Dies ist das vielleicht spektakulärste, Ergebnis der Forschungen des Wilhelmine-Jahres, das auf dem Wilhelmine-Symposion dieses Jahres von der in Marburg lehrenden, in Bayreuth ansässigen Musikwissenschaftlerin Professor Sabine Henze-Döhring publik gemacht wurde. War die Autorschaft im Sommer noch ungeklärt, so kann sie jetzt die Person des Komponisten dingfest machen, weil sie weiterforschte: „Jänichen war kein Phantom.“ Jänichen: der Name findet sich auf der Titelseite des maßgeblichen Weimarer Manuskripts des Cembalokonzerts und in einer zweiten Quelle.

Beamter und Komponist

Johann Gottfried Jänichen hat jetzt erstmals, dank Döhring, einen Vornamen und eine Gestalt bekommen; auf einem Wiener musikwissenschaftlichen Symposion wird sie im März ihre Quellenfunde vorstellen. Jänichen, so Döhring, stammte aus Halle, war der Sohn eines dortigen Rektors und diente als Geheimsekretär beim Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt. Christian Ludwig hatte als Großonkel der Wilhelmine durchaus Beziehungen zu Bayreuth. Bekannt blieb der Brandenburger Markgraf, weil ihm Bach seine „Brandenburgischen Konzerte“ widmete. Der musikbegeisterte Christian Ludwig, der im Berliner Schloss eine eigene Hofkapelle führte, schätzte nicht nur Bach, sondern auch kleine Talente. Er hatte in Jänichen einen fähigen Beamten, der zugleich ein anständiger Komponist war.

Noch über den Tod des 1734 verstorbenen Markgrafen hinaus empfing Jänichen einige Gnadengehälter. Er war, wie es heißt, ein exzellenter Cembalist, einige weltliche Gesänge haben sich erhalten, eine Cembalosonate ist bezeugt – und eben jenes Konzert, das stilistisch eindeutig in jene Zeit gehört, in der von Kompositionen der allzu jungen Wilhelmines reinweg nichts bezeugt ist.

Döhring: „Es ist unwahrscheinlich, dass der Bayreuther Kapellmeister Johann Pfeiffer seiner Schülerin das Komponieren im Eiltempo beigebracht hat, wenn man wie bisher aufgrund von einer falsch interpretierten Briefstelle annimmt, dass sie das Konzert 1734 schrieb.“

Der Behauptung, dass Wilhelmine die Autorin des Konzerts sei, weil die Wolfenbütteler Handschrift den im übrigen gänzlich unhöfischen Vornamen „Wilhelmine“ aufweise, tritt die Musikwissenschaftlerin mit dem Argument entgegen: „Ein einziger anonymer Namenseintrag ,di Wilhelmine’ hat im Zuge der Katalogisierung einer anonymen Abschrift keine Beweiskraft für eine Autorschaft. Zumal dann nicht, wenn andere Quellen, darunter die Hauptquelle, Wilhelmine nicht nennen, sondern einen anderen Autor, darunter Jänichen.“

Jener Name taucht auch, mit dem ersten Thema des Konzerts, im thematischen Verlagskatalog des Musikalienhauses Breitkopf auf, das dieses Konzert bis 1836 vertrieb. An diesem Katalog ist nicht zu rütteln: vor allem die Bach-, Haydn- und Händel-Forschung hat die Breitkopfkataloge als eine wichtige Quelle für die Identifizierung anonym überlieferter Kompositionen erkannt. Was nun Bayreuth betrifft, so hat Döhring für 1737/38 jede Menge „Schatullabrechnungen“ entdeckt – auch für Musikalien. Nach dem Tode des Markgrafen wurde dessen Musikaliensammlung geviertelt und verstreut, auf diesem Wege könnte, aber auch das ist nicht gesichert, das Wolfenbütteler Exemplar des Konzerts zunächst nach Bayreuth gekommen sein. „Da ich“, sagt die Wissenschaftlerin, „als Philologin skrupulös zu arbeiten pflege und es mir eine Herzensangelegenheit ist, dass über Wilhelmine geforscht und nicht spekuliert wird, genügt mir dieser Quellenbefund nicht, um eine Zuschreibung vorzunehmen.“

Aus Bachs Umkreis

Muss man Wilhelmine in diesem Fall verloren geben, so hat man eine neue, in den weiteren Umkreis Bachs hineinreichende Persönlichkeit gewonnen. Nebensächlich sind solche Zuschreibungsarbeiten nicht, denn das Cembalokonzert trägt nicht unwesentlich zum modernen Wilhelmine-Bild bei. Dass es nun in diesem ästhetischen Fall revidiert werden muss, kann nur der als Schaden empfinden, der nicht mit den Standards der kühlen, unterm Strich aber spannenden Ergebnisse der Quellenforschung vertraut ist.