreis Wunsiedel -18,0

Das Interview führte Peter Rauscher.

Professor Manfred Misoga leitet die Abteilung Stadt- und Regionalentwicklung im Forschungsbe- reich „Soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit“ an der Universität Bayreuth.