Wo die Seele der Glasdrücker wohnt

Von Moritz Kircher
Brigitte und Herbert Hadlich vor ihrem Haus in der Sonnigen Lehne in Weidenberg. Brigitte Hadlichs Eltern arbeiteten als Glasdrücker mit eigener Werkstatt in dem Haus. Ronald Wittek Foto: red

Brigitte Hadlich lebt in dem Haus, in dem sie auch aufgewachsen ist. Ihre Familie ist als Vertriebene aus Gablonz nach Weidenberg gekommen und hat sich in der Werkssiedlung in den 1950er-Jahren als Glasdrücker niedergelassen. Das Ehepaar Hadlich hat am äußeren Erscheinungsbild des Hauses fast nichts verändert, um dieses Andenken zu bewahren. Hinter der Haustür sind das fast ausgestorbene Handwerk von einst und die künstlerische Ader von Brigitte Hadlich zu einer einzigartigen Mischung verschmolzen.

Ein steiles Dach, kleine Fenster und ein Werkstattanbau - das Haus an der Sonnigen Lehne in Weidenberg sieht von außen heute noch so aus, als ob hinter den Mauern ein Glasdrücker den Ofen heizt und in der Glut kunstvolle Knöpfe, Lüsterbehänge und Knopfaugen für Plüschtiere herstellt. Ein Schild an der Tür gibt einen ersten Hinweis darauf, dass dem nicht mehr so ist. "Hadlich-Art" - heute ist hier das Künstleratelier von Brigitte Hadlich. "Warten Sie mal, ich habe da noch was", sagt die 62-Jährige und verschwindet im Haus. Kurz darauf kommt sie mit einem zweiten Türschild in der Hand wieder nach draußen. "Alfred Hübner - Glaswarenerzeuger" steht darauf. Das alte Firmenschild ihres Großvaters. "Das will ich irgendwann wieder anbringen."

"Dieses Haus hat eine gute Atmosphäre, eine Seele", sagt Hadlich. Sie geht mit dieser Seele behutsam um. Die Fenster mit den Fensterkreuzen sind noch die gleichen wie damals. Die Werkstatträume von einst sind natürlich angepasst auf die wohnlichen Bedürfnisse von Brigitte Hadlich und ihrem Ehemann Herbert. Aber in allen Räumen finden sich Details aus der Glasdrückerzeit. In der Küche steht ein kleiner Ofen aus den 1950er Jahren. Und an vielen Stellen im Haus findet sich Glasdekoration in allen Formen und Farben. "Glas ist hier allgegenwärtig", sagt Brigitte Hadlich. "Wenn es so glitzert ist es einfach schön."

Die Künstlerin bedauert, dass sich das Gesicht der Werkssiedlung, in der anfangs nur Werkstätten und Häuser der Glasdrücker gestanden haben, mit der Zeit sehr verändert hat. In den 1970er Jahren lief der Kunststoff dem Werkstoff Glas den Rang ab, und bald war es um die Kunst des Glasdrückens geschehen. Damit hatte in der Anfangszeit keiner gerechnet. "Wir haben damals gedacht, das geht hier ewig so weiter." Ein Foto aus dem Jahr 1954 zeigt die Baustelle von Hadlichs Elternhaus. Davor eine Frau mit Kinderwagen. Brigitte Hadlichs Mutter. "Ich nehme an, dass ich das im Kinderwagen bin."

In einem alten Fotoalbum hat sie noch ein paar Gruppenfotos von ihren Eltern und der Belegschaft. Mehr Bilder aus der Zeit gibt es nicht. "Die haben gearbeitet und gearbeitet", sagt Hadlich und lacht. "Da war keine Zeit für ein Selfie am Schleifstein." Einige dieser Schleifsteine bewahrt sie noch im Haus auf. "Das war eine kräftezehrende Arbeit, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann."

Schon als Kind hat sie das Leben im Haus genossen. Die Familie, die Angestellten, der Hund. "Da war immer was los. Hier wurde viel gearbeitet aber auch viel gefeiert." So war es eigentlich in der ganzen Werkssiedlung. Das Leben fand auf der Straße statt. Hier stand Familienbetrieb neben Familienbetrieb. Und in dem ganzen Trubel die kleine Brigitte. "Ich hatte als Kind immer zerschnittene Finger, weil ich mit den Glasscherben und Glasfäden gespielt habe."

Seit Jahrzehnten lebt das Ehepaar Hadlich nun schon in dem Haus. Doch selbst nach so langer Zeit entdecken sie noch Neues. Im Sommer haben sie ein kleines Gartenhäuschen gebaut. Beim umgraben haben sie Glasscherben und geschliffene Glassteine gefunden. "Früher hat man in der Werkstatt zusammengekehrt und den Kehricht in den Garten geschmissen", erklärt Herbert Hadlich den Fund. Seine Frau ergänzt: "Solches Zeug findet man hier in der Siedlung überall."

Besonders hat Brigitte Hadlich sich in ihrer Kindheit auf die Freitage gefreut. Dann war die Arbeitswoche vorbei und der Polierofen noch heiß. Dann haben ihre Eltern den Ofen zweckentfremdet und Räucherwürste darin gegrillt. "Dann war Wochenende", sagt sie. Der Ofen steht noch. Ein wenig entrümpelt und abgestaubt und er könnte glatt wieder in Betrieb gehen. Wieder Räucherwürste grillen, wie in der guten alten Zeit, das ist ein kleiner Traum von Brigitte Hadlich, den sie sich bald erfüllen möchte.

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