Ulrike Meinhof war 1945/46 ein Dreivierteljahr das brave Schulkind RAF-Terroristin Ulrike Meinhof lebte in Bad Berneck

Peter Engelbrecht

BAD BERNECK. Die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof hatte kurz in Bad Berneck gelebt.

 
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Eine Top-Terroristin als braves, christliches Schulmädchen mit dunklen Haaren und schönen Zöpfen. Das war Ulrike Meinhof, erinnert sich ihre frühere Schulfreundin Marga Herrmannsdörfer (76) aus Bad Berneck.Millionen von Zuschauern sahen Montagabend den zweiten Teil des Films „Baader-Meinhof-Komplex“ im Ersten. Ulrike Meinhof war in dem Streifen die Hauptfigur. Die einstige sozialkritische Journalistin wandelte sich zur kompromisslosen Terroristin der Rote-Armee-Fraktion (RAF), die der Bundesrepublik einst den Krieg erklärte. Ihr Leben endete am 9. Mai 1976 durch die eigene Hand im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim.

Ulrike Meinhof in Bad BerneckSpurensuche nach Ulrike Meinhof in Bad Berneck. Im Rathaus im Erdgeschoss in Zimmer 3 befindet sich die Einwohnermeldestelle. Ein Griff in den Karteikasten und Wilfried Frei zieht eine dunkelrote Meldekarte hervor. Auf dem Dokument aus der Nachkriegszeit sind feinsäuberlich mit blauer Tinte Namen eingetragen: Dr. phil. Ingeborg Meinhof (die Mutter) sowie Wienke (die ältere Schwester) und Ulrike Meinhof, geboren am 7. Oktober 1934 in Oldenburg. Es gibt keinen Zweifel: Genau das ist das Geburtsdatum der späteren Terroristin.

Wie aus der Meldekarte weiter hervorgeht, zogen die drei Meinhofs von Jena kommend am 29. Juni 1945 nach Bad Berneck und am 6. April 1946 weiter nach Oldenburg. Sie wohnten hoch droben in Bad Berneck in der Eisenleite 41 in einem großen, zweigeschossigen Haus mit einem herrlichen Blick auf die Stadt. Heute trägt das Haus die Adresse Eisenleitenstraße 16. „Erst einmal hat ein Reporter nach der Meinhof-Meldekarte gefragt“, erinnert sich Rathausbediensteter Frei.

Meldekarte aus der NS-ZeitDie Meldekarte selbst stammt noch aus der NS-Zeit. Auf der Vorderseite tauchen Fragen nach dem Eintritt in die NSDAP, SA und SS auf, auf der Rückseite nach „Arbeitsdienst, Militärpflicht“ sowie nach „Frontsoldat“ und „Kriegsteilnehmer“. Die Stadtverwaltung verwendete offenbar aus purer Not heraus kurz nach dem Kriegsende noch die alten NS-Meldekarten.Für die einstige Schulfreundin Marga Herrmannsdörfer ist Meinhof noch immer „die Ulrike“. Die Frau mit schlohweißen Haaren und wachen Augen wohnt heute schräg gegenüber von dem Haus der drei Meinhofs. Sie kann sich an Ulrike Meinhof erinnern, als wäre es erst gestern gewesen.

Energiegeladene Terroristin„Sie war sehr energiegeladen und intelligent, die Ulrike“, berichtet Herrmannsdörfer. Noch heute ist es für sie unerklärlich, wie ihre Schulfreundin zur Terroristin werden konnte. Sie sei halt in Berlin „in bestimmte Kreise hineingeraten“, vermutet die Zeitzeugin. Das Abrutschen in den Terrorismus ist für Herrmannsdörfer furchtbar: „Ich war entsetzt, wie ein Mensch so weit gehen kann.“ Später, als sie noch nicht von der Polizei gesucht wurde, sei Meinhof ab und zu auf Besuch in Bad Berneck gewesen. Doch zu Terrorismus und Gewalt habe sie sich nicht geäußert, „sie hat schon immer einen eigenen Kopf gehabt“.Als beide dann doch einmal kontrovers diskutiert hatten, etwa über das Engagement von Meinhof in der KPD-gesteuerten Deutschen Friedensunion, habe sie gesagt: „Ach, ihr kleinbürgerlichen Mädchen.“

Spitzer KonterBäckerstochter Herrmannsdörfer, die sich nie groß für Politik interessiert hatte, konterte spitz: „Du kochst deine Suppe nur mit Wasser, und wir auch.“ Da erwiderte Meinhof spöttisch: „Da hast du wieder schwer zurückgeschlagen.“Die beiden besuchten im September 1945 die vierte Klasse der Hindenburgschule in Bad Berneck an der heutigen Bundesstraße 303. Die Lehrerin war damals Mutter Ingeborg Meinhof. „Ich saß Ulrike schräg gegenüber. Wir waren 35 bis 40 Buben und Mädchen, darunter viele Flüchtlingskinder.“ Ihre Schulfreundin sei „sehr couragiert und selbstbewusst“ gewesen, „das war eine Kämpfernatur“. Nach der Schule sei man gemeinsam auf dem Schlossberg herumgeklettert oder habe Räuber und Gendarm gespielt.

Christliche EinstellungUlrike Meinhof sei auch Mitglied in der evangelischen Gemeindejugend gewesen. „Die war sehr christlich eingestellt“, erinnert sich die Zeitzeugin. Die 30 Mädchen trafen sich einmal pro Woche zur Singstunde, spielten miteinander oder gingen zum Wandern.In der Eisenleite 41 wohnten die drei Meinhofs und Renate Riemeck, eine Freundin der Mutter, in einer kleinen Kellerwohnung. „Das war ganz bescheiden: ein paar Betten, ein Ofen zum Kochen und Heizen. Ich habe ihnen manchmal Gemüse gebracht“, blickt Herrmannsdörfer zurück.

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