Bayreuth ehrt Kämpfer gegen Nazi-Regime

Von Michael Weiser

Bayreuth gedenkt eines Unbeugsamen: Der Große Sitzungssaal des Rathauses ist am Montag, 30. Mai, Schauplatz einer Feierstunde für den SPD-Politiker Oswald Merz (1889 – 1946). Eine Ausstellung wird in den nächsten Wochen über das Leben Merz' informieren. Mit sieben Jahren in Gefängnissen und Konzentrationslager zahlte Merz einen hohen Preis für seinen Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft.

 
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Sie treffen in Bayreuth aufeinander, beide sind sie Lehrer. Damit enden die Gemeinsamkeiten. Der eine, der Sozialdemokrat Oswald Merz, gehört nach dem 30. Januar 1933 zu denen, die um ihr Leben fürchten müssen. Der andere, Gauleiter Hans Schemm, zu den Siegern, zu denen, die sich alles erlauben können. „An unseren Feinden werden wir Rache nehmen. Und zwar blutige Rache.“ Das hat Schemm angekündigt. Er darf sich zum Kreis der „Apostel“ zählen, Hitlers wichtigsten Helfern aus der Frühzeit der NS-Bewegung.

Der Existenzgrundlage beraubt

Bayreuths Obernazi muss nicht lange warten, um seinen Gegnern seine Rechnung zu präsentieren. Bei der ersten Säuberungswelle in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1933 verhaftet er persönlich neben anderen Sozialisten und Kommunisten auch Oswald Merz, um ihn ins provisorische Konzentrationslager in St. Georgen einzuliefern. Anschließend wird Merz wie andere prominente Bayreuther Arbeiterführer ins Konzentrationslager Dachau verlegt, aus dem er im September 1933 entlassen wird. Kaum ist Merz frei, wirft ihn sein Peiniger Hans Schemm mit einem Federstrich aus dem Beamtenstand: „Urkunde“ steht über dem Schrieb, mit dem der neue Kultusminister Schemm die Karriere seines Konkurrenten beendet, es folgen zehn Zeilen Sütterlinschrift, dann Schemms Unterschrift. Inhallt des Schreibens: Dem „Studienrat an der Lehrerbildungsanstalt Bayreuth Oswald Merz“ wird gemäß „des Reichsgesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die Verstoßung aus dem Staatsdienst zum 1. Oktober 1933 mitgeteilt. Merz sieht sich seiner Existenzgrundlagen beraubt – für den vom Krieg schwer gezeichneten Mann eine doppelte Katastrophe.

Als Infanterist im Ersten Weltkrieg

Merz, geboren in Schwabach, hat als Infanterist im Ersten Weltkrieg gedient. 1914 hat er sich freiwillig zum Bayreuther Infanterieregiment Nr. 7 „Prinz Leopold“ gemeldet, 1916 wird er an der Westfront zum Offizier befördert. Dann trifft ein Geschoss seinen Kopf. Zeitweise linksseitig gelähmt, wird er aus dem Frontdienst verabschiedet und in Bayreuth als Ausbilder eingesetzt. Als Oberleutnant, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz. Nach dem Krieg schließt er sich einem „Freiwilligen-Batailllon Hübner“ an, das in Nürnberg, Regensburg und München gegen die Räterepublik vorgeht. Dabei könnte sich sein Weg erstmals mit dem von Hans Schemm gekreuzt haben. Schemm hat sich zwar im Weltkrieg einer Einberufung an die Front entziehen können, schließt sich aber gleichfalls einem Freikorps an.

Eintritt in die SPD

Danach findet Merz seine politische Heimat. Er tritt der SPD bei. Wenige Jahre später wird er zur „führenden Figur der oberfränkischen Reichsbannerbewegung“, wie es in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum der SPD Bayreuth heißt. Das „Reichsbanner“ ist eine Frontkämpfervereinigung, gegründet 1924 von Mitgliedern der Sozialdemokratie, des Zentrums und anderer demokratischerGruppen, als Antwort auf den Terror von Links und Rechts. Merz arbeitet mittlerweile als Studienrat an der Lehrerbildungsanstalt Bayreuth. Er redet an gegen die Nazis, gegen Hans Schemm. Und macht sich einen Namen als Chor-Dirigent.

