Am 13. April befreiten die Amerikaner Kulmbach Kulmbach: Frauen räumten Panzersperren weg

Von Wolfgang Schoberth

Am 13. April vor 70 Jahren rückten die Amerikaner in Kulmbach ein und befreiten die Stadt von der Naziherrschaft. Gespenstische Szenen gingen diesem Tag voraus. Am Kriegsende drohten die Bombardierung der Stadt und standrechtliche Exekutionen durch die SS. Es waren die 48 dramatischsten Stunden in der neueren Geschichte der Stadt.

 
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„Städte müssen bis zum Äußersten verteidigt und gehalten werden. Für die Befolgung dieses Befehls sind die Kampfkommandanten persönlich verantwortlich. Handeln sie dieser soldatischen Pflicht zuwider, so werden sie wie alle zivilen Personen zum Tode verurteilt“, so der Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht am 10. April 1945. Der Kampfkommandant in Kulmbach heißt seit Februar 1945 Kurt Myrus. Der 48-jährige Oberstleutnant gilt als „scharfer Offizier“. Er soll die „Festung Kulmbach“ in einer militärisch hoffnungslosen Situation vor den heranrückenden US-Verbänden verteidigen. Als Gefechtsstand wählt Myrus den Felsenkeller der Gaststätte Rieß in der Oberen Stadt 9 – heute Tasso – der durch einen Mauerdurchbruch mit dem Nachbarkeller verbunden ist. Die Keller sind zugleich Luftschutzraum für 700 Einwohner.

Das letzte Aufgebot Volkssturm

Als Kampfkommandant befehligt er den Volkssturm, das letzte Aufgebot. In Kulmbach besteht das Bataillon aus 1000 Mann, Hitlerjungen im Alter zwischen 14 und 17, Luftwaffenhelfern, Meldegängern, verwundeten Soldaten. Für den Einsatz vorbereitet wird der Volkssturm von Oberst d.R. Konrad Hofmann und einem SS-Sturmbannführer. Für den Kampf Mann gegen Mann werden in der Innenstadt Hauseingänge und verwinkelte Gassen ausgebaut. Auf den Einfallsstraßen nach Kulmbach werden Panzersperren errichtet. Sie sind militärisch absolut wirkungslos, doch psychologisch beim Angriff der US-Verbände verheerend.

Am 12. April 1945 spitzt sich die Lage zu. Die US-Verbände stehen nur noch wenige Kilometer vor der Stadt, Tieffliegerangriffe erfolgen in kurzen Abständen. Der Volkssturm erhält den Befehl, Kulmbach zu halten, Ersatztruppen von Berneck seien im Anmarsch. Am Nachmittag erfolgt jedoch eine überraschende Wende: Kreisleiter Fritz Schuberth verkündet, dass die Stadt nicht verteidigt werde – und bringt sich mit seiner Frau und zwei Kindern im Guttenberger Hammer in Sicherheit. Ob dies feige, verdienstvoll zum Wohl der Stadt oder höchst riskant gewesen ist, darüber lässt sich streiten.

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SS steht treu zum Nazi-Regime

Schuberth selbst hat späterer stets auf die Order des Gauleiters Fritz Wächtler in Bayreuth verwiesen, die Parteispitzen sollen sich ins Grenzhotel Herzogau bei Waldmünchen im Bayerischen Wald absetzen. Makaber nur, dort wird Wächtler am 19. April wegen „Verlassens der Befehlsstelle“ kurzer Prozess gemacht. Sein Erzrivale Ludwig Ruckdeschel lässt ein 35-köpfiges SS-Kommando aufziehen. Wächtler wird aus dem Hotel geholt, vor den nächsten Baum gestellt und erschossen.

In Myrus’ unterirdischem Kommandostand in der Oberen Stadt droht Gefahr von SS-Offizieren, die aus Bayreuth abkommandiert worden sind. Es sind unberechenbare Fanatiker, die noch Verstärkung erwarten. Sie pochen auf strikte Einhaltung des Verteidigungsbefehls. Myrus verschiebt die Entscheidung auf eine nächtliche Lagebesprechung um 23 Uhr.

