In Myrus’ unterirdischem Kommandostand in der Oberen Stadt droht Gefahr von SS-Offizieren, die aus Bayreuth abkommandiert worden sind. Es sind unberechenbare Fanatiker, die noch Verstärkung erwarten. Sie pochen auf strikte Einhaltung des Verteidigungsbefehls. Myrus verschiebt die Entscheidung auf eine nächtliche Lagebesprechung um 23 Uhr.
Hoepfel und Neubauer wollen Stadt übergeben
Das Krisentreffen im Fackelschein verläuft hochdramatisch. Kreisamtsleiter Karl Schneider, Stellvertreter Konrad Kneitz sowie der Studienrat a.D. Fritz Hoepfel und der Luftschutzführer Wilhelm Neubauer sprechen sich trotz der Gefahr, liquidiert zu werden, für die kampflose Übergabe Kulmbachs aus. Myrus greift nicht ein, lässt die Entwicklung treiben. Auch die SS-Leute greifen nicht ein. Kneitz flieht mit seiner Frau durch den Buchwald nach Fölschnitz. Schneider setzt sich mit seiner Familie auf Fahrrädern nach Wunsiedel ab. Drei Tage später kehrt er freiwillig nach Kulmbach zurück und stellt sich der US-Militäradministration.
Nach dem Reißaus der NS-Paladine löst sich der Volkssturm von selbst auf. Kulmbacher Frauen räumen die Panzersperren zur Seite und hängen Betttücher aus den Fenstern. Wie massiv die Amerikaner selbst auf symbolischen Widerstand reagieren, zeigt der Tag vorher: Auf eine einzige Abwehrsalve der SS-Leute auf der Plassenburg werfen Kampfflieger zwei Sprengbomben ab, die den Nordflügel und den Glockenturm treffen und drei Tote fordern.
Morgens um 9 Uhr rollen US-Panzer an
Kulmbachs D-Day ist der 13. April 1945, morgens 9 Uhr: Eine erste Panzerspitze des 55. Infanterie Bataillons der 11. US-Panzerdivision stößt über die Felder von Baumgarten und Oberndorf nach Oberpurbach vor und bringt fünfzig Panzer in Stellung, die ihre 77-Millimeter-Kanonen auf die Stadt richten. Weitere Kettenfahrzeuge werden beim Haideknock (Petzmannsberg) und auf der Höhe südlich von Mangersreuth zusammengezogen. Um 10 Uhr überfliegt ein Aufklärungsflugzeug die Stadt, um ungeöffnete Panzersperren und Widerstandsnester auszuspähen. Bei Problemen werden – wie die Tage vorher in Küps, Kronach und Nordhalben – bei der 71. US-Infantrie Division 105-Millimeter-Haubitzen angefordert. Ein Beschuss der Stadt mit Phosphorgranaten hätte ein Inferno unter den 13 000 Bewohnern und 5 000 Flüchtlingen ausgelöst, von der Zerstörung des historischen Stadtkerns ganz abgesehen. Um 11.30 Uhr rollen die ersten Shermans-Panzer über Unterpurbach und den Schwedensteg in die Innenstadt ein. Die Stadt war „menschenleer und totenstill“, hält Fritz Hoepfel in seiner Chronik fest.
Landrat Kaiser mit weißer Fahne im Jeep
Im Landratsamt stoßen die Amerikaner auf stellvertretenden Landrat Kaiser, den sie auffordern, den Kampfkommandanten herbeizuführen. Die psychische Zerreißprobe der letzten Stunden hat bei Myrus ihre Spuren hinterlassen: Er ist alkoholisiert und kaum ansprechbar. Auf dem Markt streckt er dem US-Commander die Hand hin, doch der schlägt sie ab und zieht ihm die Pistole aus dem Futteral. Myrus setzt seine Unterschrift unter ein Papier. 12.30 Uhr hat die Stadt kapituliert. Bevor die Burg übergeben wird, kommt es noch zu einer hollywoodreifen Szene: Der Landrat wird auf die Motorhaube eines Jeeps gesetzt. Man drückt ihm einen Stab, an den ein Fetzen weißer Stoff gebunden ist, in die Hand. Darauf wird er ans Tor der Plassenburg gekarrt, wo ihm ein Vertreter der Organisation Todt die Burg übergibt. Am frühen Nachmittag verlassen die Kulmbacher ihre Luftschutzkeller. Die GIs durchsuchen die Häuser. Um 18 Uhr ist die Säuberung beendet, über dem Kulmbacher Rathaus wehen die Stars und Stripes.
Info: Wolfgang Schoberth, wird bei der Eröffnung der Ausstellung „70 Jahre Kriegsende in Kulmbach“ am 13. April, 17 Uhr, im Badhaus das einführende Referat halten.