Wie Gerhard Gollner vor 25 Jahren bei der Gründung der ersten Freien Wahlgemeinschaft in der DDR half Zentnerweise Wahlplakate im Kofferraum

Von Peter Engelbrecht
Warteschlangen in Rudolstadt vor der Sparkasse im Jahr 1990. Foto: Rasche/Archiv Foto: red

Die wilden Wendezeiten erforderten einen Wahlkampf der besonderen Art. „Wir fuhren zweimal rüber, hatten den Kofferraum vollgestopft mit Plakaten und Werbemitteln. Das waren mehrere Zentner“, erinnert sich der frühere Stadtrat Gerhard Gollner (Bayreuther Gemeinschaft) an die Vorbereitungen zur ersten freien Kommunalwahl in der DDR am 6. Mai 1990. Es waren wilde Zeiten. 

 
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35 Rudolstädter und neun Bayreuther hatten am 5. März 1990 in der Ludwigsburg die erste Freie Wählergemeinschaft in der DDR gegründet und der Öffentlichkeit vorgestellt. „Ein historischer Tag in den letzten Tagen der DDR“, kommentierten Gründungsmitglieder euphorisch, „ein herrliches Erlebnis“. Mit der Eintragung ins Vereinsregister hatte die Rudolstädter Gemeinschaft bereits konkrete Formen angenommen. Die Vorarbeit hatten seit Mitte November 1989 fünf Bürger aus der Stadt in Thüringen geleistet. Ihren Plänen kam der Besuch einer Gruppe der Bayreuther Gemeinschaft am 16. Januar 1990 in der Rudolstädter Stadtkirche entgegen.

Bei dieser Gelegenheit hatte Gollner angeregt, eine Rudolstädter Gemeinschaft nach dem Vorbild der Bayreuther Gemeinschaft (BG) zu gründen. Tatsächlich stimmte die der Öffentlichkeit vorgestellte Satzung fast wörtlich mit der der BG überein. Das Emblem mit dem Herz war ebenfalls nach dem Muster der BG entstanden; nur anstelle der Bayreuth-Silhouette war die Heidecksburg eingezeichnet.

Gollner erinnert sich noch genau an diese bewegten Tage. „Ich habe viele Menschen kennengelernt, habe viel über Kultur und Handwerk in Thüringen gelernt“, sagt der 79-Jährige. Die politischen Freunde aus Rudolstadt waren zum Wahlkampf im Frühjahr 1990 ziemlich blank, es gab weder Plakate, Handzettel noch Erfahrungen, wie man einen Wahlkampf organisiert und führt. „Sie hatten von der Taktik westlicher Wahlkämpfe keine Ahnung“, erinnert sich der Pensionär. Anfeindungen von politischen Gegnern gegen die westlichen Helfer habe es keine gegeben, „alles war friedlich.“ Allerdings hatten Unbekannte die Plakate in der Stadt gezielt heruntergerissen. Deshalb war eine zweite Nachschubfahrt notwendig geworden.

Gollner lernte damals auch den Stadtrat Hubert Krawczyk von der heutigen Linkspartei kennen. Er berichtet nur Gutes über diesen Mann, der dem bürgerlichen Bayreuther politisch extrem entfernt steht. „Er ist ein außergewöhnlicher Linker, arbeitet sehr gut für die Kommune.“ Die Rudolstädter Gemeinschaft errang bei der Kommunalwahl 1990 vier Sitze im Stadtrat. Heute heißt sie Freie Wählergemeinschaft, ist auf zwei Sitze geschrumpft.

„Die guten Kontakte haben sich gehalten“, blickt Gollner zurück. „Mein persönlicher Rekord waren elf Besuche in Rudolstadt in einem Jahr.“ Er war das erste Mal Dezember 1966 zum Volleyballspielen dort, „da habe ich den Ort kennen- und liebengelernt.“ Gollner gehörte der ersten westdeutschen Sportdelegation an, die nach dem Mauerbau im August 1961 „in der Zone“ bei einem Turnier spielte. Damals herrschte Kalter Krieg.

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