Euro-Notenbankchefs meutern Scharfe Kritik an EZB-Beschlüssen: Sparer als Hauptverlierer

Mario Draghi war selten unumstritten. Kurz vor seinem Abtritt als EZB-Präsident sind die Widerstände noch einmal besonders groß. Banken und Sparer müssen mit den Folgen des Zinstiefs noch lange leben.

 
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Frankfurt/Main - Die Kritik am erneut verschärften Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) nimmt zu - sowohl von Seiten der Banken als auch aus dem Kreis der Notenbankchefs der Euroländer.

"Der EZB-Rat hat nun ein sehr umfangreiches Paket beschlossen, um die Geldpolitik abermals zu lockern. Aus meiner Sicht ist er damit aber über das Ziel hinausgeschossen", sagte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann der "Bild"-Zeitung (Samstag). "Ein so weitreichendes Paket wäre ... nicht nötig gewesen." Die wirtschaftliche Lage sei "nicht wirklich schlecht". Kritik kam auch von den Notenbankchefs von Österreich und den Niederlanden, Robert Holzmann und Klaas Knot.

Die EZB hatte am Donnerstag nicht nur die Strafzinsen für geparkte Gelder von Banken von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent verschärft, sondern auch beschlossen, ab November frische Milliarden in Anleihenkäufe zu stecken - und das ohne zeitliche Begrenzung. Die Zinsen will die EZB solange auf Rekordtief halten, bis die Inflation sich nachhaltig dem Ziel von knapp unter 2,0 Prozent angenähert hat.

"Mit dem Beschluss, noch mehr Staatsanleihen zu kaufen, wird es für die EZB immer schwerer, aus dieser Politik auszusteigen", warnte Weidmann. "Die Nebenwirkungen und Finanzstabilitätsrisiken der sehr expansiven Geldpolitik nehmen zu, je länger sie dauert."

Der niederländische Zentralbankchef Knot kritisierte in einer Mitteilung: "Dieses breite Maßnahmenpaket, insbesondere die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe, steht in keinem Verhältnis zu den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen, und es gibt triftige Gründe, an seiner Wirksamkeit zu zweifeln." Es gebe weder die Gefahr einer Deflation, noch gebe es Anzeichen für eine Rezession.

Österreichs Notenbankchef Holzmann antwortete auf die Frage der Nachrichtenagentur Bloomberg, ob die Entscheidungen vom Donnerstag ein Fehler gewesen sein könnten: "Diese Idee ist einigen Leuten in den Sinn gekommen. Sie kam mir definitiv in den Sinn." Es sei an der Zeit, dass sich die EZB von den Negativzinsen verabschiede.

Schon der bisherige negative Einlagensatz von 0,4 Prozent war eine Milliardenbelastung für die Finanzbranche. Betrachtet man die Verschärfung des Negativzinses isoliert, lässt das die Belastung für Banken in Deutschland nach Berechnungen des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) von knapp 2,4 Milliarden Euro auf voraussichtlich knapp 3 Milliarden Euro jährlich steigen.

Etwas Entlastung verschafft die EZB den Instituten über Freibeträge: Ab dem 30. Oktober soll das Sechsfache der sogenannten Mindestreserve vom Negativzins verschont bleiben. Auf einer fixen Basis gerechnet würde das Experten zufolge Banken im Euroraum um 2,2 Milliarden Euro im Jahr entlasten, für die Institute in Deutschland würde sich der Strafzins um etwa 500 Millionen Euro jährlich verringern.

"Auch wenn der jetzt eingeführte Staffelzins eine gewisse Erleichterung bringt, werden die europäischen Banken weiterhin jedes Jahr Milliarden an die EZB als eine Art Strafsteuer zahlen müssen", hatte BdB-Präsident Hans-Walter Peters unmittelbar nach der EZB-Entscheidung erklärt.

Möglicherweise holen Banken die Kosten für den Negativzins darüber wieder herein, dass sie die Gebühren für ihre Dienstleistungen erhöhen. "Der ökonomische Druck auf die Banken wird auf jeden Fall immer größer", sagte Peters dem "Handelsblatt" (Freitag). Auf die Frage, ob er nun flächendeckend mit negativen Zinsen auch für Einlagen von Sparern rechne, antwortete Peters: "Das muss jede Bank für sich entscheiden. Aber ich kann das nicht ausschließen."

Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling zeigte sich "alarmiert" über die Zinsentwicklung im Euroraum. "Die Banken müssen handeln, wenn sie keine Verluste einfahren und überleben wollen", schrieb der Bankenaufseher in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin "Focus" (Samstag). Nach Wuermelings Einschätzung könnten Geldhäuser die Minuszinsen der EZB "bald an noch mehr Kunden weitergeben".

Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: "Girokonten kosten Geld, wie jede andere Dienstleistung auch", argumentierte Wuermeling. "Stabile Banken gibt es nicht zum Nulltarif." Seiner Meinung nach haben Deutschlands Banken aber auch "ein Effizienzproblem": "Zu viele Filialen, zeitaufwendige Prozesse, üppige Belegschaften und veraltete IT verbrauchen die Budgets. Allein mit höheren Gebühren ist es also nicht getan", mahnte Wuermeling.

An der expansiven Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum wird sich aller Voraussicht nach so schnell nichts ändern: Die designierte Nachfolgerin von EZB-Präsident Mario Draghi, die Französin Christine Lagarde, hat bereits deutlich gemacht, dass sie eine sehr lockere Geldpolitik auf absehbare Zeit für nötig hält. Die bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) sagte aber auch: "Wir müssen die negativen Folgen und Nebeneffekte im Blick behalten." Draghis achtjährige Amtszeit endet am 31. Oktober 2019.

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