Wie Krebs entsteht Sechs Mythen über Krebs – wahr oder falsch?

Regine Warth

Nicht immer ist klar, warum Menschen an Krebs erkranken. Vor allem in den sozialen Medien kursieren viele Erklärungsversuche und Mythen. Welche wahr sind und was Unsinn ist, erklären Stuttgarter Ärzte – auch vor Publikum am 21. September.

 
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Haben Menschen mit Tätowierungen ein erhöhtes Krebsrisiko? Eine Studie aus Schweden legt das nahe. Foto: imago/Westend61/Zeljko Dangubic

Wer an Krebs erkrankt, hat Angst. Zählt eine Tumorerkrankung doch nach Herz-Kreislauf-Leiden zu den zweithäufigsten Todesursachen. Aber auch wenn die Heilungschancen gut sind, steht den Patienten oft eine langwierige Therapie bevor. Viele sind daher offen für Informationen, die ihnen helfen, die Behandlung besser zu überstehen – und verfallen dabei mitunter auch Mythen, für die es keinerlei wissenschaftliche Evidenz gibt. In Gesprächen mit Patienten begegnen Onkologen wie Gerald Illerhaus, Ärztlicher Direktor Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl am Klinikum Stuttgart, häufig Fragen nach Krebsdiäten oder alternativen Heilmethoden. Ärzte sollten dann erst einmal zuhören: Denn die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient sei bei so langwierigen Therapien wie bei Krebs wichtig. „Außerdem gibt es Erkenntnisse über Ernährung, Bewegung und naturheilkundliche Verfahren, deren positive Wirkung wissenschaftlich belegt ist und auf die ein Arzt verweisen kann.“ Was medizinisch sinnvoll ist und was in den Bereich der Mythen gehört, zeigt unsere Übersicht:

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Gibt es Krebsarten, die ansteckend sind?

Nein, eine Krebserkrankung ist nicht von Mensch zu Mensch übertragbar wie eine Infektionskrankheit. „Es gibt aber bestimmte Infektionen, die das Risiko für die Entstehung einer Krebserkrankung erhöhen können“, sagt Ulrich Karck, Ärztlicher Direktor der Frauenklinik am Klinikum Stuttgart.

So führt die Weltgesundheitsbehörde WHO weltweit 15,4 Prozent aller Tumorerkrankungen auf Infektionen zurück – mit Bakterien, Viren, Parasiten. Rund zehn Prozent der weltweiten Krebsfälle gehen auf Viren zurück. Beispielsweise können das humane Papillomvirus (HPV) oder Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren das Risiko für Gebärmutterhalskrebs und auch Leberkrebs erhöhen. „Mit diesen Viren kann man sich auf bestimmten Wegen anstecken, mit der Krebserkrankung selber aber nicht“, sagt Karck.

Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg gehen davon aus, dass mehr als 98 Prozent aller Gebärmutterhalskrebserkrankungen durch eine HPV-Infektion bedingt sind. Mittlerweile weiß man auch, dass ein Teil der Krebserkrankungen im Mund-Hals-Bereich ebenfalls durch dieses Virus verursacht wird. Seit knapp 20 Jahren stehen Impfstoffe gegen die meisten HPV-Stämme zur Verfügung, mit denen sich eine Infektion verhindern lässt – sofern die Impfung frühzeitig im Kindes- und Jugendalter durchgeführt wird.

Führt eine ballaststoffarme Ernährung zu Darmkrebs?

Bei den Chinesen gilt das Essen seit jeher als Garant für Gesundheit und ist als Heilmittel anerkannt. Umgekehrt kann eine Ernährung mit niedrigem Ballaststoffanteil – also mit wenig Gemüse, Obst und Vollkornprodukten – und einem hohen Anteil an Fleisch den Körper anfälliger für Krankheiten machen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO steht jede dritte Krebserkrankung mit ungünstiger Ernährung und Bewegungsmangel im Zusammenhang.

Das zeigen auch Studien, in denen unter anderem Personen beobachtet wurden, die von einem ärmeren Land in ein Industrieland gezogen sind. Das Risiko für Darmkrebs stieg dabei durch die Umstellung auf einen westlichen Lebensstil und eine entsprechende Ernährung deutlich an. „Eine ballaststoffarme Diät hat somit einen negativen Einfluss auf die Dickdarmzellen, der zur Krebsentstehung beiträgt“, sagt Jan Peveling-Oberhag, leitender Oberarzt in der Gastroenterologie am Klinikum Stuttgart. „Auch andere Krebsarten kommen gehäuft bei Patienten vor, die sich in der Vergangenheit ballaststoffarm ernährt haben.“ Grundsätzlich gilt also: Eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährungsweise dient dem Schutz vor Tumorerkrankungen.