Kampf gegen die Nazis

Doch ab Februar 1933 spielt die Musik woanders. Das „Reichsbanner“ hat auf der Straße gegen die Nazis gekämpft und beklagt Dutzende Todesopfer. Doch während die Sozialdemokraten noch überlegen, wie man weiter gegen Hitler angehen kann, schlagen die Nazis zu. Und so kommt es, dass der Lehrer Schemm den Lehrer Merz nach St. Georgen verfrachtet. „Hans Schemm ließ es sich nicht nehmen, die Büttel-Rolle zu spielen. Von der vermeintlichen Größe des Augenblicks überwältigtes Volk verfolgte am alten Rathaus mit Begeisterung unsere Überführung ins Gefängnis.“ So schildert es Merz ein halbes Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der NS-Herrschaft. Schemm kümmert sich weiterhin persönlich um seine Bayreuther Intimfeinde. Mehrere Besuche im Konzentrationslager sind belegt, Schemm achtet darauf, dass Merz und seine Gesinnungsgenossen besondere Schikanen erdulden müssen.

Verhaftung im "Tucher-Stübl"

Merz zieht nach seiner Freilassung nach Frankfurt, besucht noch zweimal Mitglieder seines ehemaligen Arbeiter-Sängervereins in Bayreuth. Darauf haben die Machthaber gewartet. Im „Tucher-Stübl“ in der Hammerstatt werden im Oktober 1937 Merz und seine Bayreuther Sangesbrüder verhaftet. Zwar wissen die Behörden vermutlich genau, dass die Runde kaum als Verschwörung zu betrachten ist, doch die NS-Schergen setzen den Gefangenen brutal zu. Sie wollen alles zerschlagen, was an die Sozialdemokratie erinnert.

Rehabilitierung...

Merz wird zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und danach ins Konzentrationslager eingewiesen. 1945 befreien ihn die Amerikaner. Doch da ist Merz von der langen Haft so gezeichnet, dass er schwer erkrankt. Eine letzte Genugtuung erlebt er noch – seine Rehabilitation als Beamter. Merz wird ins Kultusministerium berufen, und er soll Leiter der Lehrerbildungsanstalt in Bayreuth werden. Dazu kommt es nicht mehr. Bereits am 18. Mai 1946 stirbt Oswald Merz.

...aber keine Wiedergutmachung

Der Bayreuther Stadtrat und Landtagsabgeordnete Christoph Rabenstein hat bei der Ausstellung mitgewirkt, die in den kommenden Wochen im ersten Stock im Rathaus zu sehen sein wird. Er hat sich intensiv mit dem Leben und Wirken Merz' beschäftigt. Und empfindet es als einen „Skandal“, wie der Freistaat mit Merz umging. „Ein halbes Jahr musste er auf seine Rehabilitierung warten, er lebte verbittert unter erbärmlichen Umständen in Augsburg“, sagt Rabenstein. „Seine Frau und sein Sohn bemühten sich nach seinem Tode um Wiedergutmachung. Sie mussten bis 1960 warten, bis sie einen Bescheid bekamen: Eine Wiedergutmachung könne nicht bewilligt werden, weil nicht erwiesen sei, dass Merz an den Folgen der KZ-Haft verstorben sei. Dabei war es ein Wunder, dass er diese sieben Jahre überhaupt überlebt hat.“

Kleidung aus Flossenbürg

Besonders schlimm war die Haft in Flossenbürg, wo die Gefangenen unter grässlichen Umständen Granit brechen mussten. „Die starben wie die Fliegen“, sagt Rabenstein. Der Anzug, den Merz dort trug, ist in der Ausstellung zu sehen, die an Oswald Merz erinnert. Wo er danach hinkommt? „Der richtige Platz wäre das Historische Museum“, sagt die Leiterin Sylvia Habermann. „Aber leider verfügen wir nicht über ausreichend Platz.“

INFO: Die Feierstunde mit einem Vortrag von Christoph Rabenstein beginnt um 18 Uhr im Großen Sitzungssaal des Rathauses.

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