Wunsiedel Mord an Mädchen: 40-köpfige Soko ermittelt

Die Wunsiedler legen weiße Rosen ab und stellen Kerzen auf. Foto: Florian Miedl

Noch gibt es keinen konkreten Tatverdacht gegen Kinder und Jugendliche der Wunsiedler Jugendhilfeeinrichtung. Fest steht aber, dass der oder die Täter aus dem Heim stammen müssen.

 
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Die schlimmsten Vermutungen scheinen sich zu bestätigen: Die ersten ausgewerteten Spuren im Fall des im Kinder- und Jugendhilfezentrum Sankt Josef in Wunsiedel getöteten zehn Jahre alten Mädchens deuten auf die Tatbeteiligung eines elfjährigen Jungen aus der Einrichtung hin. Dies teilte die Polizei am Freitagnachmittag mit. Die Bearbeitung der weiteren kriminaltechnischen Spuren könne noch einige Zeit, die Polizei spricht von möglicherweise mehreren Tagen, in Anspruch nehmen. Bei den Spuren könne es sich auch um DNA-Material handeln, so Polizeisprecherin Karina Liebl auf Nachfrage unserer Zeitung.

Die Anhörung des der Tatbeteiligung verdächtigten Kindes wird noch einige Zeit dauern. Nähere Informationen wollte die Polizei am Freitag angesichts des frühen Ermittlungsstadiums nicht mitteilen. „Natürlich dauern die Befragungen der Kinder im Heim und die kriminaltechnische Arbeit auch über die Osterfeiertage an“, sagt Karina Liebl. Noch am Freitag hatte Staatsanwalt Matthias Goers in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Polizeipräsidium Oberfranken mitgeteilt, dass es keinen konkreten Tatverdacht gegen eine oder mehrere Personen gebe. Tags zuvor hatten sich Gerüchte verdichtet, wonach zwei elf Jahre alte Kinder und ein 16-Jähriger in den Fokus der Ermittler geraten seien. Die Boulevardzeitung „Bild“ berichtete „aus Ermittlerkreisen“, dass ein Sexualdelikt im Raum stehe. Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigen dies bislang nicht.

Wie berichtet, fand eine Erzieherin am Dienstag um 8.45 Uhr ein zehn Jahre altes Mädchen leblos in ihrem Zimmer. Der sofort verständigte Notarzt konnte nur noch den Tod des Kindes feststellen. Schnell stand der Verdacht im Raum, dass das Mädchen keines natürlichen Todes gestorben war. Erste rechtsmedizinische Gutachten bestätigten dies, sodass sich Polizei und Staatsanwaltschaft schon frühzeitig festlegten, dass ein Tötungsdelikt vorliegt.

Wie unsere Zeitung aus Kreisen der Polizei erfahren hat, stammt das getötete Kind aus Wunsiedel oder der unmittelbaren Umgebung. Die Jugendhilfeeinrichtung unter der Trägerschaft der Katholischen Jugendfürsorge Regensburg bietet 89 Plätze. In den meisten Fällen haben Jugendämter aus ganz Deutschland veranlasst, dass die Kinder und Jugendlichen aus schwierigen Familienverhältnissen entfernt und in der pädagogischen Einrichtung auf das Leben vorbereitet werden. Die Kinder und Jugendlichen sollen in Wunsiedel ein möglichst „normales“ Leben führen können und besuchen auch die örtlichen Schulen. Zudem unterstützen Pädagogen und Psychologen verschiedener Fachrichtungen die Heimbewohner im Alltag.

40 Einsatzkräfte in der Soko Park

Mittlerweile ist die Sonderkommission, die mit der Aufklärung des Tötungsdeliktes betraut ist, auf 40 Einsatzkräfte mehrerer Polizeidienststellen gewachsen. Polizei und Staatsanwaltschaft teilen mit, dass die Beamten der Sonderkommission „umfassende Befragungen und Überprüfungen auch im sozialen Umfeld des Opfers durchführen. Außerdem werden alle Personen überprüft, die sich vor und zur Auffindezeit des Leichnams in dem Gebäude der Einrichtung aufgehalten haben.“ Konkret bedeutet dies, dass sich die Ermittlungen nach dem oder den Tätern auf die Menschen im Heim konzentriert. „Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass sich jemand unberechtigt von außen Zutritt zur Einrichtung verschafft hat“, heißt es in der Erklärung.

Zum Tatzeitpunkt befanden sich entgegen ersten Mitteilungen der Polizei längst nicht alle Kinder in den Wohngruppen; viele waren bei einer Ski-Freizeit. Diese kehrten am Karfreitag nach Wunsiedel zurück.

Während auf der einen Seite die Kriminalbeamten nach wie vor auf dem Heimgelände sind, um den oder die Täter zu ermitteln, kümmern sich Pädagogen und Psychologen um die teils traumatisierten Kinder. In der Einrichtung ist laut der Katholischen Jugendfürsorge Regensburg sofort ein Krisenteam gebildet worden, das sich um Kinder und Mitarbeiter kümmert. „Sie müssen in den kommenden Wochen und Monaten behutsam und individuell begleitet werden, damit sie das Ereignis verarbeiten können“, so Christine Allgeyer vom Heimträger. Inzwischen hat die KJF Mitarbeiter anderer Einrichtungen nach Wunsiedel beordert. Weiter arbeiten verschiedene Fachstellen wie ein Pastoralreferent, eine in der Trauer- und Sterbebegleitung ausgebildete Fachkraft und Traumapädagogen bei der Krisenintervention mit. Flankierend stehen die Stadt Wunsiedel und das Jugendamt dem Kinderheim Sankt Josef zur Seite.

Viele Wunsiedler wollen ihre Trauer ausdrücken. Weiße Rosen, ein Engel, Kerzen stehen am Hauseck zur Zufahrt zum Kinder- und Jugendhilfezentrum. Auch zwei jüngere Frauen mit zwei kleinen Kindern sind gekommen, um Kerzen abzustellen. „Das ist alles so furchtbar, wenn ich mir vorstelle, so ein junges Kind“, sagt eine der Mütter am Donnerstagnachmittag, als sie vor der Polizeiabsperrung steht. Ihre Freundin drückt aus, was wohl viele Menschen denken: „Eigentlich sollte man sich darauf verlassen können, dass ein Kind in einer solchen Einrichtung in Sicherheit ist. Und jetzt das. Wie kann so etwas passieren?“

Eine Frage, die wie so viele andere erst noch geklärt werden muss. Auch wenn ein erster Tatverdächtiger ermittelt ist und womöglich weitere am Tötungsdelikt Beteiligte sowie die Umstände des Geschehens vielleicht schon bald ermittelt sein werden, wird das Wunsiedler Kinder- und Jugendhilfezentrum noch lange Zeit an der Katastrophe zu tragen haben.

Für die Kinder, die hier eigentlich eine schöne Kindheit haben sollen, bleiben die furchtbaren Ostertage 2023 ein Leben lang als Tage des Schreckens in Erinnerung.

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