Aus Angst vor Altersarmut Angestellte des Freistaats legen für einen Tag die Arbeit nieder

Von Thorsten Gütling
Nach Trockau, in die Waschhalle der Autobahnstraßenmeisterei, hat die Gewerkschaft Verdi gerufen. Weil der Freistaat seine Angestellten nur besser bezahlen will, wenn sie gleichzeitig zu Abzügen bei der Altersversorgung bereit sind. Viele fürchten sich vor Altersarmut. Foto: red

Der Gewerkschaft Verdi ruft zum Warnstreik. In Trockau kommen Straßenmeister, Sekretärinnen und Schlossführer zusammen. So verschieden sie sind: Was sie eint, ist die Angst, im Alter am Hungertuch zu nagen. Nicht wenigen sieht man an, wie ihnen die Arbeit im Laufe der Jahre zugesetzt hat.

 
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Rote Trillerpfeifen und Menschen in leuchtend gelben und orangenen Jacken. Auf den Biertischen Weißwürste und Brezen. Es wird gestreikt.

Die Gewerkschaft Verdi hat die Angestellten des Freistaats Bayern für einen Tag zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Weil der Freistaat seine Angestellten immernoch um über drei Prozent schlechter bezahlt als Bund und Kommunen. Weitere Streiks könnten folgen. Wenn der Freistaat bei seiner Forderung bleibt, dass es Tariferhöhungen nur im Gegenzug für Abzüge bei der Altersversorgung gibt. Dann droht Altersarmut, sind sich hier alle einig.

Straßenmeister und Schlossführer geeint

Gut 80 Angestellte sind nach Trockau gekommen. Zur Autobahnmeisterei. In der Waschhalle sitzen sie vor weiß-gekachelten Wänden und Neonröhren. Unter ihnen nicht nur Straßenmeister, sondern auch Sekretärinnen der Uni Bayreuth, Förster und Schlossführer.

So wie Erna Brodocz und Kristin Nürnberger. Normalerweise führen sie Besucher durch das Opernhaus und das Alte Schloss in der Eremitage. Heute warten die Touristen vergebens. Weil es ein Witz sei, wie Schlossführer verdienten, sagen beide. "Wir verdienen so schlecht, dass es uns sogar wurscht ist, wenn der uns wegen des Streiks als erste vor die Tür setzt", sagen sie.

Bei 2500 Euro ist Schluss

Mehr als 2500 Euro Brutto gebe es selbst in der höchsten Gehaltsstufe nicht. Dafür könnte sie zwei abgeschlossene Studiengänge vorweisen. Geschichte und Archäologie zum Beispiel. Warum sie sich überhaupt für den öffentlichen Dienst entschieden hätten? Es sollte ein Sprungbrett sein. Soll sich gut im Lebenslauf machen. Beide wollen irgendwann in die freie Wirtschaft wechseln. In den Tourismus. So würden das fast alle in der Branche machen. Für Bayerns Schlösser blieben auf Dauer nur die zweitbesten Köpfe.

Einen Tisch weiter sitzen bärtige und furchige Gesichter. Wind und Wetter haben ihre Spuren hinterlassen. Straßenmeister sei ein Knochenjob, sagen sie. Dass sie nicht auch mit 60 in Rente gehen könnten, wie die Kollegen der Polizei, sei ungerecht. Nicht selten klingle bei schwerem Schneefall noch in der Nacht das Telefon. Dann heißt es Ausrücken zum Winterdienst, auch wenn eine Acht-Stunden-Schicht bereits in den Knochen stecke. Das Schlimmste, sagen die Straßenmeister, sei die Gefahr "abgeschossen" zu werden. Damit ist die ständige Unfallgefahr gemeint. Wie russisches Roulette sei das jeden Tag. Man könne froh sein, wenn man abends heil nach Hause komme.

Arbeit ist wie russisches Roulette

Reinhold Bauernschmidt hat das selbst schon erlebt. Bei Arbeiten auf der Autobahn sei ihm ein Lastwagen über den Fuß gefahren. Der Fuß sei nicht gebrochen, sondern gesplittert gewesen. "Und mit dem kaputten Fuß soll ich bis 67 Arbeiten", sagt er. Warum Polizisten mit 60 Jahren in den Ruhestand dürfen und Straßenmeister nicht, versteht hier keiner.

Und dann noch die Sache mit dem Nachtzuschlag. Ab 20 Uhr habe es den mal gegeben. Mittlerweile aber erst ab 21 Uhr. Es seien die Kleinigkeiten, von denen die Öffentlichkeit gar nichts mitbekomme. Es sei jetzt an der Zeit, endlich mal aufzustehen. An denen, die sitzenbleiben, wird hier kein gutes Haar gelassen. Schmarotzer seien das. Weil sie von dem, was die Streikenden erwirken, auch profitieren.

Bandscheiben kaputt, Tennisarm

Ein paar Meter weiter sitzt Klaus Zahn. Gezeichnet ist auch er. Bandscheiben kaputt, Tennisarm. Zahn arbeitet im Staatsforst, rund um den Schneeberg. Das schlimmste sei, den ganzen Tag eine sieben Kilo schwere Motorsäge rumzuschleppen. Seit 37 Jahren mache er das jetzt. Solange habe er in die Altersversorgung eingezahlt. Und jetzt solle er davon etwas abgeben, nur um annähernd genauso viel Geld zu verdienen, wie die Angestellten von Bund und Kommunen. Eines Tages ein Haus zu kaufen, sei für ihn schon heute völlig undenkbar.

Wenn der Freistaat mit seiner Forderung durchkomme, blieben den Angestellten im Alter 43 Prozent ihres heutigen Lohns, rechnet Oliver Gschwender vom Verdi-Landesvorstand aus. "Da sind dann paar Sachen weg: Auto, Urlaub, eine große Wohnung." In der Halle. Buhrufe, Klopfen, Pfiffe. "Das geht natürlich nicht", sagt Zahn. "Deswegen bin ich heute hier."

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