Außergewöhnlicher Transport Auf 54 Reifen durchs Kulmbacher Land

red

Mit Hilfe von 630 PS transportiert ein gewaltiger Laster seine Fracht gerade durch die Region. Er hat ein übergroßes Stahlbauteil für eine Windkraftanlage geladen. Für den Fahrer ist die Fahrt echte Schwerstarbeit.

 
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Bamberg / Stadtsteinach - Erster Gang. Der Motor des Mercedes Actros heult auf. Trotzdem geht es nur im Schneckentempo voran. Und das ist gut so. Denn der 630 PS starke Laster transportiert eine schwere Fracht. Ein übergroßes Stahlbauteil für eine Windkraftanlage in Tanna-Schilbach (Thüringen). Das Monstrum auf dem Tieflader fordert dem Fahrer alles ab. Jede Kurve kann zum Hindernis werden, an manchen Stellen ist die Fahrt Zentimeterarbeit. Ab und an müssen sogar Verkehrsschilder abgebaut werden. Sonst gäb es kein Durchkommen. Ein Nadelöhr auf der mehrtägigen Reise: Stadtsteinach mit seiner diffizilen Ortsdurchfahrt.

Doch der Reihe nach. Das Bauteil muss in den Saale-Orla-Kreis. Dort, in Tanna-Schilbach, ist ein großer Windpark entstanden. Das neue Windrad komplettiert den Komplex mit insgesamt 13 Konvertern vom Typ Enercon E-138. Diese Windmühlen sind Riesen: Die Nabenhöhe beträgt 110 Meter. Entsprechend ausladend sind die Bauteile.

Ihr Transport ist eine logistische Meisterleistung. Das fängt schon weit vor der eigentlichen Fahrt an - bei der Routenplanung: Mit einer Länge von 40,5 Metern ist das Gespann ein Gigant. Seine Breite und Höhe beträgt jeweils 4,99 Meter, das Gesamtgewicht des Zuges liegt bei rund 137 Tonnen, die von 54 Reifen getragen werden. Da kann längst nicht jede Brücke befahren werden, und auch die meisten Unterführungen sind zu niedrig, als dass der Riese sie passieren könnte.

Deshalb hat der Transporteur schon viel Vorarbeit leisten müssen. Schon Wochen vor der Fahrt hat er eine Route gesucht, die sich für das außergewöhnliche Fuhrwerk eignet. Die Diretissima funktioniert keinesfalls: Zu viele Passagen, die ein Durchkommen unmöglich machen. Also gleicht die Route durch Oberfranken eher einem Zick-Zack-Kurs denn einer schnurgeraden Strecke von A nach B.

Begonnen hat die Reise im Bamberger Hafen: Dort übernimmt der Sattelzug das Bauteil – ein Stück für einen Windmühlen-Mast. Nicht etwa über die Autobahn A 70, sondern über die Staatsstraße 2190 geht es nach Scheßlitz. Der Würgauer Berg mit seinen berüchtigten Kurven und seiner Steigung fordern dem Brummi-Fahrer alles ab. In Roßdorf am Berg biegt der Konvoi auf die Autobahn A 70 ein, die er in Stadelhofen wieder verlässt. Von dort an geht es weiter über die Staatsstraße nach Azendorf und Kasendorf. Wenige Kilometer vor Melkendorf ist die erste Etappe geschafft.

Der Konvoi parkt am Rothen Hügel, ehe in der Nacht seinen Weg fortsetzt. Dann geht es weiter bis nach Kulmbach. Von der Nordumgehung aus biegt man ab in Richtung Kronach, um dann rechter Hand nach Grafendobrach und Zettlitz zu schwenken.

Nach Stadtsteinach erreicht der Tross Untersteinach, um seinen Weg fortzusetzen über Kupferberg nach Marktleugast und Helmbrechts. Via Münchberg, Hof und Hirschberg erreicht man dann die Landesgrenze Thüringen und das Endziel Tanna -Schilbach.

Für die gesamte Strecke von rund 160 Kilometer im bayerischen Teil der Route sind vier Tage angesetzt. Pro Nacht wird eine Fahrtstrecke von 50 Kilometern angestrebt: „Das dürfte realistisch sein,“ sagt Hauptkommissar Michael Müller, Sachbearbeiter Verkehr bei der Polizeiinspektion Hof. Er begleitet mit einigen Kollegen den Transport auf der bayerischen Seite bis zur Landesgrenze. Es fahren eine Streife der Polizei sowie drei Verwaltungshelfer mit sogenannten BF-4-Wagen mit. Diese modernen Begleitfahrzeuge können in alle vier Richtungen elf verschiedene Verkehrszeichen abstrahlen und damit den Transport sichern. Insgesamt sind rund ein Dutzend Helfer mit im Einsatz.

Denn die Sicherheit hat bei einem Transport wie diesem größte Priorität. Deshalb wählt man auch ein nächtliches Zeitfenster von 21 Uhr bis 6 Uhr morgens für die Reise – damit man sich mit möglichst wenigen anderen Fahrzeugen in die Quere kommt. Die nächtliche Corona - Ausgangssperre erleichtert das Vorhaben zusätzlich: Die Straßen sind leer.

Neuralgischer Punkt der Tour ist eine Etappe, bei der der Schwerlasttransport im Bereich Hof eine 1,7 Kilometer lange Teilstrecke der B 15 ab der Abzweigung Pirk bis zur Exner-Kreuzung entgegen der Fahrtrichtung befahren muss.

Aber auch die Tour durch den Landkreis Kulmbach ist nicht „ohne“: Hier geht es besonders eng zu in Kasendorf. Noch schwieriger: Stadtsteinach mit seiner verzwickten Ortsdurchfahrt. Die teils kleinen Kurvenradien am Marktplatz erfordern es, weit in die Gegenfahrbahn auszuholen. Auch die Engstelle beim Heimatmuseum treibt dem Fahrer die Schweißperlen auf die Stirn. Dort kann man nicht einmal auf den Gehsteig ausweichen, da er vor dem Museum allenfalls 50 Zentimeter breit ist. Die andere Seite begrenzt eine hohe Steinmauer.

Aber: Mit akribischem Fingerspitzengefühl meistert der Trucker auch dieses Nadelöhr. Er ist kein heuriger Haase: Ron Welling lenkt schon über die Hälfte seines Lebens Schwertransporte. Ihn reizt die Herausforderung: „Das ist eine große Verantwortung, so einen großen Zug zu bewegen. Da braucht man Genauigkeit und einen kühlen Kopf“, sagt der 45-jährige Fahrer. Er muss akribisch genau arbeiten, sonst wird es schnell teuer. Wenn es besonders eng ist, müssen die Männer aus dem Begleittross schon mal störende Verkehrsschilder abbauen. Oder der Fahrer das ganze Gespann hydraulisch absenken.

Kopfzerbrechen macht dem Transporteur das kritische Wetter. Immer wieder schneit es. Doch der Mercedes hat dank zweier angetriebener Hinterachsen eine gute Traktion. „ Ich war überrascht, wie gut geräumt und gestreut die Fahrbahnen waren,“ sagt Fahrer Ron. Und das ist auch gut so. Denn bei schneebedeckter Straße hätte der Konvoi die starken Steigungen und Gefälle am Kirchberg nicht bewältigen können. red

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