Auch CSU-Chef Markus Söder ist sich dessen bewusst: "Progressive Mehrheiten sind linke Mehrheiten", sagt er zum Wahlkampfabschluss. "Wir wollen aber kein linkes Europa, wir wollen ein bürgerliches Europa." Daher ende der Wahlkampf nicht nach der Schließung der Wahllokale. "Er geht dann erst richtig los. Wir kämpfen für dich, auch nach dem Sonntag", ruft Söder und setzt noch einen drauf: "Es ist patriotische Pflicht, am Sonntag für Bayern zu votieren."
2. MACRON SAGT NEIN
Vor allem die Liberalen werden sich zieren, denn sie wollen ein Bündnis mit der Partei LREM des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der lehnt aber die Forderung der großen Parlamentsfraktionen ab, dass nur einer ihrer Spitzenkandidaten Kommissionschef werden soll. Macron will, dass die Staats- und Regierungschefs auswählen dürfen. EVP, Sozialdemokraten und Grüne wähnen sich noch am längeren Hebel: Am Ende muss das Parlament den Kommissionschef bestätigen.
EVP-Chef Joseph Daul fasst es so zusammen: "Das Parlament, das sind die Bürger Europas, die am Sonntag zur Wahl gehen." Für sie müsse Weber so schnell wie möglich Kommissionschef werden. Und sollte das nicht reichen, vertraue die EVP auf die "kluge Führung" von Merkel. Wie auch immer es ausgeht. Es droht ein Machtkampf nach der Wahl bis hin zur Blockade. Eine Theorie in Brüssel ist, dass es am Ende einen - anderen - Kompromisskandidaten geben wird. Schlecht für Weber.
3. DIE WIDERSACHER WARTEN
In dieser Kulisse drängelt es sich bereits - es sind viele Namen im Umlauf. Eine Kostprobe: der französische Brexit-Unterhändler Michel Barnier. Die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die zum liberalen Spitzenteam gehört. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Und natürlich Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die trotz aller Dementis und ihrer erneut unüberhörbaren Unterstützung in München weiter in vielen Hinterköpfen spukt: "Ich werde mich mit allem, was ich kann, dafür einsetzen", verspricht sie in München. Weber sei "der richtige Mann für unsere Zeit: Wir brauchen Brückenbauer und nicht Spalter". Vielleicht haben am Ende aber doch die Brüsseler Diplomaten recht. Sie sagen, es könne auch jemand anderes werden. Trotzdem: Viele gehypte Konkurrenten sind kein Vorteil für Weber.
4. BLACKBOX PERSONALPAKET
Der Kommissionschefposten ist Teil eines komplexen Personalpakets. Gesucht werden auch Nachfolger für EU-Ratschef Donald Tusk, für die Außenbeauftragte Federica Mogherini, für Parlamentspräsident Antonio Tajani und für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Um die EU zusammenzuhalten, müssen nicht nur Parteien, sondern auch Regionen berücksichtigt werden. Es sollen so viele Frauen wie Männer dabei sein. Das bedeutet: Würde Weber Kommissionschef, käme wohl kein anderer nordeuropäischer Mann zum Zuge. Rutte etwa könnte nach dieser Logik nicht Tusk-Nachfolger werden. Kandidaten aus dem Osten sind rar. Gehandelt wird der Kroate Andrej Plenković als Ratschef. Aber der gehört wie Weber zur EVP und ist eben auch ein Mann. Das spräche für Vestager als Kommissionschefin. Schlecht für Weber.
5. ES MUSS SCHNELL GEHEN
Eine in Brüssel gern ventilierte Theorie ist, dass Weber nur eine Chance hat, wenn er binnen Stunden nach der Wahl am Sonntag eine Mehrheit hinter sich scharen kann - bevor am Dienstagabend die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel über das Personalpaket beraten. Zuvor suchen die Fraktionschefs im EU-Parlament am Dienstagvormittag eine gemeinsame Linie.
Natürlich weiß auch der Stratege Weber um die gebotene Eile und macht daraus eine moralische Wahlkampffrage: "Wenn es zum ersten Mal in der Geschichte Europas gelingt, dass ein frei gewählter Abgeordneter Kommissionspräsident wird, wie es im Bundestag normal ist (...), wenn das jetzt in Europa gelingen würde, wäre das ein starkes Symbol für ein demokratisches Europa in der Hand der Menschen."