Hoepfel und Neubauer wollen Stadt übergeben

Das Krisentreffen im Fackelschein verläuft hochdramatisch. Kreisamtsleiter Karl Schneider, Stellvertreter Konrad Kneitz sowie der Studienrat a.D. Fritz Hoepfel und der Luftschutzführer Wilhelm Neubauer sprechen sich trotz der Gefahr, liquidiert zu werden, für die kampflose Übergabe Kulmbachs aus. Myrus greift nicht ein, lässt die Entwicklung treiben. Auch die SS-Leute greifen nicht ein. Kneitz flieht mit seiner Frau durch den Buchwald nach Fölschnitz. Schneider setzt sich mit seiner Familie auf Fahrrädern nach Wunsiedel ab. Drei Tage später kehrt er freiwillig nach Kulmbach zurück und stellt sich der US-Militäradministration.

Nach dem Reißaus der NS-Paladine löst sich der Volkssturm von selbst auf. Kulmbacher Frauen räumen die Panzersperren zur Seite und hängen Betttücher aus den Fenstern. Wie massiv die Amerikaner selbst auf symbolischen Widerstand reagieren, zeigt der Tag vorher: Auf eine einzige Abwehrsalve der SS-Leute auf der Plassenburg werfen Kampfflieger zwei Sprengbomben ab, die den Nordflügel und den Glockenturm treffen und drei Tote fordern.

Morgens um 9 Uhr rollen US-Panzer an

Kulmbachs D-Day ist der 13. April 1945, morgens 9 Uhr: Eine erste Panzerspitze des 55. Infanterie Bataillons der 11. US-Panzerdivision stößt über die Felder von Baumgarten und Oberndorf nach Oberpurbach vor und bringt fünfzig Panzer in Stellung, die ihre 77-Millimeter-Kanonen auf die Stadt richten. Weitere Kettenfahrzeuge werden beim Haideknock (Petzmannsberg) und auf der Höhe südlich von Mangersreuth zusammengezogen. Um 10 Uhr überfliegt ein Aufklärungsflugzeug die Stadt, um ungeöffnete Panzersperren und Widerstandsnester auszuspähen. Bei Problemen werden – wie die Tage vorher in Küps, Kronach und Nordhalben – bei der 71. US-Infantrie Division 105-Millimeter-Haubitzen angefordert. Ein Beschuss der Stadt mit Phosphorgranaten hätte ein Inferno unter den 13 000 Bewohnern und 5 000 Flüchtlingen ausgelöst, von der Zerstörung des historischen Stadtkerns ganz abgesehen. Um 11.30 Uhr rollen die ersten Shermans-Panzer über Unterpurbach und den Schwedensteg in die Innenstadt ein. Die Stadt war „menschenleer und totenstill“, hält Fritz Hoepfel in seiner Chronik fest.

Landrat Kaiser mit weißer Fahne im Jeep

Im Landratsamt stoßen die Amerikaner auf stellvertretenden Landrat Kaiser, den sie auffordern, den Kampfkommandanten herbeizuführen. Die psychische Zerreißprobe der letzten Stunden hat bei Myrus ihre Spuren hinterlassen: Er ist alkoholisiert und kaum ansprechbar. Auf dem Markt streckt er dem US-Commander die Hand hin, doch der schlägt sie ab und zieht ihm die Pistole aus dem Futteral. Myrus setzt seine Unterschrift unter ein Papier. 12.30 Uhr hat die Stadt kapituliert. Bevor die Burg übergeben wird, kommt es noch zu einer hollywoodreifen Szene: Der Landrat wird auf die Motorhaube eines Jeeps gesetzt. Man drückt ihm einen Stab, an den ein Fetzen weißer Stoff gebunden ist, in die Hand. Darauf wird er ans Tor der Plassenburg gekarrt, wo ihm ein Vertreter der Organisation Todt die Burg übergibt. Am frühen Nachmittag verlassen die Kulmbacher ihre Luftschutzkeller. Die GIs durchsuchen die Häuser. Um 18 Uhr ist die Säuberung beendet, über dem Kulmbacher Rathaus wehen die Stars und Stripes.

Info: Wolfgang Schoberth, wird bei der Eröffnung der Ausstellung „70 Jahre Kriegsende in Kulmbach“ am 13. April, 17 Uhr, im Badhaus das einführende Referat halten.

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