Man kann diese Spurensuche beim Röhrenfernseher beginnen. Bei Peter Jakob in Bayreuth. Er betreibt einen Elektronik-Fachmarkt in der Stadt und er weiß noch, wie das damals war. Damals, 1990, beim letzten Finale Deutschland-Argentinien. Peter Jakob sagt: „Der Blaupunkt.“ 82-Zentimeter- Bildschirm, ein fast quadratisches Bild, damals fast so etwas wie eine Leinwand. „Der Renner“, sagt Jakob. Das reichte. Für die Garage, das Wohnzimmer, das Sportheim. Und heute? Unvorstellbar. „Wir sind verwöhnt, heute muss das wirken, als ob man im Stadion sitzt.“ Flachbildschirm. HD. 50 Zoll. Fußball ist Kino, Fußball ist Hollywood, Fußball ist Massenphänomen und Event. Das ist 2014.
Und das ist nicht schlimm, sagt Markus Kurscheidt. Er ist Professor, Sportökonom und Fußballfan. Kurscheidt spricht von einem Quantensprung. Gesellschaftlich wie fußballerisch. 1990 zu 2014. Private Fernsehsender kamen, dann das Internet, dann die Eventisierung der Freizeit. Irgendwann zog der Fußball nach. Zum Beispiel nach Toren: Früher sagten die Stadionsprecher den Namen des Torschützen. Heute: Nummer, Name, danke, bitte, das Publikum hilft mit. „Das gibt es aber erst seit zehn Jahren“, sagt Kur-scheidt. Der Schub kam 2006. Schwarz-rot-goldener Fußball war spätestens jetzt nicht mehr zu übersehen.
Damals kamen die ersten Anfragen im Sportamt an. Public Viewing, das gemeinsame und öffentliche Fußballgucken. Das erzählt Christian Möckel, der Sportamtsleiter. „Vorher hat nie jemand danach gefragt.“ 2006, das war das Sommermärchen, die WM im eigenen Land, Fanmeilen, Großleinwände. Davor fanden Weltmeisterschaften in holzvertäfelten Partykellern statt oder in Garagen. Möckel sagt, er hat früher mit Kumpels geschaut. Unter Männern.
Markus Kurscheidt sagt: „Früher war Fußball schauen Männer, Moschus, Motoröl. So ein Männlichkeitsding.“ Freundinnen gingen eher widerwillig mit. Fußball. Bier. Bratwurst. Mehr war da nicht, die Fachleute blieben unter sich. Und heute? Fußball ist gesellschaftsfähig. Wer nichts zum Reden hat, spricht über Wetter, alte Zeiten und – Fußball.
Markus Kurscheidt sagt: „Natürlich ist das auch ein bisschen Fußball-Karneval.“ Schminken, Emotionen, Ausflippen. „Weil die Vorbilder dazu da sind.“ Heute kommt kein Andi Brehme mehr nach einem Elfmeter und sagt: „Ich wusste: Ich tu den rein.“ Heute sagen die Müllers und Özils Sachen wie: Wir. Geil. Und Team. Markus Kurscheidt sagt: „Das sind keine rustikalen Kerle mehr, sondern sexy Typen.“ Und er sagt: „Wollen wir nicht alle ein bisschen aussehen wie Mats Hummels?“
Das ist der neue Fußball. Das sind die neuen Deutschen.