Hilft Aspirin bei Krebs?

Tatsächlich haben einige Studien festgestellt, dass Menschen, die regelmäßig Aspirin einnehmen, ein niedrigeres Risiko haben, an Darmkrebs und Darmpolypen zu erkranken. Die Gründe für diesen molekularen Effekt seien noch weitgehend unbekannt, sagt Jan Peveling-Oberhag. Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ liegt eine mögliche Erklärung in der entzündungshemmenden Wirkung des Medikaments. Chronische Entzündungen fördern zumindest bei einigen Krebsarten das Wachstum der Tumoren und ihre Ausbreitung im Körper.

Als eine Empfehlung zur Krebsprävention können diese Beobachtungen allerdings nicht dienen: So ist der Stoffwechsel von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, und Medikamente wirken nicht bei jedem gleich. Auch sind die Folgen einer dauerhaften Einnahme von Aspirin noch nicht vollständig untersucht. So gibt es auch eine große Studie, in der Menschen im Alter von mindestens 70 Jahren untersucht wurden, die entweder niedrig dosiertes Aspirin oder ein Placebo-Medikament einnahmen. Hier zeigte sich nach fünf Jahren Beobachtungszeit sogar eine erhöhte Sterberate an Darmkrebs in der Aspirin-Gruppe.

Führen Tätowierungen zu einem erhöhten Krebsrisiko?

Mehr als ein Drittel der Deutschen ist einer Umfrage zufolge mindestens einmal tätowiert. In der Altersgruppe zwischen 18 und 45 Jahren sind es mit 44 Prozent besonders viele. Doch wird die Hautmalerei zum Krebsrisiko? Der Onkologe Gerald Illerhaus bestätigt dies: „In der Tat ist das relative Risiko circa 21 Prozent höher als bei nicht tätowierten Menschen.“ Dies haben Forschungen aus Schweden ergeben. Die Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass die Farbe als Fremdsubstanz mit ungesunden Inhaltsstoffen eine Immunreaktion auslösen kann, die das Risiko für Lymphome erhöhen kann. Das sind Tumorerkrankungen des lymphatischen Systems, umgangssprachlich Lymphdrüsenkrebs genannt.

Können Krebserkrankungen aus Entzündungen heraus entstehen?

„Es gibt viele Hinweise, dass chronische Entzündungen die Entstehung von Tumorerkrankungen fördern“, sagt Gerald Illerhaus. So haben Betroffene mit der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa ein erhöhtes Risiko für Darmkrebs. Auch Magenkarzinome können auf eine Infektion mit dem Bakterium Helicobacter Pylori zurückgehen. Weitere Beispiele sind Speiseröhrenkarzinom, Bauchspeicheldrüsenkarzinom, Lungenkarzinom, Harnblasenkarzinome und verschiedene Lymphome.

Erhöht eine Bestrahlung das Risiko, erneut an Krebs zu erkranken?

Von den standardisierten Krebstherapien ist die Strahlentherapie mit die häufigste Form der medizinischen Behandlung: Etwa jeder zweite Krebspatient wird im Laufe der Erkrankung bestrahlt. „Wir prüfen vor jeder Behandlung sehr genau, durch welche Strategien das Nebenwirkungsrisiko im individuellen Fall bestmöglich gesenkt werden kann“, sagt Anne Schiefer, Fachärztin für Strahlentherapie. So wird für eine präzise Bestrahlung für jeden Patienten ein individueller Bestrahlungsplan erstellt. Das Risiko eines Zweittumors nach zehn bis 30 Jahren aufgrund der Bestrahlung ist gering. „Moderne Techniken wie die Hochpräzisionsstrahlentherapie oder die adaptive Radiotherapie können aber beispielsweise dazu beitragen, dieses Risiko weiter zu reduzieren“, sagt Schiefer. Der Nutzen der Strahlentherapie übersteige jedoch in der Regel die möglichen Risiken um ein Vielfaches.

Patiententag am 21. September 2024

Information
Am Samstag, 21. September, gibt es im SCC-Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl am Klinikum Stuttgart und im Linden-Museum einen Infotag zum Thema „Irrtum und Fakt – Krebsmythen und die Wahrheit“. Beginn ist um 9 Uhr. Mehr Infos unter: www.klinikum-stuttgart.de