Cannabis am Steuer 3,5 Nanogramm THC – Was Experten zum neuen Grenzwert sagen

Michael Bosch

Wie viel THC Autofahrer im Blut haben dürfen, steht seit Kurzem fest. Fragen gibt es bei Konsumenten aber weiterhin. Wann ist der Grenzwert wieder unterschritten? Und was raten Experten?

 
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Der Konsum von Marihuana ist in Deutschland seit dem 1. April erlaubt. Kiffen am Steuer, das kann aber nach wie vor empfindliche Strafen nach sich ziehen. Foto: IMAGO / Panama Pictures

Rund zwei Monate herrschte Unsicherheit bei der Frage, mit wie viel THC im Blut man sich eigentlich ans Steuer setzen und Autofahren darf. Die Grenzwerte hat der Bundestag nun geregelt. THC (Kurzform für Tetrahydrocannabinol) ist für die berauschende Wirkung nach dem Konsum von Cannabis verantwortlich.

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Seit dieser Woche sind die Regelungen auch in Kraft. Das Bundesverkehrsministerium erklärte, das in Kraft getretene Gesetz schaffe Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Mit besonderen Regelungen für Fahranfänger und junge Fahrer werde ein Beitrag zur Verkehrssicherheit geleistet.

Maximal dürfen Autofahrer und -fahrerinnen einen Wert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter im Blut haben. In der Debatte rund um die Obergrenze wurde in den vergangenen Monaten immer wieder der Vergleich zum Alkohol gezogen. Auch die Expertenkommission, die den Grenzwert vorgeschlagen hat, hat das getan. Das Risiko sei demnach vergleichbar mit einem Alkoholwert von 0,2 Promille, heißt es.

Wie viel sind 3,5 Nanogramm THC - viele Fragen bleiben

Menschen, die Cannabisprodukte konsumieren, haben jetzt zwar Gewissheit, was die Obergrenze angeht. Aber Fragen gibt es dennoch:

  • Wann erreicht man den Grenzwert?
  • Wie lange ist man bekifft?
  • Wann kann man wieder Autofahren, wenn man einen Joint geraucht hat?
  • Muss ich Angst haben, wenn ich am Tag zuvor einen Joint geraucht habe und am nächsten Tag ins Auto steige?
  • Wie wird der Grenzwert künftig kontrolliert?

Wir fassen die wichtigsten Punkte zusammen:

Wie lange ist man nach einem Joint bekifft?

Cannabisprodukte berauschen, egal ob man sie raucht oder isst – daran besteht kein Zweifel. Wie lange sie jedoch wirken, hängt von mehreren Faktoren ab. Zum einen davon, wie konsumiert wird, wie häufig – und wie viel man zu sich nimmt.

Wer sich direkt nachdem er (oder sie) Marihuana geraucht hat ins Auto setzt, überschreitet den Grenzwert mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit. Da sind sich Experten einig. „Man geht davon aus, dass in den ersten zwei Stunden nach dem Konsum die psychoaktive Wirkung so hoch ist, dass man sich auf keinen Fall hinters Steuer setzen sollte“, sagt der Leiter des Instituts für Suchtforschung in Frankfurt, Bernd Werse. In dem Zeitraum sei es auch egal, ob man einen oder vier Joints geraucht habe.

Andere Experten gehen von einem ähnlichen Zeitkorridor aus: Wer gelegentlich konsumiere erreiche „in der Regel nach sechs bis sieben Stunden einen Wert“, der unter einem Milligramm THC liege, so Matthias Graw, Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Nach drei bis fünf Stunden können bereits Werte unter 3,5 Nanogramm pro Milliliter erreicht werden“, sagt der Mediziner. Er empfehle aber nach wie vor „eine Wartezeit von zwölf Stunden nicht zu unterschreiten“, ehe man wieder am Straßenverkehr teilnimmt.

Bedeutet: Wer am Abend zuvor einen Joint geraucht hat, muss sich eigentlich keine Sorgen machen. Aber: Umgekehrt ist es auch nicht auszuschließen, dass Personen, die abends einen Joint geraucht haben, aber morgens nüchtern zur Arbeit fahren, über dem Grenzwert liegen und bestraft werden.

Wie viel Nanogram THC sich nach dem Genuss eines Joints am nächsten Tag noch im Blut befinden, lässt sich nicht pauschal beantworten. „Ob man nach einem Zeitraum von vier, sechs, acht oder zehn Stunden wieder fahren kann, hängt stark davon ab, wie viel man konsumiert hat“, sagt Experte Werse. „Bei einer halbwegs normalen gerauchtem Cannabiskonsum – also zwischen einem und vier Joints – sind die meisten Menschen nach acht Stunden nicht mehr beeinträchtigt.“ Aber auch er rät dazu, lieber zwölf Stunden zu warten, ehe man wieder Auto fährt.

Beeinträchtigt THC überhaupt die Fahrtüchtigkeit?

Ja. Jakob Manthey vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg spricht davon, „dass akuter Cannabiskonsum die Fahrtüchtigkeit leicht einschränkt“. Das äußere sich unter anderem darin, dass die Geschwindigkeit weniger konstant gehalten werde und die Position auf der Fahrbahn stärker schwanke. „Daraus ergibt sich ein leicht erhöhtes Unfallrisiko“, so Manthey.

