Die Mitnahmegesellschaft Eintritt zahlen und einpacken, was man tragen kann: Schnäppchenjäger im Fieber

Ulrike Sommerer

BAYREUTH. Eigentlich sei er gar nicht so. Also nicht so ein Schnäppchenjäger. Patrick Noak muss selbst lachen, wenn er an sich heruntersieht. Um den Hals hat er drei Handtaschen hängen, am Rücken einen schon etwas schmuddelig aussehenden Kinderrucksack, alles vollgestopft mit Kleinkram. Am Gürtel hängen Kleiderbügel voller Klamotten, unterm Arm klemmt ein Kissen, in der einen Hand hält er Fußmatten fürs Auto, mit der anderen greift er nach einem Staubsauger. „Den hätte ich jetzt fast übersehen.“

 
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Auch wenn Patrick Noak eigentlich kein Schnäppchenjäger sei, an diesem Vormittag packt ihn das Schnäppchenfieber.

Das Angebot klingt aber auch zu verlockend. „Wir hören auf, Sie packen ein! So viel Sie tragen können!“ prangt in plakativen Lettern auf dem Flugblatt. Das Konzept besticht. Eintritt zahlen und raustragen, was geht, völlig egal, welchen tatsächlichen Wert die Ware hat. Nur vorher gucken, das gilt nicht. „Das ist schließlich der Kick bei der Sache“, findet Andrea Polewka, Tochter und Stellvertreterin des Geschäftsführers dieses Insolvenzmasseverkaufs, der nun selbst schließen muss. Weil der Eigentümer der Immobilie wechsle, müsse der Schnäppchenmarkt ausziehen. Fast fünf Jahre hatte man hier sein Domizil, jetzt suche man eine neue Unterkunft. So richtig gut lief der Laden in der Weiherstraße jedoch nie, gibt Andrea Polewka zu. Sie schiebt es auf das Kaufverhalten der Bayreuther, bei denen eine Schnäppchenmentalität ihrer Erfahrung nach nicht so ausgeprägt sei wie anderswo. „Außerdem hat uns hier die Laufkundschaft gefehlt.“

Der Kunde schleppt

Jetzt ist also Schluss mit Schnäppchen und zum Ende hin wollen sie den Markt doch noch einmal überrollen. Daher die Idee mit Eintritt zahlen und rausschleppen, was geht. Wer zuerst kommt, erwischt die besten Stücke. Deshalb zahlen alle, die in dieser Woche zuschnappen, 50 Euro. Die Eintrittspreise sinken, je weiter der Januar fortschreitet. Auch wenn Andrea Polewka nicht glaubt, dass sie mit diesem Konzept etwas verdiene, ist sie dennoch von der Idee überzeugt. Ausräumen müssten sie den Laden ohnehin. „Und was jetzt Kunden raustragen, müssen wir schon nicht mehr schleppen.“ Und außerdem wären manche Sachen schon richtige Ladenhüter, da sei sie froh, wenn sie von jemandem mitgenommen werden. Zum Beispiel so eine lilafarbene Couchgarnitur.

Die besten Stücke ergattern wollte auch eine Familie mit Berliner Akzent. Ihren Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen, sagen sie, während sie in einer konzertierten Aktion zwischen Dunstabzugshauben, Schuhen, Krippenfiguren, Arbeitshosen, Spiegelschränken und Putzmittel nach den Sahnestückchen fahnden. Das hatten sie schon letzte Woche während des normalen Geschäftsbetriebs und als gucken noch erlaubt war. Da sahen sie sie, eine lilafarbene Couchgarnitur. Zweisitzersofa, zwei Sessel, passende Kissen. Genau das Richtige fürs Wohnzimmer. Die beiden Herren der Familie tragen das Sofa, die Damen die Sessel. Auf den Möbeln liegen weitere Dinge, die das Eintrittsgeld mehr als wettmachen sollen. Ein gelber Koffer, gefüllt mit Weihnachtsschmuck, mehrere Solarleuchten, eine Espressomaschine ...

Die Espressomaschine ist der Renner. Auch Patrick Noak packt sich eine in eine große Plastiktüte. Die Tüte hat er irgendwo im Geschäft gefunden. Eigene Tüten, Taschen und Rucksäcke mitzubringen, ist nicht erlaubt, doch was man im Laden findet und raustragen kann, darf man behalten. Patrick Noak ist im Rausch. Gerade steht der 25-jährige Taxifahrer vor einem Regal mit Hausschuhen für Kinder. Er stopft mehrere in die Tüte mit der Espressomaschine. Das Kind ist noch nicht da, Noak hat gerade erst erfahren, dass er Vater wird. Und da er jetzt ja noch nicht wisse, ob er sich auf einen Jungen oder ein Mädchen freut, packt er einfach Hausschuhe in mehreren Farben ein. Für alle Fälle.

Eintritt wettmachen

Zwei weitere Männer haben die Espressomaschinen entdeckt. Inzwischen stehen nur noch drei im Regal. Auch sie packen eine ein, packen sie zur Dunstabzugshaube. So eine Dunstabzugshaube könne man immer brauchen, sagen sie im Brustton der Überzeugung. Genauso wie das viele Werkzeug, das sie ganz am Anfang ihrer Shoppingtour in ihre Hosen- und Jackentaschen stopften. Allein mit dem Werkzeug würden sie den Eintrittspreis locker reinholen, sind sie sicher.

Patrik Noak hat noch ein Regal mit Socken in Einheitsgröße entdeckt, nimmt einen Packen und verstaut ihn in einer der Taschen, die er sich um den Hals gehängt hat. Dass es Socken mit eingesticktem Namen sind, registriert er nicht. Erst als er darauf angesprochen wird, merkt er, dass er sich gerade Socken mit dem Namen Irene eingepackt hat. Obwohl er gar keine Irene kennt.

Foto: Ritter

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