Ganz allgemein lässt sich sagen: Das Fahrverhalten unter dem Einfluss von THC ist sehr individuell und davon abhängig, wie häufig jemand konsumiert – und wann er oder sie zum letzten Mal konsumiert hat. Frequenz und Dosierung und die „daraus resultierender Gewöhnung“ seien entscheidend, sagt etwa Volker Auwärter. Er ist Laborleiter Forensische Toxikologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Zudem ist der zeitliche Verlauf der THC-Konzentration wesentlich komplexer als zum Beispiel bei Alkohol.“

THC wirkt im Körper anders als Alkohol. „Je mehr Alkohol ich trinke, desto höher wird die Blutalkoholkonzentration und umso stärker die Wirkung“, sagt Matthias Graw . „Für THC gibt es diesen Zusammenhang eben nicht.“ Deshalb sehen es viele Experten kritisch, dass immer wieder der Vergleich zu Alkohol gezogen wird.

Die Expertenkommision des Verkehrsministeriums, die den Grenzwert erarbeitet hat, zog den Vergleich des neuen Grenzwerts trotzdem. Aus ihrer Sicht entspricht er etwa 0,2 Promille Alkohol im Blut. Den Experten zufolge sei eine "sicherheitsrelavante Wirkung" ab einem Wert von 3,5 Nanogramm THC zumindest „nicht fernliegend“.

3,5 Nanogramm THC – ist das viel?

Kommt drauf an. In Fachkreisen ist von einem „konservativen“ Wert die Rede. Die Expertenkommission sah 7 Nanogramm THC als Wert an, ab der eine "Risikoerhöhung" beginne. Es sei jedoch schwer, einen allgemeingültigen Wert festzulegen, sagt Bernd Werse. Das hänge damit zusammen, dass die Toleranzbildung bei Cannabis deutlich stärker als beim Alkohol sei. Bedeutet: „Der THC-Wert kann bei Menschen, die regelmäßig – also täglich oder fast täglich – Cannabis konsumieren, sehr hoch liegen, ohne dass diese Menschen noch beeinträchtigt sind“, so Werse.

Jemand, der täglich Cannabis konsumiere, dessen letzter Joint aber schon einige Stunden zurückliege, könne „vielleicht noch sieben, acht oder elf Nanogramm THC im Blut“ haben. „Bei einem Reaktionstest würde er aber vermutlich nicht schlechter abschneiden, als jemand der gar nicht konsumiert hat“, argumentiert auch Jakob Manthey. Aus Sicht des Suchtforschers sind die 3,5 Nanogramm aber noch ein „vernünftiges Maß“. Denn Ausfallserscheinungen gebe es so „nur in absoluten Ausnahmefällen“. Studien gehen sogar davon aus, dass es erst ab 7 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum ein erhöhtes Unfallrisiko gibt. Volker Auwärter nennt den Wert einen „guten Kompromiss“.

Auf der anderen Seite gibt es auch Stimmen, die den Wert insgesamt kritisch sehen. Er verführe Gelegenheitskonsument eventuell dazu, sich früher als eigentlich gut für sie sei, wieder Auto zu fahren – so die Befürchtung von Matthias Graw. „Die Menschen, die regelmäßig konsumieren, profitieren hingegen kaum von der Grenzwertanhebung“, weil sie den Grenzwert „nicht selten überschreiten werden“. Das bemängelt auch der deutsche Hanfverband.

Der ADAC hält die nun eingeführte Grenze für plausibel. „Es gibt bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen der Verkehrssicherheit dadurch beeinträchtigt werden“, hieß es in einer Stellungnahme für die Beratungen im Bundestag. Menschen, die Cannabis konsumieren, sollten aber keinen falschen Eindruck gewinnen. Es müsse nach wie vor die Prämisse gelten: „Wer fährt, kifft nicht!“ Für die Deutsche Polizeigewerkschaft geht der neue Grenzwert in die falsche Richtung. Die alte Schwelle von 1 Nanogramm sei maßvoll und hoch valide, mahnte sie in einer Stellungnahme. „Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit wäre vielmehr eine Anpassung der Alkoholgrenzwerte erforderlich gewesen.“

Wie lange kann THC nachgewiesen werden?

Im Blut kann THC meist nur 12 bis 72 Stunden lang nachgewiesen werden, Abbauprodukte des Wirkstoffs jedoch deutlich länger: Bei regelmäßigem Konsum kann der Bluttest sogar mehrere Wochen nach der letzten THC-Aufnahme noch positiv ausfallen. Auch durch Urin- und Haarproben lässt sich Cannabis-Konsum nachweisen: Bei Dauerkonsum im Urin bis zu drei Monate, in den Haaren teils sogar bis zu einem Jahr.

Um sicher zu gehen, dass nur der „aktuelle“ Konsum im Straßenverkehr eine Rolle spielt, soll die Polizei mit sogenannten Speichelvortests überprüfen, ob jemand unter Drogeneinfluss steht. Experten halten das durchaus für einen gehbaren Weg: „Wenn der letzte Konsum lang genug zurück liegt – etwa acht Stunden – wird der Test nicht anschlagen, sodass dann kein Bluttest mehr durchgeführt werden würde“, sagt Bernd Werse. Drogenschnelltests gibt es im Übrigen auch auf andere Stoffe wie LSD.